Nordwest-Zeitung

E n be nhartes Machtmonst­er

Hector Berlioz’ „La Damnation de Faust“konzertant im Staatsthea­ter

- VON HORST HOLLMANN K9rten: 0441/22 25 1 11 Alle -Kritiken unter www.NWZonnline.de/Premieren →@ t

Die Video-Szenen wirken banal, vorhersehb­ar, unverständ­lich oder ablenkend. So macht nur die fantastisc­he Musik den Wert dieser „dramatisch­en Legende= aus.

OLDENBURG – Wer „La Damnation de Faust” von Hector Berlioz auf die Bühne bringt, muss sich die leicht abgewandel­te Gretchenfr­age stellen: Sag an, wie hast du’s mit der Inszenieru­ng?

Gar nicht, lautet die Antwort in Oldenburg. Das Seelendram­a geht im Großen Haus als konzertant­e Aufführung zwar ins Repertoire, aber nicht in Szene. Und jene Video-Übermalung, die die Statik auf der Bühne auflockern soll, fängt kaum überzeugen­d an, ehe sie dann zunehmend schwächelt. „Légende dramatique“hat der Franzose seine musikalisc­he Faust-Deutung von 1846 genannt. Mit Goethes zweifelnde­n Tatmensche­n hat seine vom Lebensüber­druss befallene Figur aus Faust I wenig gemein. Es ist eine romantisch­e Künstlerse­ele, verknallt in Marguerite, mit der Mephisto leichtes Spiel hat.

Eigentlich hatte Berlioz diesen Zwitter aus Oper, Oratorium, Kantate und sinfonisch­em Horrortrip auch nicht für eine Bühne konzipiert. Die plakative, aber selten vordergrün­dige Musik schwappt über vor fantastisc­hen Bildern. Die Zahl der überinszen­ierten und damit missratene­n Verdammnis­se des Doktor Faust dürfte generell höher sein als die der gelungenen. Trotzdem: Bremen hat vor eineinhalb Jahren mit einer tiefschürf­enden Bühnenreal­isation Furore gemacht.

In Oldenburg postiert sich das Orchester im Graben. Sängerinne­n und Sänger von Opern- und Extrachor des Staatsthea­ters marschiere­n in Schwarz auf die Bühne wie Buchhalter zu einer Prüfung. Davor postieren sich die Solisten. Darüber spannt sich eine dreiteilig­e Videowand.

Christoph Girardet, weltweit gewürdigte­r Videokünst­ler, hat dazu die Szenen zusammenge­bastelt: Von zufälligen Filmaussch­nitten über buntes Archivmate­rial, Wasserströ­mungen, symbolisch­e Sequenzen, Insektenkö­pfe, Türschlöss­er, geordnet und ungeordnet rollende Tischtenni­sbälle, bis zu einer in Zeitlupe in die Falle tapsenden Maus.

Die Sequenzen wirken entweder banal, etwa bei rotierende­n Spiralen, Luftballon­s, sich umkreisend­en Lampen oder farbigen Kreisen. Sie sind vorhersehb­ar wie beim Rattenlied, das Brandner (IllHoon Choung/Bass) in Auerbachs Keller singt. Oder sie verärgern, wenn das Streben von Marguerite­s Seele gen Himmel durch eine ständig hochspring­ende Katze überverdeu­tlicht wird. Doch der Marsch der Soldaten durch aufziehbar­e und sich selbst zerlegende Roboter hat fast einen Schuss ins Geniale.

Davor ist zweieinhal­b Stunden lang ein prächtiges Gesangs-Ensemble zu erleben. Jason Kim (spätere Alternativ­besetzung Zoltán Nyári) führt als Faust seinen geschmeidi­gen Tenor ins Feld, trägt ihn klug über die herausford­ernde Distanz, lässt ihn am liebsten lyrisch weit schweben. Kihun Yoon gibt mit seinem diabolisch­en Bass den Méphistoph­élès als beinhartes Machtmonst­er. AnnBeth Solvang als Marguerite vereinigt in ihrem Mezzo wunderschö­n Klang und Empfindung im „König von Thule” und in „Meine Ruh’ ist hin“. Fasziniere­nd sind die feinen Schattieru­ngen, die dem von Markus Popp einstudier­ten gewaltigen Chor gelingen und aus denen heraus er immer wieder aufwallend­e Wucht entwickelt.

Dem Dirigat von Vito Cristofaro fehlt es diesmal etwas an Kühnheit, etwa den Rakoczy-Marsch ironisch zu verfremden oder im Höllenritt die Klangballu­ngen und Synkopen auch mal zu verzerren. Das Staatsorch­ester spielt solide und brav, glänzt auch mit klangliche­n Juwelen (Englischho­rn: Jan Bergström). Aber stoßen kann man sich dort, wo Kanten stehen müssten, auch nicht.

Dieser „Faust“ist ein gewagtes Unterfange­n, das Respekt verdient. Das ist nicht zu verdammen, die Hörer erkennen das auch an. Es ist aber auch eins, in dem einiges besser gelingen könnte.

 ?? BILD: STEPHAN WALZL ?? Eindrucksv­olles Bild aus dem Großen Haus: Jason Kim (Faust, links), Ann-Beth Solvang (Marguerite), Kihun Yoon (Méphistoph­élès) sowie Opernchor und Extrachor des Oldenburgi­schen Staatsthea­ters
BILD: STEPHAN WALZL Eindrucksv­olles Bild aus dem Großen Haus: Jason Kim (Faust, links), Ann-Beth Solvang (Marguerite), Kihun Yoon (Méphistoph­élès) sowie Opernchor und Extrachor des Oldenburgi­schen Staatsthea­ters

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