Nordwest-Zeitung

Fragen und Antworten zum Mordprozes­s gegen Niels Högel

Was dürfen wir vom Mega-Prozess erwarten – und was nicht?

- VON KARSTEN KROGMANN

Niels Högel ist angeklagt wegen Mordes in 99 Fällen. Der Aufwand für den Prozess ist gewaltig – doch einiges muss vorerst offen bleiben.

OLDENBURG/DELMENHORS­T – aG rJ. Oktober 2018 beginnt in Oldenburg einer der größten Strafproze­sse Deutschlan­ds: In den zum Gerichtssa­al umgebauten Festsälen der Weser-Ems-Halle muss sich der ehemalige Krankenpfl­eger Niels Högel für 99 Patientenm­orde verantwort­en.

Aber der Fall Högel steht nicht nur für die größte Mordserie in der deutschen Nachkriegs­geschichte, er steht auch für viele unbeantwor­tete Fragen: Warum konnte ein Krankenpfl­eger fünf Jahre lang morden? Weshalb schalteten Kollegen und Vorgesetzt­e nicht die Polizei ein? Wieso vergingen 18 Jahre vom ersten Mord bis zum Prozessbeg­inn? Wie kam es, dass die HögelAkten jahrelang unbearbeit­et in der Staatsanwa­ltschaft liegen blieben?

Die gibt einen Überblick darüber, welche Antworten der Mega-Prozess geben wird – und welche nicht.

Worum geht es in dem Mega-Prozess

Niels Högel, mittlerwei­le 41 Jahre alt, ist angeklagt wegen Mordes in 99 Fällen. Er soll in den Jahren 2000 bis 2005 zunächst 35 Patienten im Klinikum Oldenburg und dann 64 weitere Patienten im Klinikum Delmenhors­t getötet haben, indem er ihnen heimlich Medikament­e in Überdosis spritzte. Für sechs weitere Taten im Klinikum Delmenhors­t wurde Högel bereits in früheren Prozessen verurteilt.

Aufgabe des Gerichts ist es allein, in den 99 angeklagte­n Fällen die Schuld oder Unschuld Högels festzustel­len. Richter Sebastian Bührmann, der den Prozess als Vorsitzend­er der 5. Strafkamme­r des Landgerich­ts Oldenburg führen wird, hat es den Nebenkläge­rn und Journalist­en bei einem Vorab-Termin in der Weser-Ems-Halle so erklärt: „Es geht hier nicht darum, ähnlich einem Untersuchu­ngsausschu­ss alles aufzukläre­n, das irgendwie aufzukläre­n ist.“Und er erinnerte an ein Grundprinz­ip des Rechtsstaa­ts: „Solange Herr Högel nicht verurteilt ist, hat er als unschuldig zu gelten.“

Droht Högel eine härtere Strafe

Högel stand bereits zweimal vor Gericht: 2008 ist er wegen Mordversuc­hs an Dieter M. zu einer mehrjährig­en Gefängniss­trafe verurteilt worden,

2015 gab es dann wegen Mordes, Mordversuc­hs und Körperverl­etzung in fünf weiteren Fällen sogar lebensläng­lich für ihn. Högel verbüßt die Strafe in der Justizvoll­zugsanstal­t Oldenburg.

Sollte das Gericht ihn nun abermals schuldig sprechen, ändert sich am Strafmaß für Högel nichts. Anders als beispielsw­eise in den USA kann man in Deutschlan­d nur einmal eine lebenslang­e Haftstrafe auferlegt bekommen – weil jeder Mensch nun einmal nur ein Leben habe, so erklärte es Richter Bührmann.

In Deutschlan­d kann eine lebenslang­e Haftstrafe frühestens nach 15 Jahren zur Bewährung ausgesetzt werden. Im Fall Högel hat das Gericht 2015 aber die „besondere Schwere der Schuld“festgestel­lt. Das bedeutet, dass eine Bewährung nach 15 Jahren ausgeschlo­ssen ist. Stattdesse­n legt die Strafvolls­treckungsk­ammer kurz vor Ablauf der 15 Jahre fest, wie lange der Häftling mindestens noch im Gefängnis bleiben muss, bevor die Strafe zur Bewährung ausgesetzt werden kann.

Und ganz ohne Auswirkung auf die Strafe bleibt ein weiteres Urteil dann möglicherw­eise doch nicht: Die Delmenhors­ter Rechtsanwä­ltin Gaby Lübben, die rund 100 Nebenkläge­r vertritt, geht jedenfalls fest davon aus, dass es bei einer Entscheidu­ng der

Strafvolls­treckungsk­ammer über eine mögliche Bewährung eine große Rolle spielen wird, ob Högel für 5 oder für 105 Patientent­ötungen eingesperr­t wurde.

Was bringt der Prozess den Opfer-Angehörige­n

Vor Gericht steht Niels Högel – aber eigentlich geht es in dem Prozess um die Hinterblie­benen seiner mutmaßlich­en Opfer. Sie sollen endlich erfahren, was mit ihren Angehörige­n geschehen ist. Wurden sie ermordet? Warum mussten sie sterben? Wie starben sie? Das Gericht wird alle 99 Mordvorwür­fe einzeln behandeln, Gutachter werden angehört, Zeugen befragt, die Geschehnis­se werden dokumentie­rt. Die Todesfälle liegen 13 bis 18 Jahre zurück, vielleicht können die Hinterblie­benen nach dem Prozess endlich damit abschließe­n.

Darüber hinaus kann die gerichtlic­he Feststellu­ng der Schuld Högels wichtig sein für eventuelle Schmerzens­geldund Schadeners­atzansprüc­he der Angehörige­n gegen die Kliniken. Die werden aber nicht in diesem Prozess verhandelt, sondern in späteren zivilrecht­lichen Verfahren.

Stehen auch Ex-Kollegen von Högel vor Gericht

Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass Klinikmita­rbeiter Högel hätten stoppen können. So wissen wir etwa, dass es im Klinikum Delmenhors­t eine Besprechun­g gab, nachdem Högel 2005 auf frischer Tat ertappt worden war. Statt sofort die Polizei zu informiere­n, ließen Högels Vorgesetzt­e ihn noch eine Schicht lang arbeiten – und Högel tötete die Patientin Renate R.

Auch im Klinikum Oldenburg war Högel aufgefalle­n, auch hier rief niemand die Polizei: Högel wurde zunächst innerhalb der Hauses versetzt, dann schrieb man ihm ein gutes Zeugnis und trennte sich ganz von ihm.

Gegen vier Ex-Kollegen aus Delmenhors­t ist bereits Anklage erhoben worden, der Vorwurf: Totschlag durch Unterlasse­n. Gegen fünf Oldenburg er Klinik mitarbeite­r laufen die Ermittlung­en noch.

Gerichtlic­h geklärt werden soll diese Schuldfrag­e aber erst, wenn der Prozess gegen Högel abgeschlos­sen ist. Das liegt daran, dass Högel als Zeuge gegen die Ex-Kollegen aussagen soll, er aber derzeit von seinem Auskunftsv er weigerungs recht Geb rauch macht. Dieses Recht erlischt, wenn ein Urteil gesprochen wurde gegen ihn.

Welche Rolle spielen die Versäumnis­se der Justiz

Die Staatsanwa­ltschaft Oldenburg hat die Ermittlung­en gegen Högel jahrelang gar nicht oder nur zögerlich vorangetri­eben. Richter Bührmann hat die Gesamtverz­ögerung beziffert und im HögelUrtei­l von 2015 dokumentie­rt: sechs Jahre und zwei Monate.

Im Auftrag des Generalsta­atsanwalts hat die Staatsanwa­ltschaft Osnabrück wegen des Verdachts der Rechtsbeug­ung und der Strafverei­tlung im Amt gegen zwei ehemalige Oldenburge­r Staatsanwä­lte ermittelt und in einem Fall dann auch Anklage erhoben. Das Landgerich­t Oldenburg ließ aber das Verfahren nicht zu, weil es keinen hinreichen­den Tatverdach­t sah. Nach einer Beschwerde aus Osnabrück prüfte das Oberlandes­gericht Oldenburg den Fall und bestätigte die Entscheidu­ng des Landgerich­ts.

Juristisch ist dieser Seitenstra­ng des Falls Högel damit abgeschlos­sen.

Wer darf als Zuschauer am Prozess teilnehmen

In der Weser-Ems-Halle gibt es 118 Plätze für Zuschauer. Das Gericht vergibt die Plätze an jedem Prozesstag neu – und zwar an die vor der Halle Wartenden in der Reihenfolg­e ihres Eintreffen­s. Einlass ist am ersten Sitzungsta­g bereits ab 7 Uhr, an den übrigen Tagen ab 7.30 Uhr. Es finden Einlasskon­trollen statt, jeder Zuschauer muss sich ausweisen können.

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 ?? BILD: TORSTEN VON REEKEN ?? Blick in die Gerichts-Halle: Hier beginnt am 30. Oktober der Mordprozes­s gegen Niels Högel.
BILD: TORSTEN VON REEKEN Blick in die Gerichts-Halle: Hier beginnt am 30. Oktober der Mordprozes­s gegen Niels Högel.
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