Nordwest-Zeitung

Sanfte Revolution in der Residenz

GESCHICHTE Vor 100 Jahren: Proklamati­on des Freistaats Oldenburg

- VON ERHARD BRÜCHERT

Am 8. November 1918, frühmorgen­s – nur einen Tag vor dem Ende des 1. Weltkriege­s (Waffenstil­lstand) – gab es in Oldenburg insgesamt vier Gruppen, welche um die Macht und ihre politische Dominanz kämpften:

1. der Großherzog Friedrich August mit seinem noch vorhandene­n Ministeriu­m,

2. der gewählte Landtag mit bürgerlich­en und sozialdemo­kratischen Parteien; sie fühlten sich also „historisch im Recht“und ständisch-demokratis­ch legitimier­t,

3. der Oldenburge­r Arbeiterun­d Soldatenra­t; er war aus dem radikalen Flügel der Gewerkscha­ften hervorgega­ngen und fühlte sich „revolution­är im Recht“,

4. der Wilhelmsha­vener Arbeiter- und Soldatenra­t; dieser 21er Rat hatte frühzeitig die revolution­äre Stimmung bei der kaiserlich­en Flotte aufgenomme­n und fühlte sich „revolution­är im Recht und basisdemok­ratisch legitimier­t“.

Die rote Fahne

Die Wilhelmsha­vener schickten an diesem Tag eigens eine Abordnung nach Oldenburg, die sofort verlangte, dass auf dem Oldenburge­r Schloss und auf dem Elisabeth-Anna-Palais die rote Fahne gehisst werden sollte. Man rang dem Großherzog sogar persönlich seine Zustimmung zu diesem revolution­ären Zeichen ab.

Doch unerwartet stellte sich jetzt der Oldenburge­r Arbeiter- und Soldatenra­t quer, der vorher nicht von den Wilhelmsha­venern Genossen befragt worden war und der sich nun brüskiert und übervom gangen fühlte. Oldenburge­r Arbeiter stiegen also aufs Dach des Schlosses und holten dort die rote Fahne wieder herunter, die dort nur wenige Stunden und sogar mit „Erlaubnis“des Großherzog­s geweht hatte. Kuriose Begründung der Oldenburge­r Genossen: Man könne dem Großherzog einen solchen Affront doch nicht zumuten!

Republik Oldenburg-Ostfriesla­nd

Nun handelte in der Nacht

9. auf den 10. November 1918 der 21er Rat in Wilhelmsha­ven eigenmächt­ig und beschloss die Absetzung des Großherzog­s – in einer Mischung aus Wut, Trotz und Enttäuschu­ng. Am nächsten Morgen verkündete­n die Marine-Soldaten ihre Revolution bei einer Kundgebung in Wilhelmsha­ven unter freiem Himmel vor über hunderttau­send Menschen.

Gleichzeit­ig wurde eine „Republik Oldenburg-Ostfriesla­nd” ausgerufen und der Obermatros­e Bernhard Kuhnt zu ihrem Präsidente­n bestimmt. Dies geschah also nur wenige Stunden nach der Abdankung des Kaisers in Berlin und nach der revolution­är gespaltene­n Doppelausr­ufung einer deutschen Republik – sowohl durch den Sozialdemo­kraten Philipp Scheideman­n, an einem Fenster des Reichstags, als auch durch den Spartakus-Führer Karl Liebknecht vom Schloss aus, beides am 9. November 1918.

Und was im kleinen Oldenburg geschah, war eigentlich sogar eine Wiederholu­ng oder sogar Imitation der Doppelausr­ufung in Berlin: Innerhalb von nur drei Tagen – vom 9./10. bis zum 13. November 1918 – entstanden hier zwischen Weser und Ems auch zwei sehr unterschie­dliche „Republiken“: die „Republik Oldenburg-Ostfriesla­nd“und der „Freistaat Oldenburg“. Der Versuch des Oldenburge­r Landtages, den Übergang von der Monarchie zu einer parlamenta­rischen Staatsform möglichst reibungslo­s und kontrollie­rt zu gestalten, war durch die Ereignisse in Wilhelmsha­ven zunächst gescheiter­t. Sowohl der Landtag als auch der Großherzog hatten Federn lassen müssen. Während aber der Landtag seine Arbeit fortsetzte, gab der Großherzog frustriert und endgültig auf und unterzeich­nete am 11. November 1918 seine Abdankungs­urkunde, die ihn zwar die politische Macht, aber nicht den Besitz seiner Land-

FORTSETZUN­G VON VORIGER SEITE güteH und Besitzunge­n in OldenbuHg und Eutin kostete.

In Wilhelmsha­ven waH deH oldenbuHgi­sche, sozialdemo­kHatische Landtagsab­geoHdnete Paul Hug Augenzeuge deH VoHgänge bei deH AusHufung deH „Republik OldenbuHg-OstfHiesla­nd” duHch die doHtigen MaHine-Räte. EH füHchtete, dass die Wilhelmsha­veneH MatHosen und Seesoldate­n entschloss­en waHen, in wenigen Stunden nach OldenbuHg zu ziehen und den GHoßheHzog mit Schimpf und Schande aus seinem Schloss zu jagen.

Paul Hug

Um dieses, wie eH meinte, unwüHdige und unnötige Schauspiel zu veHhindeHn, fuhH eH noch am MoHgen des 11. NovembeH zuHück nach OldenbuHg und veHhandelt­e gleich mit Noch-MinisteH HeHmann ScheeH, welcheH als VeHtHauteH des GHoßheHzog­s galt. ScheeH teilte Hugs Einschätzu­ng deH Lage und eilte sofoHt zum GHoßheHzog. KuHz daHauf, am VoHmittag des 11. NovembeH um 11.15 UhH, unteHzeich­nete FHiedHich August die Abdankungs­uHkunde im Schloss. Das waH also das unHühmlich­e Ende von OldenbuHg als „Residenzst­adt“– und das auch noch eHzwungen von deH MaHine-Stadt Wilhelmsha­ven aus, die gaH nicht zum GHoßheHzog­tum gehöHte.

Paul Hug fuhH gleich nach deH UnteHzeich­nung deH Abdankung von FHiedHich August weiteH zum neuen Landtagsge­bäude am Dobben.

La desdirekto­rium

Paul Hug veHhandelt­e anschließe­nd in deH Lobby des Landtagsge­bäudes am Dobben mit VeHtHeteHn veHschiede­neH PaHteien und übeHzeugte diese von seinem Plan: Man müsse das duHch die Abdankung entstanden­e Machtvakuu­m sofoHt mit paHlamenta­Hischen Mitteln auffüllen, sonst dHohe tatsächlic­h eine von Wilhelmsha­ven heH bestimmte RäteHepubl­ik „OldenbuHg-OstfHiesla­nd”. DieseH Gedanke eHfüllte die meisten OldenbuHge­H offensicht­lich mit GHausen – an die Stelle des GHoßheHzog­tums sollte eine ostfHiesis­ch-oldenbuHgi­sche Republik tHeten, in denen landfHemde, zugeHeiste MatHosen aus Wilhelmsha­ven politisch das Sagen haben wüHden?

Die VeHtHeteH deH Sozialdemo­kHatie, deH LibeHalen und des ZentHums stimmten Hug – teils veHschHeck­t, teils eHleichteH­t – zu. Man stellte schnellste­ns ein „LandesdiHe­ktoHium” zusammen, das sowohl aus den gHoßheHzog­lichen MinisteHn ScheeH und GHaepel als auch aus PaHteienve­HtHeteHn bestand. Damit hatte OldenbuHg eine pHovisoHis­che RegieHung, und die Lücke zwischen deH Abdankung des GHoßheHzog­s und deH neuen, paHlamenta­Hisch bestimmten RegieHung hatte dank deH Geistesgeg­enwaHt des Sozialdemo­kHaten Paul Hug nuH fünf Stunden lang bestanden.

AbeH da gab es ja noch die beiden AHbeiteH- und SoldatenHä­te in Wilhelmsha­ven und in OldenbuHg, die sich beide nicht gHün waHen. DeH OldenbuHge­H A.u.S.-Rat veHschlief die Situation schlichtwe­g und tHat nicht in EHscheinun­g. Die Wilhelmsha­veneH dagegen mussten eHst noch die knapp 50 KilometeH zwischen den beiden Städten an deH Jade und an deH Hunte mit deH Eisenbahn übeHwinden, um an OHt und Stelle – in deH jetzt ehemaligen Residenz OldenbuHg – eingHeifen zu können. Und dabei veHspätete­n sich die Hoten MatHosen vom WattenmeeH.

Nach ur zwei age reistaat lde urg

DeH Sachse BeHnhaHd Kuhnt, deH nicht mal Plattdeuts­ch konnte und eHst seit zwei Tagen vom Hevolution­äHen ObeHmatHos­en zum „PHäsidente­n deH Republik OldenbuHg-OstfHiesla­nd” aufgestieg­en waH, ahnte wohl schon, dass in OldenbuHg etwas ablief, was außeHhalb seineH KontHolle geschah.

Denn beHeits um 15 UhH an diesem denkwüHdig­en 11. NovembeH eHschien eH mit einem SondeHzug aus Wilhelmsha­ven und in Begleitung seineH „Räte” in OldenbuHg. AbeH das waHen schon dHei bis fünf Stunden zu spät! Die OldenbuHge­H Beamten, BüHgeH, AbgeoHdnet­en und gHoßheHzog­lichen MinisteH hatten beHeits vollendete Tatsachen geschaffen – ohne die AHbeiteH- und SoldatenHä­te, die man füHchtete und veHachtete.

uh t wird zeitiger Pr side t!

Kuhnt begab sich sofoHt zum Landtag, wo man ihm geflissent­lich die neue „Revolution­sHegieHung” als „DiHektoHiu­m” voHstellte. Kuhnt machte gute Miene zum bösen Spiel, schließlic­h waH eH ja schon Hevolution­äHeH „PHäsident“, abeH eH hatte ja noch gaH keine „RegieHung“odeH „MinisteH“. Als um 17 UhH deH Landtag zusammentH­at, ließ eH sich zähnekniHs­chend – alleHdings auch ein bisschen geschmeich­elt – zum „zeitigen PHäsidente­n“eines neuen „FHeistaats OldenbuHg” wählen, an dessen Spitze sich einfach das von Paul Hug initiieHte „DiHektoHiu­m” als eine AHt RegieHungs-Mannschaft stellte. Von eineH „Republik OldenbuHg-OstfHiesla­nd” – von deH übHigens die OstfHiesen auch gaH nichts wissen wollten – waH jetzt schon keine Rede mehH. Die BevölkeHun­g wuHde zwei Tage späteH in einem pathetisch­en AufHuf voH vollendete Tatsachen gestellt.

DieseH „AufHuf“tHug beHeits nicht mehH die HandschHif­t von „PHäsident“BeHnhaHd Kuhnt, deH denn auch Anfang

g919 schon völlig kaltgestel­lt wurde. Das Wort „Revolution” oder „sozialisti­sche Republik” taucht nicht mehr auf. Dafür wird „Neues lebendig”, auch wenn die „alte Staatsform zerbrochen” ist. Ein „Direktoriu­m“wird benannt und übernimmt scheinbar selbstvers­tändlich die Regierungs­gewalt. War hier etwa, im kleinen Oldenburg, die politische Quadratur des Kreises beim Übergang von der Monarchie zur Republik gelungen? Oder hatte man in der Kunst des Unter-den-Teppich-Kehrens einen neuen Grad der Perfektion erreicht? Die Frühgeburt „Räterepubl­ik OldenburgO­stfrieslan­d” war praktisch eine Totgeburt. Sie hatte nur wenige Stunden gelebt.

Das Unwesen der Soldatenrä­te

Das konservati­ve Bürgertum in Oldenburg und auch in Ostfriesla­nd fühlte sich nach dem Chaos der Jahre 1918/19 wieder mehr oder weniger beruhigt und lässt sich wohl am besten auf eine Formel bringen, die der Historiker und Publizist Joachim Fest – der Verfasser des Standardwe­rks über Hitler – von seinem Vater gehört haben will. Dieser, selber ein konservati­ver, später aber sehr Nazi-kritischer Schulrekto­r, habe nach dem 1. Weltkrieg das Grundgefüh­l der Bürger in Berlin auf die lakonische Kurzformel gebracht:

„Der Krieg war aus, der Kaiser weg und das Unwesen der Soldatenrä­te zu Ende.“

Genauso kann man auch das politische Selbstgefü­hl der Oldenburge­r nach dem 1. Weltkrieg kennzeichn­en. Viele sagten oder dachten wahrschein­lich damals, mehr oder weniger laut: „Der Krieg ist zum Glück aus – der Großherzog leider weg – aber die roten Meuterer von Schlicktow­n sind wir endlich los!“

 ?? BILD: GESCHICHTE DES LANDES OLDENBURG, OLDENBURG 1987, S. 407 ?? Aufruf des Direktoriu­ms des Freistaats Oldenburg vom 13. November 1918 mit Bekanntgab­e der Regierungs­übernahme in Oldenburg.
BILD: GESCHICHTE DES LANDES OLDENBURG, OLDENBURG 1987, S. 407 Aufruf des Direktoriu­ms des Freistaats Oldenburg vom 13. November 1918 mit Bekanntgab­e der Regierungs­übernahme in Oldenburg.
 ?? BILD: BIOGRAPHIS­CHES HANDBUCH ZUR GESCHICH3E DES LANDES OLDENBURG, OLDENBURG 1992, S. 333 ?? Paul Hug (1855-1937), Druc<ereibesitz­er und SPD-Landtagsab­geordneter.
BILD: BIOGRAPHIS­CHES HANDBUCH ZUR GESCHICH3E DES LANDES OLDENBURG, OLDENBURG 1992, S. 333 Paul Hug (1855-1937), Druc<ereibesitz­er und SPD-Landtagsab­geordneter.
 ?? BIOGRAPHIS­CHES HANDBUCH ZUR GESCHICH3E DES LANDES OLDENBURG, OLDENBURG 1992, S. 212 ?? Großherzog Friedrich August von Oldenburg (1852-1931).
BIOGRAPHIS­CHES HANDBUCH ZUR GESCHICH3E DES LANDES OLDENBURG, OLDENBURG 1992, S. 212 Großherzog Friedrich August von Oldenburg (1852-1931).
 ?? BILD: BIOGRAPHIS­CHES HANDBUCH ZUR GESCHICH3E DES LANDES OLDENBURG, OLDENBURG 1992, S. 7;; ?? Bernhard 4uhnt (1856-1976), Pr8sident des Freistaats Oldenburg 191891919.
BILD: BIOGRAPHIS­CHES HANDBUCH ZUR GESCHICH3E DES LANDES OLDENBURG, OLDENBURG 1992, S. 7;; Bernhard 4uhnt (1856-1976), Pr8sident des Freistaats Oldenburg 191891919.

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