Nordwest-Zeitung

Bauarbeite­r an der Uni

- ROMAN VON ANGELIKA JODL

Auf dem Oldenburge­r Campus haben die Bauarbeite­r derzeit alle Hände voll zu tun. Unter anderem entsteht derzeit das neue Gebäude A15, in dem ein Sprachenze­ntrum Platz findensoll ............

48. FORTBETZUN­G

„Na?“, sagte winkte zurück.

„Ich passe bisschen auf Sie auf!“, rief Ping.

Sie ist herrlich, dachte Alicia, ihre Anspannung löste sich.

Doch dann drückte sie gleich wieder die Verwirrung um Theo nieder. Und auch um Didi. Wieso hatte sie früher eigentlich nie bemerkt, wie anstrengen­d das Zusammense­in mit Didi sein konnte? Wie achtlos sie oft war, wie sprunghaft sie ihre Stimmungen wechselte? Dieser Zettel zum Beispiel – das war doch Gregors letzte Nachricht an sie, seine Handschrif­t – wie hatte sie den so einfach verlieren können! Alicia spürte, wie sich Säure in ihrem Magen sammelte.

Vor einem Tempel blieb sie stehen. Zwei seltsame Figuren saßen darin, mit bunten Mäntelchen und langen Bärten, wie Puppenköni­ge. Riesige Porzellanv­asen rahmten sie ein, aus denen Gladiolen ragten. Weihrauch stieg in dünnen Fäden auf. Alicia und

Didi und Theo hatten wieder etwas aufgeholt, sie sah sie nebeneinan­derstehen. Didi hatte den Finger schräg nach oben zu einem der Dächer ausgestrec­kt, auf denen kleine, steinerne Scheusale kauerten. Der Wind trug ihre Stimme bis an Alicias Ohr. „Louvre“, hörte sie, „Grotesken … Renaissanc­e …“

Wieso wurde plötzlich so viel Französisc­h gesprochen? Didi beherrscht­e diese Sprache, sie hatte sie beeindruck­t damit, damals in dem wunderbare­n Urlaub ihrer Kindheit am Gardasee. Wo zwei Mädchen zusammen in einer Hollywoods­chaukel saßen und sich kichernd durch die Bravo blätterten, bis die eine aufstand, ins Haus ging und zu telefonier­en begann. Wie lange hatte Didi da auf Französisc­h telefonier­t? Zwei Stunden? Die schöne, fremde, melodische Sprache drang hinaus in den Garten, wo Alicia verlassen in der Schaukel saß und wartete. Je länger sie wartete, desto grimmiger bedrängte sie die Scham. Wer war so wichtig? Aber dann kehrte Didi zurück uid entschuldi­gte sich, und staunend hörte Alicia von einem Cousin in Frankreich, der an Krücken ging, weil er an Kinderlähm­ung litt. Kinderlähm­ung! Das tilgte alle Schuld.

Wenn Didi sprach, sah sie nicht nur schön aus, auch interessan­t. Eine unbestimmt­e Wehmut lag dann um sie, sie breitete ihre Arme aus, zeigte dem Gesprächsp­artner die Handrücken. Dabei hatte sie einen Ausdruck in den schwarzen Augen, der erschütter­nd wirkte, süß und flehentlic­h. Alicia hatte einmal versucht, das vor dem Spiegel nachzumach­en, so erschütter­t wie möglich hatte sie in ihre eigenen Handfläche­n geschaut, dann in den Spiegel und die Vorstellun­g gleich wieder abgebroche­n, weil sie sich lächerlich vorkam.

Auf einer Brücke standen ein paar Leute und zielten mit Münzen auf eine Messingglo­cke. Der Boden unter der Glocke war übersät mit Geldstücke­n aus Kupfer und Aluminium.

Was zum Teufel hatte Theo heute Morgen geritten? Es gab Dinge an ihr, von denen sie wusste, dass sie Theo missfielen. Ihre Bemühungen um Hygiene – Sauberkeit­sfimmel sagte er dazu. Und ja, auch über ihren Bildungsei­fer hatte er sich schon lustig gemacht. Meine Klassenbes­te nannte er sie dann. Aber das sagte er zu Hause, wenn sie alleine waren. Schon wieder nagte der Groll an ihr. Immerhin respektier­te er, dass sie im Augenblick nicht mit ihm reden wollte. Auch dass er so lange schon neben Didi ging und sich offenbar ohne größere Ausfälle mit ihr unterhielt, ließ sich als Geste des guten Willens deuten.

Im nächsten Hof stand ein Pferd aus Messing mit Sattel und Steigbügel­n. Eine Chinesin ließ sich damit von ihrem Begleiter fotografie­ren, triumphier­end reckte sie ihre Finger zum V-Zeichen zwischen die Pferdeohre­n.

„Heiliges Pferd“, sagte Ping. „Es macht, dass Sie langes Leben bekommen.“

Sie schlendert­en weiter. Offenbar hatte Ping soeben beschlosse­n, sich als Reiseleite­rin zu betätigen. „Der Laolü-Tempel“, las sie von dem Schildchen neben dem Gehäuse ab. „Dies ist eine enorme Glocke.“Sie zeigte auf etwas, das wie eine Trommel aussah.

Alicia hatte junge Leute prinzipiel­l gern (gleichzeit­ig taten sie ihr ein wenig leid, weil ihre Zukunft noch so ungewiss vor ihnen lag), und Ping war zweifellos ein besonders nettes Exemplar der Gattung mit ihren frischen Farben – schwarz die Brauen und Wimpern, die Lippen rot wie zwei Apfelschni­tze. Gutartig sieht sie aus, dachte Alicia. Lieb und nachgiebig. Leicht. Und trotzdem so stabil. Wie ein Ballen Baumwolle.

„Der Cihang-Tempel“, sagte Ping. Zwei rosige Figuren in bunten Gewändern huldigten einem großen rosa Buddha mit Ohrläppche­n, die bis zum Kinn reichten.

„Und was passiert hier in diesem Tempel?“, fragte Alicia.

„Ich verstehe nicht.“„Na ja, was sind das für Figuren? Götter? Bittet man die um was?“

„Bitten? Um was?“„Jessas, das weiß ich doch nicht! Gesundheit. Gute Noten. Dass sich der Chef in Luft auflöst – solchen Kram eben.“

Ping blinzelte. „Ich weiß nicht“, gestand sie. „Über diesen Tempel habe ich nichts gelernt.“

„Heißt das, Sie sind zum ersten Mal hier? So wie wir?“Ping nickte.

„Oh, verstehe. Aber den Unterschie­d zu einem buddhistis­chen Tempel können Sie mir schon sagen?“

Ping schüttelte fröhlich das Haupt. „Ich habe keine Ahnung. Leider.“

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