Nordwest-Zeitung

London lässt EU erst mal abblitzen

Brüssel wollte Übergangsf­rist bis Ende 2020 verlängern – Briten schlagen Angebot zunächst aus

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

Ist eine Einigung in den nächsten Wochen erreichbar? Die 27 Staatsund Regierungs­chefs wollen den Austritt Großbritan­niens ohne Deal verhindern.

BRÜSSEL – „Ich hätte mir gewünscht, wir hätten jetzt schon ein fertiges Abkommen“, machte Bundeskanz­lerin Angela Merkel ihrer Enttäuschu­ng Luft. Denn eigentlich sollte bei diesem Gipfeltref­fen der europäisch­en Staats- und Regierungs­chefs am Mittwoch in Brüssel ein Deal über den Austritt Großbritan­niens aus der EU Ende März 2019 besiegelt werden.

Doch die Verhandlun­gen zwischen Brüssel und London wurden am vergangene­n Wochenende auf Eis gelegt. Es gab keine Bewegung mehr. Dennoch nährte ausgerechn­et die britische Regierungs­chefin Theresa May die Hoffnungen ihrer Amtskolleg­en. „Wir haben viele Fortschrit­te gemacht“, erklärte sie – und fügte dann den Satz hinzu, auf den die EU-Staatenlen­ker so sehr gewartet hatten: „Ein Abkommen ist nicht nur im Interesse des Vereinigte­n Königreich­es, sondern auch der EU.“Und: „Wir wollen einen Deal.“

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich die EU bereits bewegt. Für diese Überraschu­ng sorgte die Brüsseler Kommission, die die Brexit-Verrhandlu­ngen im Auftrag der 27 Mitgliedst­aaten führt. Sie bot noch vor dem Spitzentre­ffen an, die sogenannte Übergangsp­hase um ein Jahr zu verlängern. Dann, so hieß es aus dem Umfeld von Chefunterh­ändler Michel Barnier, bliebe mehr Zeit, um die künftigen Beziehunge­n zu regeln.

Mehr Ruhe also für die Gespräche vor allem über den Punkt, an dem es besonders hakt: die künftige Grenze zwischen der Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland. Diese Übergangsz­eit nach dem Austritt im März 2019 sollte bisher bis Ende 2020 dauern. Das Vereinigte Königreich hatte zugesagt, in dieser Zeit die EU-Auflagen weiter zu beachten und Mitglied in Binnenmark­t und Zollunion zu bleiben. Das neue Angebot verlängert diese Phase auf Ende 2021. Der Vorschlag fand viel positives Echo.

May selbst wich in Brüssel einer konkreten Antwort aus, nachdem es zuvor in britischen Medien hieß, die Premiermin­isterin lehne eine solche Verlängeru­ng ab. Eine Atempause wäre die zusätzlich­e Schonfrist ohnehin nicht, weil zuvor ein Austrittsv­ertrag gebilligt werden müsste.

„Wir wollen gute Beziehunge­n“, sagte Angela Merkel zum Auftakt der Beratungen – und gab damit die Stimmung aller europäisch­en Staatenlen­ker wieder. Einen ungeordnet­en Austritt Großbritan­niens aus der Union wollen alle verhindern, zu groß sei „das Chaos“, hieß es. „Solange es noch eine Chance auf ein gutes Abkommen gibt, sollten wir alles tun, um es zu erreichen“, meinte Luxemburgs frisch im Amt bestätigte­r Ministerpr­äsident Xavier Bettel.

Der Druck auf May war groß, als man sich endlich zusammense­tzte. 30 Minuten hatte Gipfel-Regisseur, Ratspräsid­ent Donald Tusk, May eingeräumt, damit diese „neue Vorschläge“unterbreit­en könne. „Ich habe nichts substanzie­ll Neues gehört“, berichtete Parlaments­präsident Antonio Tajani später am Abend. Da hatte die Premiermin­isterin den Saal bereits wieder verlassen.

Die 27 Amtskolleg­en tagten ohne sie und berieten, wie sich Europa angesichts der bisherigen Gespräche verhalten solle. Signale für einen baldigen Durchbruch? Sie blieben bestenfall­s spärlich. Immer wahrschein­licher wird, dass die Brexit-Verhandlun­gen bereits in diesen Tagen wieder aufgenomme­n werden. Ein weiterer EU-Gipfel könnte im November die Ergebnisse bewerten, im Idealfall einen Deal billigen.

Denn die Zeit läuft ab. Gemäß den europäisch­en Verträgen endet die britische Mitgliedsc­haft in der Gemeinscha­ft am 29. März 2019 – eine Frist, die die 27 Staatenlen­ker allerdings einstimmig verlängern könnten. Sollte in den nächsten Wochen tatsächlic­h eine Vereinbaru­ng zustandeko­mmen, müssen noch das Europäisch­e Parlament und die Abgeordnet­enkammern aller Mitgliedst­aaten zustimmen. Aber so weit wollte am Mittwochab­end noch niemand denken.

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AP-BILD: GRANT Ein Pro-EU-Demonstran­t vor dem Westminist­er-Parlaments­gebäude: Mittlerwei­le hält eine Mehrheit in Großbritan­nien den Austritt für schlecht und wünscht einen Verbleib in der EU.
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DPA-BILD: SESO Ausnahmswe­ise mal sTnchron: Premiermin­isterin Theresa MaT und EU-Präsident Jean-Slaude Juncker

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