ALICIA JAGT EINE MANDARINENTE
Das FORTSbTZUNG
Du gefällst mir, sagte sie lautlos. Du gefällst mir, gefällst mir, gefällst mir.
Als hätte er sie gehört, drehte Lai sich um. „Okay?“, fragte er.
Theo saß an einem der Tische beim Wasserbassin und trank Bier. Gerade als sie auf ihn zuging, hielt auf dem Hof ein Minibus, dem eine Schar junger Chinesinnen entstieg. Schnatternd und kichernd liefen sie auf die Gaststube zu.
„Wie geht’s Alicia?“, fragte sie und zog sich einen Stuhl heran.
„Das wird schon wieder. Lebensmittelvergiftung wahrscheinlich, sie hat ordentlich gekotzt, die Ärmste.“
„Ach, wie schade.“Sie hatte nicht die geringste Lust über Vergiftungen zu reden, sie wusste nur, dass sie noch frische Luft wollte, sie wartete auf etwas, das kommen musste.
„Möchtest du ein Bier?“Theo stand auf und ging zum Lokal.
Hinter ihr gluckte es leise aus dem Bassin, einer der pilzig weißen Goldfische war zum Luftschnappen nach oben geschwommen. Dann hörte sie noch ein Geräusch und drehte sich um.
Von hinten, wo die Apartments lagen, war Elias aus der Dämmerung getreten.
„Ach“, sagte sie enttäuscht. Es war nicht der, den sie erwartet hatte, aber er konnte doch als eine Art Bote gelten. „Setzen Sie sich!“, sagte sie freundlich und klopfte auf den Stuhl neben sich. „Woher aus Deutschland kommen Sie?“, fragte sie und lächelte gewinnend (die meisten Leute sprachen gern über Stationen ihres Lebens wie Geburt oder Heirat, je banaler, desto begeisterter).
„Ich komme aus Bulgarien.“
„Aus … ach so! Aber Sie sind in Deutschland geboren?“
„Geboren bin ich in Indien.“
„Meine Güte, Ihr Deutsch … Ich hätte schwören können …“
Elias knetete an seinen Fingern. Er hatte sich nicht gesetzt.
„China“, sagte sie, „wie ist das – hier zu leben?“
Er lächelte unergründlich. „Es hat Sie wohl schon einiges irritiert in diesem Land?“
Hatte es das? Sie stützte ihr Kinn in die Hand. Doch – jetzt fiel ihr wieder ein, wie die Leute im Park sich nicht von ihr hatten ansprechen lassen, sie erzählte ihm davon.
Elias nickte. „Auf dem Land passiert das noch öfter. Die wenigsten können Englisch und rennen dann lieber weg. So ist das hier in China: Wenn das Gesicht bedroht ist, entzieht man sich. Das geht auch ohne Weglaufen. Als unser Fahrer heute Morgen nicht mehr weiterwusste, hat er eine Stunde lang nichts mehr geredet.“
Auf dem Platz vor der Gaststube lief die Truppe aus dem Minibus hin und her und begann, Tische und Stühle zu verrücken. Der Wirt erschien mit einem riesigen Monitor und stellte ihn auf einem der Tische ab, die Mädchen krochen darunter und begannen Elektrokabel zu verlegen und Stecker einzustöpseln.
Theo kam zurück, den Arm voller Bierdosen. „Die müssen wir schnell trinken, sonst werden sie warm!“, lachte er.
„Wie geht’s Ihrer Frau?“Elias hatte sich an Theo gewandt.
„Besser, danke.“Theo öffnete eine Dose Bier, bot sie Elias an und reichte sie an Didi weiter, da Elias den Kopf schüttelte.
„Spricht Ihr Freund eigentlich eine Fremdsprache?“Sie hielt es nicht mehr aus, sie musste Elias das fragen.
„Sie meinen Lai? Nein, der kann nur den Dialekt aus der Gegend hier.“
„Und wie … sprechen Sie ihn an? Mit seinem Vornamen?“
„Ich nenne ihn Lao Lai. Das heißt Großer oder Alter Lai.“
„So alt sieht er gar nicht aus.“
„Es ist eine Respektsbezeugung. Alt bedeutet in China Wissen, Erfahrung.“„Erfahrung …“
„Was denken Sie? Kann Ihre Frau morgen wandern?“Elias wandte sich wieder an Theo. „Unsere Strecke morgen ist nicht ganz ohne, wissen Sie.“
„Tja, das kann ich jetzt schlecht sagen.“Theo kratzte sich die Schläfe. „Warten wir ab bis morgen. Wo geht es noch mal hin?“
„Ganz hoch auf die Mauer. Zum Pekingblickturm, da soll übernachtet werden.“
Ein schriller, sich überschlagender Pfeifton ließ sie zusammenzucken. Vor dem Eingang zum Gasthaus hatte die Anführerin der Mädchentruppe ein Mikrofon angeschlossen. Sie war älter als die anderen, das Gesicht hatte sie mit fettig glänzenden Farben geschminkt. Sie führte das Mikro dicht vor ihre Lippen, als wolle sie es ablecken, und bellte hinein: „ ei!“
Der Laut hallte elektrisch verstärkt durch den Hof. Es schien, als zitterten die Lampions und erglühten jetzt erst richtig. „ ei!“, schrie die Frau noch einmal mit fordernder Stimme. „ ei, wei, wei wei, wei!“Sie schien gar nicht genug davon bekommen zu können.
„Soll ich übersetzen, was sie sagt?“
„Ja, bitte“, sagte Theo liebenswürdig.
„Sie sagt, sie würden mit ihrem Fest beginnen, sie begrüßt Sie und bittet Sie, den Anfang zu machen.“„Den Anfang?“
„Die ausländischen Gäste sollen etwas singen.“
Als hätten die feiernden Chinesinnen die Übersetzung verstanden, brachen sie in begeisterten Applaus aus. Gleich darauf erklang zu den Tönen einer Hammondorgel My Bonnie is over the Ocean. Erwartungsvoll schauten die Mädchen herüber.
„Das ist für uns?“, fragte Theo Elias.