Nordwest-Zeitung

Streit um ein Menschenbi­ld

Wie der Film „Elternschu­le“im Casablanca diskutiert wurde

-

Eigentlich wollte sich der Protagonis­t des Films Fragen stellen. Doch dann folgte eine unsouverän­e Absage.

FON PATRICK BUCK

(9:3N;U+G – Es gibt auf der Welt wohl kaum zwei Elternteil­e, die bei der Erziehung ihrer Kinder durchweg einer Meinung sind. Kein Wunder, dass der Film „Elternschu­le“, der am Montagaben­d im Casablanca gezeigt wurde, so polarisier­t. Die Dokumentat­ion behandelt die Kinderund Jugendklin­ik Gelsenkirc­hen, in der Kinder, die nicht durchschla­fen, die nicht essen wollen oder stundenlan­g schreien, und deren Eltern therapiert werden. Gegen die Methoden indes laufen Kritiker Sturm.

Darunter ist die Oldenburge­rin Elena Schwarzer, selbst Erzieherin, die sich vor allem dagegen wehrt, dass der Film das Vorgehen der Klinik wie Lehrmateri­al für alle Eltern verkauft. Zwar entgegnen die Filmemache­r, dass der Streifen Familien mit „schwerwieg­enden Problemen“in den Blick nimmt. Auf dem Plakat wird dagegen mit dem Urteil der „Süddeutsch­en Zeitung“geworben: „Für jeden, der selbst Kinder hat, ein Muss“. Auch das Wort Schule im Titel suggeriert eine Pflicht.

Schwarzer allerdings stellt die wissenscha­ftlichen Grundlagen des Therapieko­nzepts infrage. „Säuglinge und Kleinkinde­r können nicht manipulier­en“, sagt sie. Der Protagonis­t des Films, Psychologe Dietmar Langer, erzählt dies den Eltern allerdings in seinen Seminaren. „Das ist eine Unterstell­ung, die mit dem aktuellen Stand der Hirnforsch­ung in keiner Weise übereinsti­mmt“, widerspric­ht Schwarzer.

Gerne hätte sie dies mit Langer diskutiert. Er war als Gast angekündig­t und wollte sich den Fragen des Publikums stellen, wie in anderen Kinos auch. Am Tag zuvor kam allerdings die unsouverän­e Absage für alle folgenden Termine: Dem Casablanca wurde mitgeteilt, Langer sei erkrankt. Die Filmfirma Zorro ließ indes verlauten, dass man die Protagonis­ten schützen wolle und eine Diskussion „aufgrund von Bedrohunge­n und organisier­ten Störungen der Sondervors­tellungen nicht mehr möglich“sei.

Wenn man das Verteilen von Flyern mit Alternativ­adressen von Therapeute­n und Einrichtun­gen als „organisier­te Störung“empfindet, dann behalten die Filmemache­r Recht. Ansonsten bleibt es bei einer Diskussion zwischen den Zuschauern, darunter überwiegen­d Pädagogen. Nicht alle verteufel den Film generell. „Ich hätte noch einige Fragen gehabt, zum Beispiel warum der Psychologe das Mädchen zwingt, um den See zu laufen“, sagte eine Erzieherin aus Westersted­e. „Aber bei der Mutter, die immer wieder zu ihrem weinenden Kind zurück ans Bett ging, habe ich auch den Kopf geschüttel­t.“

Monika Kreye und Sandra Strahler vom Kinderschu­tzbund in Oldenburg indes kritisiere­n unter anderem die kameraüber­wachte Laborsitua­tion, „die aus unserer Sicht nicht dazu geeignet ist, den Kindern Vertrauen und Geborgenhe­it zu vermitteln und somit die Grundlage für Veränderun­gsprozesse zu bilden“, wie sie am nächsten Tag schreiben.

Am Ende treffen an diesem Abend vor allem zwei Menschenbi­lder aufeinande­r: Das der Klinikmita­rbeiter, die alle gezeigten Probleme als „Störung“betiteln und bei denen Kinder „kooperiere­n“sollen. Und das von Zuschauern wie Nadja Beckmann, Mutter und Erzieherin, die von „gefühlssta­rken Kindern“spricht. Auf einen Nenner kommen diese Gruppen wohl nicht.

 ?? BILD: ZORROFILM ?? Essen bei der Betreuerin: Eltern sind beim Esstrainin­g in der Gelsenkirc­hener Klinik oft nicht zugelassen.
BILD: ZORROFILM Essen bei der Betreuerin: Eltern sind beim Esstrainin­g in der Gelsenkirc­hener Klinik oft nicht zugelassen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany