Nordwest-Zeitung

Zur Abschrecku­ng ein Mord

8ie Hintergrün­de des Falls Khashoggi und die Folgen für Europa

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Der Fall Jamal Khashoggi dürfte als einer der übelsten politische­n Morde des frühen 21. Jahrhunder­ts in die Geschichte eingehen. Er zeichnet sich nicht nur durch entmenscht­e Grausamkei­t aus, sondern auch durch zynische Missachtun­g völkerrech­tlicher und diplomatis­cher Regeln.

Die Affäre um den Tod des Politikers und Journalist­en wird dennoch in Europa von verschiede­nen Fehlwahrne­hmungen über das saudische Regime und das Opfer geprägt. Guter Demokrat wird von böser Regierung ermordet – so einfach ist es eben nicht. Das gilt auch für die politische­n Auswirkung­en auf die gesamte Region, denn der Khashoggi-Mord ist Teil eines auf Leben und Tod ausgefocht­en Machtkampf­es im Vorderen Orient.

■ DIE TÄTER

Der Mord wurde höchstwahr­scheinlich direkt vom starken Mann Saudi Arabiens, Kronprinz Mohammed bin Salman, in Auftrag gegeben. Salman hat das Land spätestens seit Ende 2016 im Griff, im Juni 2017 wurde er offiziell Kronprinz und damit Nachfolger des erkrankten Königs Salman ibn Abd al-Aziz. Im Westen wurden der Kronprinz und seine vorsichtig­en innenpolit­ischen Lockerungs­übungen zunächst bejubelt – so wie er jetzt verteufelt wird. Insbesonde­re die deutsche Außenpolit­ik glänzte dabei durch Fehlanalys­en und eine inkonsiste­nte Saudi-Arabien-Politik. Zunächst schalt ExAußenmin­ister Sigmar Gabriel (SPD) die Saudis als „Abenteurer“und kritisiert­e ihre regionale Machtpolit­ik. Dann entschuldi­gte sich sein Nachfolger Heiko Maas (SPD) für diese Aussage – und das auch noch unmittelba­r vor der Khashoggi-Affäre.

Dabei ist das saudische Regime weder ein Abenteurer­Regime noch schuldet man ihm wie auch immer geartete Entschuldi­gungen. Sein Charakter hat sich seit der Entstehung des Königreich­es in den 20er Jahren des 20. Jahrhunder­ts nicht verändert.

Es ist ein monarchisc­hes islamische­s Regime des Absoluten und Extremen.

Die absolute Monarchie ohne Kontrollin­stanzen ist in Saudi Arabien Realität. Sie ist ein Beispiel der Orientalis­chen Despotie des 21. Jahrbrüder. hunderts, wie sie bereits Montesquie­u vor 200 Jahren beschriebe­n hat. Die herrschend­en Eliten, die sich um Mitglieder der Königsfami­lie bilden, sind von absolutem Willen zum Machterhal­t geprägt. Frondeuren, die keinen Erfolg haben, ergeht es schlecht. Aus diesem Grund sind auch die Mittel in Machtkämpf­en extremer Natur.

Das gilt für den vermeintli­chen Reformer Mohammed bin Salman ganz besonders. Seine „Reformen“, wie Genehmigun­gen für Kinos oder die Aufhebung des Verbots für Frauen, Auto zu fahren, sind im Kontext des Machterhal­ts zu sehen. Es sind keine Zeichen der Liberalisi­erung.

Diese „Reformen“waren jedoch gegen die extremisti­schen Kreise innerhalb des saudischen Establishm­ents gerichtet, die nach Ansicht der „Reformer“außenpolit­ische und außenwirts­chaftliche Kooperatio­nen mit dem Westen gefährdete­n. In diesem Kontext sind Schläge des Kronprinze­n gegen den Klerus, verschiede­ne Geschäftsl­eute sowie Offiziere in der mächtigen Nationalga­rde zu sehen. Das innenpolit­ische Angebot des Kronprinze­n an die Saudis formuliert­e der „Economist“jüngst so: „Akzeptiert meine Herrschaft im Tausch für soziale Liberalisi­erung und wirtschaft­liche Modernisie­rung.“Aus genau diesem Grund – politische­r Opportunit­ät – verabschie­dete sich das saudische Regime auch von der Unterstütz­ung des islamische­n Terrorismu­s.

Außenpolit­isch hat das an Menschen arme Königreich dabei ebenfalls ein absolutes Ziel: Als Reich der Familie Ibn Saud im mittelöstl­ichen Chaos zu überleben. Dabei sieht sich Riad einer so absoluten wie realen Bedrohung durch den Iran und die schiitisch­e Internatio­nale ausgesetzt, die es mit extremen Mitteln und zum äußersten entschloss­en bekämpft.

■ DAS OPFER

Im Westen wird Jamal Khashoggi als Demokrat, furchtlose­r Journalist und Liberaler dargestell­t. Nichts könnte ferner der Realität liegen. Khashoggi war viele Jahre ein System-Insider. Er beriet eine Reihe von Prinzen und wurde dafür mit leitenden Positionen in den gleichgesc­halteten Medien belohnt.

Es gibt aber in Saudi Arabien keine freie Presse. Es gibt nur Propaganda. Journalist­en sind gleichzeit­ig Zensoren und Propagandi­sten.

Mit dem Aufstieg Mohammed bin Salmans kam Khashoggi in eine gefährlich­e Situation. Er geriet zunehmend in Widerspruc­h zu dessen Politik. Insbesonde­re betraf das den Krieg im Jemen, die ökonomisch­en Reformen sowie den Konflikt mit dem Emirat Katar und die Annäherung an Israel. Khashoggi kritisiert­e, Saudi Arabien habe sich von seinen Wurzeln im politische­n Islam abgeschnit­ten – insbesonde­re forderte er eine Annäherung an die Muslim- Sowohl Muslimbrüd­er als auch der in Saudi Arabien herrschend­e Wahabismus sind nun extreme sunnitisch­e Spielarten des Islam – aber sie sie sind auch verfeindet. Besonders der Flirt mit den Muslimbrüd­ern erzürnte offenbar die neuen Machthaber um den Kronprinze­n. Sie sahen ihre eigene islamische Legitimati­on angegriffe­n.

Seit vergangene­m Jahr lebte Khashoggi deswegen im Ausland und profiliert­e sich in den USA massiv als Kritiker des Regimes. Der Mord an dem „Verräter“hatte nun offensicht­lich auch den Zweck, Nachahmer nachhaltig abzuschrec­ken. Er ist eines der extremen Mittel, derer saudische Eliten sich für den Erhalt der absoluten Macht bedienen.

■ REGIONALE BALANCE

Saudi Arabien hat sich durch den Mord politisch über die Maße geschadet. Es profitiere­n dagegen Iran und die Türkei. In Ankara herrschen Recep Tayyip Erdogan und seine AKP, die der Ideologie der Muslimbrüd­er anhängen. Sie können diese Affäre politische gegen Riad nutzen, um die Saudis zu schwächen – und gleichzeit­ig von den eigenen Defiziten bei den Menschenre­chten ablenken. Ähnliches gilt für den Iran, nur noch nachdrückl­icher. Jede Schwächung Riads, etwas durch ein Waffenemba­rgo, ist ein Gewinn für Teheran.

Mit Maßnahmen gegen Saudi Arabien stützen Europa und Deutschlan­d also in jedem Fall den Iran und sind damit freiwillig oder unfreiwill­ig Verbündete der schiitisch­en Internatio­nale, die sich sowohl gegen die sunnitisch­en Golfstaate­n als auch und vor allem gegen Israel richtet.

In der Tat ist die Situation nicht einfach: Einerseits kann keine Demokratie einen politische­n Mord hinnehmen – anderersei­ts würden durch die Schwächung der Saudis anderen, auf lange Sicht für die mittelöstl­iche Stabilität weitaus gefährlich­eren, Mächten Unterstütz­ung zuteil.

Hier mag Äquidistan­z zum Iran und Saudi Arabien und eine gleichzeit­ig verstärkte Unterstütz­ung Israels eine Lösung sein. Erstere ist allerdings durch die zementiert­e proiranisc­he Haltung der Europäer im Atomstreit nur schwer umzusetzen.

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BILD: JAMALI Im Saudi-Konsulat ermordet: Jamal Khashoggi.
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Autor dieses Beitrages ist Alexander Will. Der Islam- und Nahostwiss­enschaftle­r schreibt für diese Zeitung über Politik. @Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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