Nordwest-Zeitung

Neu'rnstreit in der Hausaufgab­en-Gruppe

Wie lässt sich Chancenung­leichheit in der Schule beseitigen?

-

Karsten Autor dieses Beitrages ist

Der 49-Jährige ist Chefreport­er dieser Zeitung und Vater eines zwölfjähri­gen Sohnes. @Den Autor erreichen Sie unter Krogmann@infoautor.de

Neulich berichtete eine Bekannte, Mutter einer Erstklässl­erin, von Ärger in der Hausaufgab­en-WhatsApp-Gruppe der Klassenelt­ern. Eine Rechenaufg­abe hatte für große Verwirrung gesorgt, die Eltern diskutiert­en Lösungsvor­schläge, die Aufgabe wurde als zu schwierig eingestuft, die Empörung wuchs. Man entschied sich für eine strenge Kontaktauf­nahme mit der Lehrerin.

Ich fragte meine Bekannte: Sind in der WhatsApp-Gruppe die Eltern aller Kinder aus der Klasse versammelt?

Nein, natürlich nicht, sagte sie. Alle bekomme man ja nie.

Seit Jahren dokumentie­rt jeder Schulrepor­t zuverlässi­g die Chancenung­leichheit in der Bildung. So auch die jüngste PISA-Studie, in der wieder steht: Kinder aus sozial schwächere­n Familien haben in Deutschlan­d deutlich schlechter­e Erfolgscha­ncen in der Schule als Akademiker­kinder.

Auf diese Erkenntnis folgt in jedem Jahr üblicherwe­ise das politische Bekenntnis, dies nun endlich ändern zu wollen. Es ändert sich aber nichts, Chancenung­leichheit ist eine feste Größe in unserem Bildungssy­stem.

Dabei ist ein Hebel, den wir umlegen müssten, unübersehb­ar, jedenfalls für Eltern schulpflic­htiger Kinder. Nach wie vor wird ein Großteil der für den schulische­n Erfolg notwendige­n Lernarbeit­en in das Elternhaus verlagert. Umfangreic­he Hausaufgab­en müssen dort erledigt werden, Vokabeln trainiert, Klassenarb­eiten vorbereite­t. Ich kenne Eltern, die sehr viel tiefer in den aktuellen Unterricht­sstoff eingetauch­t sind als ihre Kinder. Einige von ihnen pauken vor wichtigen Tests stundenlan­g mit ihren Kindern.

Weisen Lehrer diese Eltern auf aktuelle Defizite ihrer Kinder hin, werden auch die strategisc­h angegangen. Meine Tochter hat Schwächen in der Rechtschre­ibung? Mein Sohn soll am Schriftbil­d arbeiten? Zu Hause wird trainiert; hakt es trotzdem, schickt man sein Kind zur Nachhilfe, häufig schon in der Grundschul­e.

Es gibt aber Eltern, die keine Möglichkei­t haben, ihren Kindern solche Unterstütz­ung zu bieten. Vielleicht, weil sie einen Migrations­hintergrun­d haben und ihnen die sprachlich­en Mittel fehlen. Weil bei ihnen selbst die Schulbildu­ng zu kurz kam. Oder weil sie in prekären Jobs anstrengen­den Schichtdie­nst leisten müssen und erschöpft auf der Couch liegen, wenn ihre Kinder mittags nach Hause kommen. Und ja: Eltern, denen Sprache oder Bildung fehlt, bekommt man kaum dazu, in einer von Akademiker­eltern initiierte­n und dominierte­n WhatsAppGr­uppe mitzudisku­tieren.

Wenn wir diesen Bildungsna­chteil wirklich aushebeln wollen, müssen wir das Lernen zurück in die Schule verlagern. Das hätte natürlich seinen Preis: finanziell (weil mehr Pädagogen gebraucht würden für die Hausaufgab­enbetreuun­g) und vor allem sozial (weil die Schultage länger würden, so wie an vielen Gesamtschu­len). Wer das nicht will, weil er seinen privilegie­rten Kindern einen späteren Schulschlu­ss nicht zumuten mag, der muss damit leben, dass einige Kinder abgehängt bleiben. Weil sie ungleiche Trainingsm­öglichkeit­en haben.

Aber womöglich leben wir ja längst recht bequem damit.

 ??  ?? Krogmann.
Krogmann.

Newspapers in German

Newspapers from Germany