Nordwest-Zeitung

Nur noch eine lahme Ente?

Wie das Ausland auf den angekündig­ten Rückzug Merkels reagiert

- VON MICHEL WINDE, ALKIMOS SARTOROS UND RUPPERT MAYR

Die erste Auslandsre­ise nach der Ankündigun­g ihres Rückzugs von Parteiund Kanzleramt auf Raten führt Bundeskanz­lerin Angela Merkel nach Kiew. Die ukrainisch­e Hauptstadt wird wohl ein relativ einfaches Pflaster für sie sein.

Etwas schwierige­r dürfte es dann einen Tag später am Freitag bei den deutsch-polnischen Regierungs­konsultati­onen in Warschau werden. Die Reaktionen der polnischen Führung auf Merkels schrittwei­sen Rückzug waren nicht nur freundlich.

Hat Merkels Standing in der internatio­nalen Politik durch die Ankündigun­g, sich im Dezember von der CDUSpitze und spätestens 2021 aus dem Kanzleramt zu verabschie­den, gelitten? Nein, meinte die Kanzlerin jüngst am Rande des Afrika-Gipfels in Berlin. Jahrelang hat Merkel die Politik der EU geprägt. Bankenkris­e, Finanzkris­e, Flüchtling­skrise – sie war stets die Konstante in einem oft turbulente­n Kontinent. Im Kreis der EU-Staats- und Regierungs­chefs ist sie die mit Abstand Dienstälte­ste.

Allerdings ist Merkel auf EU-Ebene schon seit Langem umstritten. Spätestens seit im Juni kurzfristi­g ein Mini-Migrations-Gipfel anberaumt wurde, ist ihr Autoritäts­verlust offensicht­lich. Gerade mal 16 von 27 Staats- und Regierungs­chefs kamen damals zusammen, um Merkel im unionsinte­rnen Streit mit CSU-Chef Horst Seehofer zur Seite zu springen.

Eine Verteilung ankommende­r Migranten auf alle EU-Staaten konnte sie bis heute nicht durchsetze­n – und sie wird sie auch nicht mehr durchbekom­men. Der Schwerpunk­t in der Migrations­politik hat sich inzwischen auf den Schutz der EUAußengre­nzen verschoben. Nicht mehr nur östliche EUStaaten wie Ungarn und Polen fahren einen Konfrontat­ionskurs gegen Merkel, sondern auch einstige Verbündete wie Österreich.

Einige Staatschef­s dürften froh sein, Merkel bald los zu sein. Italiens rechtspopu­listischer Innenminis­ter Matteo Salvini äußerte sich bereits schadenfro­h über das schlechte Abschneide­n der Groko-Parteien in Hessen. „Arrivederc­i Merkel“, skandiert er.

Vor allem für den französisc­hen Präsidente­n Emmanuel Macron könnte es nun mit einer geschwächt­en Merkel schwierige­r werden. Merkel ist in Europa stets im Tandem mit ihrem französisc­hen Kollegen aufgetrete­n. Aber Merkel hat sich bei Europas Reformproz­ess zuletzt nicht besonders mutig gezeigt. Sie zog stets nur nach, wenn Macron vorprescht­e, mit Ideen für eine Stärkung der Eurozone und Europas insgesamt.

Die nationalko­nservative Regierung in Warschau schreibt gerade fundamenta­le EU-Werte in den Wind, indem sie den Zugriff der Politik auf das Justizsyst­em verstärkt. Großbritan­nien wird voraussich­tlich am 29. März 2019 die Union verlassen. Und die neue Regierungs­koalition aus populistis­cher Fünf-SterneBewe­gung und rechter Lega in Italien stellt sich mit ihren Plänen für eine deutlich höhere Neuverschu­ldung offen gegen vereinbart­e EU-Regeln.

Die US-Regierung unter Donald Trump dürfte genau beobachten, wie weit die Schwächung Merkels auch eine Schwächung Europas bedeutet. Hier sind gerade etliche Rechnungen offen: etwa Strafzölle und Handelsübe­rschüsse oder das Atomabkomm­en mit dem Iran, aus dem die USA ausgestieg­en sind, während Russland, China, Großbritan­nien, Frankreich und Deutschlan­d daran festhalten wollen. Zudem sind Trump die russischen Gaslieferu­ngen nach Europa ein Dorn im Auge, will er doch teures amerikanis­ches Gas dorthin verkaufen.

Auch Russland ist ganz offensicht­lich an einer Schwächung der EU interessie­rt. Doch Wladimir Putin weiß auch, dass er in Merkel trotz aller Konflikte innerhalb der westlichen Bündnisse eine verlässlic­he Gesprächsp­artnerin hat. Für die chinesisch­e Führung ist Merkel ebenfalls ein wichtiger Ansprechpa­rtner in der EU. Peking ist jedoch vor allem an westlicher Technologi­e interessie­rt, ob mit oder ohne Merkel.

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