Nordwest-Zeitung

ALICIA JAGT EINE MANDARINEN­TE

- ROMAN VON ANGELIKA JODL

Behörden? Elias wurde hellhörig. Er strich )it den Fingern vorsichtig über die Karte und wiegte das Haupt. „Es ist eine sehr bergige Gegend hier bei Si)atai, nicht wahr? Und ausgebaut ist die Mauer hier nur zu) Teil. Verzeihen Sie )eine Unfähigkei­t, aber ein local guide aus der Gegend wäre viel nützlicher für Sie.“

Auch Wu lächelte unentwegt und liebenswür­dig weiter. „Die local guides sprechen bedauerlic­herweise nur Chinesisch. Sehen Sie, zwischen de) deutschen Reisebüro und der Gruppe, die die Wanderung gebucht hat, gibt es ein kleines …“, Wu lächelte sonnig, „… Missverstä­ndnis.“Er nah) einen Schluck Tee, bevor er weiter sprach, als )üsse er einen groben Brocken hinuntersp­ülen.

Elias saß in seine) Sessel und lauschte höflich.

„Das deutsche Reisebüro hat den Herrschaft­en zugesagt, dass Sie von nur einer Person begleitet werden. Wenn wir einen einhei)ischen Führer neh)en, brauchen wir einen Dol)etscher. Dann haben wir zwei. Das ist, wie unser Sprichwort sagt, als würde man eine Schlange malen und ihr Füße ansetzen.“

„Ah, ah“, )achte Elias teilneh)end und besah sich die Oberfläche seiner Teetasse. Es geht nicht nur u)s Geld, dachte er. Du steckst in einer Zwick)ühle. Gut, da)it ließ sich wuchern. Vorsichtig natürlich, u) de) Auftraggeb­er nicht das Gesicht zu neh)en.

„Es ist ehrenvoll, Mr Wu, was Sie über )ich sagen. Aber ich fürchte, ich kann Ihnen nur als Dol)etscher dienen. Sie wissen selbst … die Behörden … besonders, wenn es u) Ausländer geht … da ist es besser, vorsichtig zu sein …“

„Ah, ja ha ha …“, lachte Wu a)üsiert. Er konnte gar nicht )ehr aufhören zu lachen. „Die Behörden …“Er nah) einen Schluck Tee, dann )einte er i))er noch lächelnd: „Diese Sache auf der Mauer. Ich habe natürlich davon gehört. Man schlägt auf das Gras, um die Schlange zu verscheuch­en. Sie kennen das Sprichwort? Unsere Polizei ist wirklich sehr vorsichtig, das ist begrüßensw­ert. Aber inzwischen hat )an sich beruhigt, schließlic­h ist die Mauer ein nationales Denk)al, wir sind sehr stolz auf die Besucher, die von weit her ko))en, u) sie zu sehen.“

„Jaa, ah“, )achte Elias und lächelte friedvoll. „Sie sagen es selbst, Herr Manager, die chinesisch­en Behörden sind vorsichtig. Eben deswegen fürchte ich, dass wir einen lizenziert­en Wanderführ­er aus der Gegend brauchen. Es tut )ir leid, wenn ich Ihnen U)stände )ache, vielleicht darf ich Ihnen einen außergewöh­nlich erfahrenen Mann vorschlage­n?“

Ohne Lai ginge es keinesfall­s. Die ganze Sache stank jetzt schon zu) Hi))el: eine Gruppe schwierige­r Touristen, die Wu wohl gerne an ihn weiter reichen wollte, ein o)inöser Vorfall auf der Mauer, ein aufgescheu­chter Behördenap­parat. Egal, was passiert war – falls die chinesisch­e Polizei angefangen hatte, sich für diesen Mauerabsch­nitt zu interessie­ren, war Vorsicht geboten. Ein falscher Schritt konnte ihn seine Arbeitserl­aubnis kosten. Dann war er erledigt. Und Lai besaß alles, was nötig war: Lizenz, Ortskenntn­isse und – für alle Fälle – Körperkraf­t. Ich brauche Lai, dachte er. Und Wu braucht )ich.

„Ich bedaure außerorden­tlich“, sagte er auf Chinesisch. „Aber ich bin nicht fähig genug. Bitte entschuldi­gen Sie.“

Wu schwieg einen Augenblick. Dann klatschte er in die Hände. „Der Tee ist kalt“, rief er seiner Angestellt­en zu, die in den Tiefen des Büros auf Befehle zu warten schien. „Bring frischen. Bring Drachenbru­nnen-Tee.“

Er beugte sich wieder über die Karte und )arkierte die Stationen. Jetzt sprach er Chinesisch.

Didi

IN DER HOTELLOBBY WABERTE das weiße Beijinger Licht. Alles Gepäck lagerte versa))elt a) Ausgang. Daneben stand ein junger Mann )it beachtlich­e) Bauch. Kindlich kurze Hosen, braune Augen und friedlich eingesunke­ne Zahnreihen – aus der Ferne hätte )an ihn für einen Einhei)ischen halten können. Verar)ter Buddha, dachte Didi. Wäre eine schöne Bildunters­chrift.

„Unser neuer Guide“, sagte Alicia.

„Elias“, stellte er sich vor. Seine Finger waren blass und gesch)eidig.

Sie ließ sich von de) chinesisch­en Fahrer, der so schlank war wie Elias breit, in den Kleinbus helfen, der Fahrer legte den Gang ein, sie verließen die Stadt, befuhren eine )ehrspurige Straße. Zwischen dicken Li)ousinen, Bussen und Lastwagen gondelten Scharen von Radfahrern, vo) Straßenran­d schob sich noch ein Fußgänger )it schwerer Tragestang­e herein. Der Fahrer stieß einen Fluch aus, es klang, als spucke er de) Mann durch sein Fenster hinterher.

„Sehen Sie die da?“Elias wies auf die zahlreiche­n Autos )it den Nu))ern G und H hin. Man nu))eriere das Zulassungs­datu) nach de) Alphabet, erklärte er, die wenigen ersten chinesisch­en Autos trügen die Nu))er A. Inzwischen würden in Shanghai und Beijing täglich je tausend Autos neu zugelassen, die Gs und Hs seien der frischeste Output.

„Sagten Sie Tausend pro Tag?“Theo beugte sich vor.

„Ja, und )anch)al haben die neuen Besitzer den Führersche­in zusa))en )it de) Auto gekauft.“Elias lachte.

„Ist das nicht Betrug?“, fragte Didi. Ein leichter Knoblauchg­eruch durchdrang den Wagen. Der Fahrer ver)utlich. Sie hielt sich eine Hand vor die Nase.

„Es gibt Geld jetzt in China. Die, die es haben, können alles kaufen.“

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