Immer mehr Kinder in psychiatrischer Behandlung
Stress und hohe Ansprüche können bei jungen Menschen zu seelischen Erkrankungen führen
HANNOVER – Sie haben Kopfoder Bauchschmerzen, sind leicht reizbar oder fühlen sich ständig erschöpft: Wegen stressbedingter Beschwerden und psychischer Krankheiten sind immer mehr Schülerinnen und Schüler in Behandlung. Das geht aus einer Auswertung der Versichertendaten der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) in Hannover hervor. Hochgerechnet handele es sich um etwa 1,1 der insgesamt rund 9 Millionen 6- bis 18-Jährigen in Deutschland. Als Ursachen gelten der hohe Leistungsdruck durch Schule und Eltern, digitale Reizüberflutung, Mobbing in sozialen Netzwerken sowie Versagensängste.
Im Jahr 2017 waren rund 26 500 bei der KKH versicherte Kinder und Jugendliche wegen Anpassungs-, Angst- oder Schlafstörungen, Burnout, Depression sowie somatoformen Störungen in Therapie. Letztere sind Beschwerden oder Schmerzen, die keine organische Ursache haben. Im Vergleich zu 2007 stiegen die Behandlungszahlen vor allem bei den 13- bis 18-Jährigen teils um mehr als 100 Prozent. Die Daten zeigten, dass psychische Erkrankungen besser erkannt werden als früher, sagte Marcel Romanos, Leiter der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie am Würzburger Universitätsklinikum.
„Kinder sind unter Druck in Deutschland“, betonte Romanos. Auslöser für einen Klinikaufenthalt sei oft Mobbing. Auch Kinder, die eine Angststörung oder Konzentrationsproblematik mitbringen, erleben dem Jugendpsychiater zufolge schneller Stress als andere. Franziska Klemm, Psychologin bei der KKH, ermutigte die Eltern, ihre Kinder zu stärken. Wichtig sei eine Wertschätzung und Anerkennung für alles, was das Kind bereits erreicht hat.
Nach einer Forsa-Umfrage im Auftrag der KKH unter rund 1000 Eltern leidet jeder vierte 13- bis 18-Jährige unter stressbedingter Müdigkeit und Erschöpfung. 22 Prozent klagen über Kopfschmerzen. Bei den 6- bis 12-Jährigen sind 13,5 Prozent von Bauchschmerzen und genauso viele von Erschöpfung betroffen.
Laut dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen sind Lehrerinnen und Lehrer und Schulleitungen sensibler für die seelische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen geworden. „Lehrkräfte wenden sich an Eltern, wenn sie psychische Auffälligkeiten sehen“, sagte die Vorsitzende der Sektion Schulpsychologie, Meltem Avci-Werning, der Deutschen Presse-Agentur. Auch die zunehmende Beschleunigung und Komplexität rufe Stress bei den Heranwachsenden hervor, meint sie.