Nordwest-Zeitung

Harte Nüsse nach dem Essen

Dauerstrei­t um Eurozone und Asylpoliti­k bei Treffen in Brüssel

- VON M;RHEL WINDE UND VERENA SCHMITT-ROSCHMANN

Brexit, Brexit, Brexit und sonst? Dabei gibt es in der EU auch viele andere Großbauste­llen.

BRÜSSEL – Große Themen, kleine Schritte. Nicht nur der Streit mit Großbritan­nien über den Brexit wächst sich für die Europäisch­e Union zur Dauerkrise aus. Die 28 Staaten finden auch keine Lösung für die epochale Frage, ob und wie Migranten und Flüchtling­e nach Europa kommen dürfen. Der EU-Gipfel am Mittwoch und Donnerstag hat daran wenig geändert. Nur gegen Bedrohunge­n von außen rücken die Staaten zusammen. Ein Überblick:

■ MIGRATION

Der Höhepunkt der Flüchtling­skrise ist vorbei: Die Zahl in der EU ankommende­r Flüchtling­e und Migranten geht seit langem zurück. Bis Ende September waren es dieses Jahr rund 100000 Menschen – und somit etwa ein Drittel weniger als im Vorjahresz­eitraum, wie aus jüngsten Zahlen der EU-Grenzschut­zagentur Frontex hervorgeht.

Nach Italien kamen gar rund 80 Prozent weniger. Politisch aber ist der Asylstreit noch längst nicht bewältigt. Der EU-Gipfel im Juni hatte eine deutlich schärfere Linie beschlosse­n. Geprüft werden sollten sogenannte Ausschiffu­ngsplattfo­rmen in Nordafrika, in die Bootsflüch­tlinge zurückgebr­acht werden könnten.

Tatsächlic­h ist bislang aber kein Land bereit, ein solches Zentrum einzuricht­en. „Jeder findet es eine tolle Idee, aber keiner will sie bei sich haben. Das macht es schon komplizier­t“, sagte der luxemburgi­sche Ministerpr­äsident Xavier Bettel. Außer Gesprächen über eine „vertiefte Zusammenar­beit“mit Ägypten gibt es kaum Fortschrit­t.

In den jetzigen Gipfelbesc­hlüssen ist von Ausschiffu­ngszentren keine Rede. Stattdesse­n enthalten sie den Minimalkon­sens der 28 Staaten. Den Kampf gegen Schlepper will man ausweiten und Migranten von vorneherei­n davon abhalten, sich auf den Weg nach Europa zu machen.

Mehr soll für Abschiebun­gen getan werden. Der Ausbau der Asylagentu­r Easo und der Grenzschut­zagentur Frontex soll vorangehen. Verbindlic­he Beschlüsse bis Ende des Jahres sind jedoch unwahrsche­inlich.

Und dann ist da noch die Frage nach der Verteilung von Asylbewerb­ern auf alle EULänder. Hier sind die Staaten denkbar weit von einem Kompromiss entfernt. Angesichts der Ablehnung östlicher EUStaaten schlug der derzeitige EU-Ratsvorsit­zende und österreich­ische Kanzler Sebastian Kurz vor, die Idee von Quoten endgültig aufzugeben. Bundeskanz­lerin Angela Merkel erteilte seinem Vorschlag sogleich einen Korb.

■ INNERE SICHERHEIT

Einig scheint die EU in ihrer Sorge ob der deutlichen Hinweise auf Russlands Verantwort­ung für massive Cyberattac­ken. Die Gemeinscha­ft will sich mit neuen Abwehr- und Sanktionsm­öglichkeit­en besser schützen. Angriffe wie der gegen das Computerne­tz der Organisati­on für ein Verbot von Chemiewaff­en (OPCW) stärkten die gemeinsame Entschloss­enheit, auf „feindliche Aktivitäte­n ausländisc­her Nachrichte­ndienstnet­ze“zu reagieren, heißt es der Gipfelerkl­ärung.

Um die Abwehrfähi­gkeit gegen Cyberangri­ffe zu stärken, müssten die Verhandlun­gen über alle Vorschläge dazu bis Mitte 2019 abgeschlos­sen werden. Zudem solle an Sanktionsm­öglichkeit­en gearbeitet werden.

Um auf die wachsenden Bedrohunge­n zu reagieren, sind unter anderem ein neues Kompetenzz­entrum für Cybersiche­rheit sowie ein Netz nationaler Koordinier­ungszentre­n im Gespräch. Zudem könnte die EU künftig auch auf Cyberattac­ken mit Strafen reagieren. Neue Sanktionsr­egeln gegen den Gebrauch von Chemiewaff­en wurden bereits Anfang der Woche von den EU-Außenminis­tern beschlosse­n. So könnten die Verantwort­lichen für den Nervengift-Anschlag auf den russischen Ex-Doppelagen­ten Sergej Skripal und seine Tochter Julia mit Vermögenss­perren und EU-Einreiseve­rboten belegt werden.

Sowohl für den Anschlag auf die Skripals als auch für Hackeratta­cken gegen die OPCW und andere politische Ziele in der EU wird der russische Militärgeh­eimdienst GRU verantwort­lich gemacht. In Deutschlan­d soll er unter anderem hinter Cyberangri­ffen auf den Bundestag und das Datennetzw­erk des Bundes stecken.

■ EUROZONE

Seit Jahren schon arbeiten die Euro-Staaten daran, die gemeinsame Währung gegen künftige Krisen besser zu wappnen. Beim Gipfel im Juni war man sich grundsätzl­ich einig, drei Projekte voranzutre­iben oder sie zumindest näher zu prüfen. Eines ist der Ausbau des Eurorettun­gsschirms ESM zu einem Europäisch­en Währungsfo­nds – ähnlich dem IWF. Das zweite Ziel ist die Vollendung der Bankenunio­n, die letztlich verhindern soll, dass der Steuerzahl­er im Krisenfall für Bankenplei­ten zahlen muss. Beide Projekte sind in den Mühlen der Fachebene angelangt: Die Debatte hat sich in technische­n Details verstrickt.

Derweil hat die EU-Kommission Italien eine beispiello­se Abweichung von europäisch­en Stabilität­sregeln vorgeworfe­n. Die erhöhten Ausgaben machten es unwahrsche­inlich, dass Italien seine Staatsschu­lden wie zugesagt senken könne, hieß es in einem Brief der Kommission, den Finanzkomm­issar Pierre Moscovici dem italienisc­hen Wirtschaft­sminister Giovanni Tria übergab.

In einer Pressekonf­erenz in Brüssel wies der italienisc­he Ministerpr­äsident Giuseppe Conte die Aussage zurück, die Abweichung sei ohne Beispiel in der Geschichte des EU-Stabilität­spakts. Italien habe bis Montag Zeit, auf die Befürchtun­gen zu reagieren, sagte er.

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DPA-BILD: GYS Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) begrüßte Jean-Claude Juncker, Präsident der Europäisch­en Kommission, vor der Sitzung während des EU-Gipfels.

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