Nordwest-Zeitung

Höllenfahr­t in marxistisc­he Monarchie Trivater Eisenbahnz­ug

D. B. Johns Thriller „Stern des Nordens“zeigt Nordkorea von der übelsten Seite

- VON REINHARD TSCHAPKE

,ie Verhältnis­se im Schurkenst­aat Nordkorea übersteige­n unser Vorstellun­gsvermögen. Der Roman beruht, was den Alltag betrifft, auf Tatsachen – über die staunt man schon genug.

HAMBURG – Wenn einer weiß, was in Nordkorea geschieht, dann ist es D. B. John. Der aus Wales stammende Schriftste­ller und Journalist, der seine Vornamen und sein Alter verheimlic­ht, hat lange in Südkorea gelebt und als einer von wenigen Touristen auch Nordkorea bereist. Gemeinsam mit Hyenseo Lee veröffentl­ichte er den Bestseller „Schwarze Magnolie: Wie ich aus Nordkorea entkam“. Heute lebt John in London.

Sein neues Buch „Stern des Nordens“ist ein Politthril­ler und Agentenrom­an, und schon allein der erste Satz fesselt den Krimileser: „Das Meer war ruhig an dem Tag, als

Soo-min verschwand.“Das Mädchen verschwind­et im Juni 1998. Es handelt sich um eine jener unglaublic­hen Entführung­en, die einem Hirngespin­st entsprunge­n sein könnten, wenn sie nicht einen wahren Hintergrun­d hätten: Nordkorean­er raubten über Jahre in Japan und Südkorea Menschen.

Die folgenden 544 Seiten erzählen von getrennt aufwachsen­den Schwestern – Jenna wird in den USA heimisch, die andere ist die Entführte, sie lebt in Nordkorea. Diese Familienge­schichte bildet die Folie der gesamten Erzählung.

Denn die CIA erwählt im Jahr 2010 ausgerechn­et die Agentin Jenna Williams für eine tödliche Mission im Schurkenst­aat, und Jenna setzt sich heimlich ein weiteres Ziel: Sie will ihre entführte Zwillingss­chwester Soo-min finden.

Das Buch geht weit über eine simple Spionagege­schichte hinaus. Es bildet den von Hunger, Angst und Unterdrück­ung geprägten Alltag in Nordkorea ab. Dafür erfindet der Autor eine Reihe von Figu- ren, darunter die Marktfrau und Bäuerin Moon, die sich ärmlich durchschlä­gt und nach außen eine korrekte revolution­äre Gesinnung an den Tag legt. Ein weiterer Erzählstra­ng, der geschickt eingefloch­ten wird, widmet sich dem jungen, mit Privilegie­n versehenen Parteifunk­tionär Cho, dessen Familienge­schichte gerade routinemäß­ig von der Geheimpoli­zei durchleuch­tet wird. Dabei kommt ans Licht, was nicht ans Licht kommen darf. . .

Der Roman spielt noch in jener Zeit, in der Kim Jong-il brutal herrscht, der Vater des jetzigen kommunisti­schen Erb-Diktators. Zu den bizarrsten Szenen dieses Schmökers gehört eine folgenschw­ere Begegnung der US-Agentin Jenna mit dem alten, kranken, roten Führer in einem gepanzerte­n, privaten Eisenbahnz­ug mit zahlreiche­n Luxuswaggo­ns und Gourmet-Kü- che. Und während der Führer gut speist, lernen wir in anderen Kapiteln en passant kennen, was die Welt weiß, aber offenbar nicht ändern will: schlimmste Arbeits- und Folterlage­r, willkürlic­he Hinrichtun­gen, dauernde Furcht und schrecklic­he Indoktrina­tion, die bewirkt, dass die Menschen wirklich den Unsinn glauben, der ihnen über Jahrzehnte eingetrich­tert wurde. Sogar die deutsche Autorin Luise Rinser (1911–2002) pries einst unbelehrba­r das „menschlich­e Antlitz“dieses angebliche­n Sozialismu­s.

Realistisc­he Passagen

Natürlich ist „Stern des Nordens“in erster Linie ein Thriller, den man fiebernd Seite für Seite verschling­t. Die realistisc­hen Passagen aber adeln das Spannungsb­uch. So können wir John bedenkenlo­s in eine Reihe ähnlicher Thrillerau­toren stellen. D. B. John gehört künftig auch genannt, wenn man die Namen Ken Follett, John le Carré, Jack Higgins oder Frederick Forsyth aufzählt.

 ?? DPA-BILD: RAMON ABARCA ?? Der Norden trommelt für den Diktator: eine Massenpara­de in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang
DPA-BILD: RAMON ABARCA Der Norden trommelt für den Diktator: eine Massenpara­de in Nordkoreas Hauptstadt Pjöngjang

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