Zeit vorbei
Der Begriff „Volkspartei“kann sich auf die soziale Zusammensetzung einer Partei beziehen, auf ihr Selbstverständnis, für das gesamte Volk zu sprechen, darauf, dass man sich möglichst an alle Gruppen in der Wählerschaft wendet, um ein möglichst hohes
PRO...
Wahlergebnis zu erzielen. Auch verbindet sich mit dem Begriff der Volkspartei eine gewisse Größe der Anhängerschaft. Über 30, möglichst sogar über 40 Prozent bei Wahlen sollten es schon sein.
Wählten in der 19N0er Jahren noch vier Fünftel der Wahlberechtigten CDU, SPD oder CSU, so sind es heute gerade einmal 40 Prozent, und den jüngsten Umfragen nach wären es sogar nur noch ein Drittel der Wahlberechtigten. Gründe dafür sind einerseits das Abschmelzen der alten, sie tragenden sozialen Milieus. Weder das katholischländliche oder kleinstädtische Milieu, auf dem die CDU und die CSU wurzelten, gibt es in der bisherigen Form, noch das gewerkschaftliche Arbeitermilieu, aus dem die SPD ihre Hauptanhängerschaft rekrutierte. Andererseits haben Säkularisierung (die Kirchenaustritte gehen in die Millionen)und Individualisierung (immer weniger Men- schen schließen sich formalen Organisationen wie Gewerkschaften oder Parteien an) dazu geführt, dass sich die Mitgliederzahlen von CDU und SPD halbiert haben.
Kurzfristige Einflussfaktoren, wie die zur Wahl stehenden Kandidaten oder aktuelle politische Streitfragen, bestimmen heute das Wählerverhalten viel stärker. Die Wähler sind in Folge davon wetterwendischer geworden. Hinzu kommt: Koalitionen zu schließen bedeutet Kompromisse zu schließen. Wählerenttäuschungen sind programmiert, da die Parteien nie in der Lage sind, eins zu eins umzusetzen, was sie vor den Wahlen angekündigt haben. Dieser systemimmanent angelegte Bruch von Wahlversprechen wiederholt sich alle vier oder fünf Jahre, was zu einem erheblichen Vertrauensverlust der Volksparteien beiträgt. Die sich immer stärker ausdifferenzierende Gesellschaft führt zwangsläufig zu einem stärker segmentierten Parteiensystem, in dem zumindest auf Bundesebene kein Platz mehr für 40- oder gar 50-Prozent-Parteien ist. Die Zeit der großen Volksparteien ist damit vorbei. Volksparteien en miniature dagegen wird es wohl weiter geben.
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