„Wir gehören in dieses Haus“
Beit 100 Jahren können Frauen in Deutschland wählen gehen und gewählt werden
Die Suffragetten in England sind berühmt – die Pionierinnen des deutschen Frauenwahlrechts weniger. Jetzt wird dieses Kapitel der Geschichte neu entdeckt.
BERLIN – Wer waren Clara Zetkin und Hedwig Dohm? Minna Cauer, Helene Lange, Anita Augspurg und Louise OttoPeters? Bei einem Quiz würden wahrscheinlich viele bei diesen Namen scheitern. Es sind alles Vorkämpferinnen, die dazu beigetragen haben, dass Frauen in Deutschland wählen dürfen – ein Recht, das es am 12. November seit 100 Jahren gibt. Es wurde 1918 in der Übergangsphase von Kaiserzeit zur Weimarer Republik verkündet.
Beim Namen Clara Zetkin dürfte es noch bei den meisten klingeln: Sie hat den Frauentag 1911 mit ins Leben gerufen, war Reichstagsabgeordnete und zu DDR-Zeiten eine sozialistische Ikone. Für Kaiser Wilhelm II. war sie die „gefährlichste Hexe des deutschen Reiches“.
Stoff fürs Kino
Nicht nur Zetkin, auch andere Frauenrechtlerinnen werden gerade wieder entdeckt und gefeiert. Das Bundesfrauenministerium fördert eine Jubiläumskampagne zu 100 Jahren Frauenwahlrecht. In Frankfurt am Main gibt es die Ausstellung „Damenwahl!“. Die frühe Frauenbewegung ist in Deutschland nicht so bekannt wie die Suffragetten-Bewegung, die Wahlrechtskämpferinnen in Großbritannien. Deren Geschichte wurde fürs Kino mit Meryl Streep verfilmt.
Das Kapitel Gleichberechtigung ist bis heute nicht abgeschlossen, von der Lohnfrage bis zu den Chefetagen. 2017 sank der Anteil der Frauen im Bundestag mit 30,9 Prozent auf das Niveau von 1998. Noch immer gibt es viele Männerdomänen.
Die Lücken fallen sogar der Bundeskanzlerin Angela Merkel auf, die sonst in Frauenfragen nicht gerade auf Alice Schwarzers Spuren wandelt. So belehrte die CDU-Chefin die Junge Union wegen des frauenlosen Bundesvorstands: „Schön männlich. Aber 50 Prozent des Volkes fehlen.“
Dass Männer solche Sätze zu hören bekommen, wäre zur Kaiserzeit kaum denkbar gewesen. Ehemänner bestimmten über das Leben ihrer Frauen. In den Kleinanzeigen der Zeitungen spiegelt sich die Gesellschaft im November 1918: Neben „preiswerten Operngläsern“, „auffallend schönen Goldfüchsen“und der „Lotterie zugunsten der Verwundeten“wird dort eine Kochkiste für die Hausfrau angepriesen – Typ: „Heimchen am Herd“.
Die Aktivistin Minna Cauer forderte hingegen schon 1902: „Die Frau gehört nicht mehr ins Haus, sie gehört in dieses Haus: den Reichstag.“Visionär war die Schriftstellerin Hedwig Dohm. Die Vordenkerin machte sich bereits 1873 für das politische Stimmrecht für Frauen stark. Einer ihrer vielzitierten Sätze lautet: „Menschenrechte haben kein Geschlecht.“
Als der Rat der Volksbeauftragten am 12. November das Wahlrecht reformierte und damit den Frauen eine Stimme gab, fiel das nicht vom Himmel. Es hatte eine Vorgeschichte – mit Vereinen, Zeitschriften, Kundgebungen, Kongressen. Im Oktober 1918 hatten mehr als 50 Frauenorganisationen den Reichs- kanzler Max von Baden aufgefordert, das Wahlrecht durchzusetzen. „Das ist ziemlich unbekannt“, sagt die Historikerin Monika Wienfort von der Berliner Humboldt-Universität. Für sie verdeutlicht es, dass das Recht nicht etwa ein „Geschenk“an die Frauen war, sondern eine Reaktion auf ihre Forderungen.
Rund 40 Staaten führten das Wahlrecht zwischen 1906 und 1932 ein, in Neuseeland gab es das Recht schon 1893. Die deutsche Gesellschaft änderte sich um die Jahrhundertwende, wie die Historikerin Hedwig Richter beschreibt: Frauen arbeiteten als Lehrerin oder Stenotypistin, sie fuhren Rad, die Badeanzüge wurden bequemer. Tausende Frauen zog es an die Universitäten. Es waren Jahre des Aufbruchs, gebremst vom Ersten Weltkrieg.
Jubiläum im Museum
Warum ist die Leistung der Frauenrechtlerinnen heute so wenig bekannt? „Revolution und Geschichte ist männlich geprägt, Frauen als Protagonistinnen fallen hinten runter“, sagt Jenny Jung, eine der Kuratorinnen am Historischen Museum Frankfurt.
Zum Jubiläum kann man die Geschichte der Frauenrechtlerinnen neu entdecken. Etwa die von Marie Juchacz, der Gründerin der Arbeiterwohlfahrt. Als erste Frau sprach die Sozialdemokratin am 19. Februar 1919 in der Weimarer Nationalversammlung. Sie fand, dass die Frauen der Regierung für das Wahlrecht nicht im althergebrachten Sinne Dank schuldeten: „Was diese Regierung getan hat, das war eine Selbstverständlichkeit: Sie hat den Frauen gegeben, was ihnen bis dahin zu Unrecht vorenthalten worden ist.“