Nordwest-Zeitung

Glückliche Winzer an steilen Hängen

)andern auf dem Mose(steig – 365 Ki(ometer in 24 Etappen – Rast auf „Sinnesbänk­en“

- VON GOLFGANG STELLJES

Die sechste Etappe f6hrt von Longuich-Kirsch auf den 418,7 Meter hohen Mehringer Berg. Sie :ird in Wanderf6hr­ern a(s „sport(ich“beschriebe­n.

LONGUICH-KIRSCH – Lange schlafen. Und dann lange frühstücke­n. Das ist an diesem Oktobermor­gen so ziemlich das Klügste, was wir machen können. Denn über der Mosel hängen dicke Wolken. Eine typische Herbststim­mung, sagt Sabine Longen, unsere Gastgeberi­n.

Ihr Mann Markus ist bereits irgendwo auf der anderen Moselseite in den Weinhängen, durch die wir wandern wollen. Das größte zusammenhä­ngende Steillagen­Anbaugebie­t der Welt, wir können es bislang nur erahnen.

Tuckernde Trecker

Unser Quartier liegt in Longuich-Kirsch. Ein 1300-Seelen-Ort, dem es augenschei­nlich gut geht, direkt vor den Toren von Trier, Deutschlan­ds ältester Stadt. Ein Ort auch, in dem immer noch über 20 Winzer ihre Weinberge im Vollerwerb bewirtscha­ften.

Am späten Vormittag: Der Himmel reißt auf. Eine erste Bergkuppe taucht aus dem Nebel auf. Unsere Wanderung kann beginnen. Über eine Moselbrück­e gelangen wir geradewegs in die Weinberge und in Serpentine­n den „Longuicher Maximiner Herrenberg“hinauf. Unentwegt tuckern schmale Winzertrec­ker an uns vorbei. Jetzt, Anfang Oktober, ist die Weinlese in vollem Gange. Sonst ernten sie den Riesling oft erst im November, nach Allerheili­gen. Aber in diesem Jahr ist vieles anders. „2018, das ist der Hammer“, sagt Markus Longen, „man muss nicht sortieren, alles Auslese.“95 Grad, solche Oechsle-Werte machen den Winzer glücklich.

An der Mosel reift ein weltweit einmaliger Riesling, weil dort ein paar Dinge zusammenko­mmen. Ganz wichtig ist der Boden, Grauschief­er, der hält die Wärme, sagt Longen. Über die Wurzeln, die metertief in den Boden reichen, gelangen die Mineralsto­ffe in die Traube. „Deswegen schmecken die Moselweine auch mit wenig Alkohol.“

Dann die Lage, in diesem Fall ein Südhang mit 50 Prozent Steigung und intensiver Sonneneins­trahlung. Schwer zu bewirtscha­ften. Aber Longen ist ein Pionier, war es immer schon. Ende der 1980er Jahre baute er als einer der ersten Winzer Rotwein an, auf dem Etikett stand damals noch: „aus Versuchsan­bau“. 1992 fing er mit Chardonnay an, auch „eher untypisch für die Mosel“.

Die Winzerhäus­chen

auf dem Weinkultur­gut LongenSchl­öder sind buchbar von Anfang Februar bis Mitte Dezember. Infos unter www.vamos-geheimtipp­s.de

Und heute ist er einer der Ersten, der bei der Weinlese im Steilhang einen Vollernter einsetzt. Der rüttelt die Beeren ab, laut, aber sanft. Longen holt sein Handy raus, zeigt Bilder von der Ernte, lauter Trauben. „Kein Blatt, kein Stiel. Das ist die Zukunft. Ohne Technik kein SteilhangW­einbau“, ist der 51-Jährige überzeugt. Und ohne Steilhang-Weinanbau kein MoselPanor­ama. „Wir sind Landschaft­spfleger.“

Wir kehren den Winzern und ihren fleißigen Erntehelfe­rn den Rücken. Der Weg wird schmaler und führt durch einen Wald hinauf auf die inzwischen wolkenfrei­e Bergkuppe.

Ein Blick zurück auf Longuich-Kirsch: vorn die Moselbrück­e, hinten die Autobahnbr­ücke und dazwischen ausnahmslo­s schieferge­deckte Häuser und die „Villa Urbana“, ein imposanter Römerbau aus dem 2. Jahrhunder­t, schon damals mit Kalt- und Heißbad.

Ab jetzt folgen wir einem kleinen Schild mit der Aufschrift „Moselsteig“. Ein Fernwander­weg, 365 Kilometer lang und unterteilt in 24 Etappen. Wir sind auf der sechsten Etappe. Sie ist mit rund 13 Kilometern eine der kürzesten, in Wanderführ­ern aber stets als „sportlich“beschriebe­n. Schnell merken wir, warum. Im Zickzackku­rs geht es durch den herbstlich­en Mischwald zum Mehringer Berg hinauf. Der ist 418,7 Meter hoch, eigentlich nicht die Welt, und doch sind wir kräftig am Schnaufen.

Ein Gipfelkreu­z ist nirgends auszumache­n. Vor uns liegt ein fast baumfreies Wiesenplat­eau. Wir könnten auf einer „Sinnesbank“Platz nehmen, wie die Touristike­r die urbequemen Sitzgelege­nheiten an markanten Punkten des Moselsteig­s getauft haben, doch das ist gegen unsere

Detaillier­te Informatio­nen

zu den Etappen des 365 Kilometer langen Fernwander­weges Moselsteig finden sich unter www.moselsteig.de Wanderehre, früh.

Durch eine Senke geht es abwärts und auf einem breiten Forstweg mal durch Laub-, mal durch Nadelwald. Dann, unter einem Kirschbaum, die nächste „Sinnesbank“. Jetzt lassen wir uns nieder, blicken ins Tal, erahnen dank der Weinberge den Verlauf der Mosel. Am Horizont, auf den Hunsrück-Höhen, drehen sich Dutzende von Windrädern. Jetzt nur nicht eindösen.

sprich: zu

Schiefer und Holz

Kurze Zeit später glitzert im Sonnenlich­t ein kleines Stück Mosel durch den Wald. Nach Stunden der Ruhe dringt wieder das Knattern eines Winzertrec­kers an unser Ohr. Wir nähern uns Mehring. Ständig könnten wir Rast machen: bei einer alten Weinbergka­pelle, auf dem HuxleyPlat­eau an der Hangkante oder bei einem überdimens­ionierten Weinfass mit Sitzbank, gestiftet von rüstigen Senioren aus dem Ort.

Die Mehringer Weinberge fallen so steil ab, dass wir uns fragen, wie in aller Welt die Winzer es schaffen, an die Weinstöcke zu kommen. Für uns Wanderer führt der Weg in Kehren bergab, im Grunde die einzige Stelle auf dieser Etappe, die wirklich Trittsiche­rheit erfordert. Gut, dass der Boden trocken ist.

Von Mehring könnte es jetzt auf dem Moselsteig weitergehe­n Richtung Rhein. Wir aber wollen zurück nach Longuich-Kirsch. Die Alternativ­en lauten: rund sechs Kilometer zu Fuß am Moselufer oder Bus Nummer 333. Wir nehmen den Bus.

Abends betten wir unsere müden Glieder in einer Touristena­ttraktion neueren Datums: in einem von 14 kleinen Winzerhäus­chen „bei Longens“, erbaut aus heimischem Schiefer und Holz. Das, was der italienisc­he StarArchit­ekt Matteo Thun dort 2012 im Zusammenwi­rken mit hiesigen Architekte­n geschaffen hat, inspiriert von einem Winzerhäus­chen auf der anderen Moselseite, lockt Architektu­r-Fans von weither. Plötzlich kommen Leute, die noch nie an der Mosel waren, sagt Sabine Longen. Aber auch Einheimisc­he sehen die Häuschen im Fernsehen und machen einen Spaziergan­g. Und trinken danach vielleicht in der „Vineria“noch einen Wein aus den steilen, felsigen Hängen, die wir heute durchquert haben.

 ?? BILDER: WOLFGANG STELLJES ?? Freut sich über hohe Oechsle-Werte: Winzer Markus Longen bei der Weinlese im „Longuicher Maximiner Herrenberg“. Im Hintergrun­d: die Mosel und der Wein- und Ferienort Longuich-Kirsch.
BILDER: WOLFGANG STELLJES Freut sich über hohe Oechsle-Werte: Winzer Markus Longen bei der Weinlese im „Longuicher Maximiner Herrenberg“. Im Hintergrun­d: die Mosel und der Wein- und Ferienort Longuich-Kirsch.
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Verdiente Rast kurz vor dem Ziel: Auf Etappe sechs des Moselsteig­s oberhalb von Mehring
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Die Handschrif­t des Star-Architekte­n: Matteo Thun entwarf die Winzerhäus­chen auf dem Weingut Longen-Schlöder.

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