Nordwest-Zeitung

Aus kleinem Wüsting in die große Welt

Weshalb der Kälbertech­nik-Spezialist Urban den Au9enwirts­chaftsprei­s 2018 :erdient hat

- VON RÜDIGER ZU KLAMPEN

Es geht um eine Erfolgssto­ry der Region: Basis ist die Landwirtsc­haft. Und dann wurde mehr daraus. Wie geht das?

WÜSTING – Fährt man im Gewerbegeb­iet „Auf der Striepe“zur Zentrale der Urban-Gruppe , wird man gleich mit internatio­nalem Flair empfangen: Die Hinweissch­ilder sind mehrsprach­ig verfasst. Sogar Besucher aus Osteuropa finden Orientieru­ng. Man befindet sich zwar im eher ländlichen Wüsting (Kreis Oldenburg) – zugleich aber bei einem der am stärksten globalisie­rten Unternehme­n des Oldenburge­r Landes.

Der Spezialist für Kälberfütt­erungstech­nik mit rund 120 Beschäftig­ten ist in mehr als 60 Staaten tätig. „Und es werden noch mehr“, ist sich der Gründer Helmut Urban sicher. „Aber wir können ja nicht die ganze Welt auf einmal erobern“, fügt er schmunzeln­d hinzu.

Dabei verbinden viele Menschen Helmut Urban mit einer ganz anderen Erfolgssto­ry: der Großverans­taltung „Landtage Nord“. Dass er auch eine global tätige Firma mit Kälber-Fütterungs­technik aufbaute, wissen eher wenige. Ein echter Hidden Champion also. Und ein Beispiel dafür, wie man als Mittelstän­dler Auslandsmä­rkte erobert.

Vorbild für andere

Dafür wurde dieser Global Player mit dem Außenwirts­chaftsprei­s 2018 des Landes Niedersach­sen ausgezeich­net. Es gehe hier um „ein Vorbild für andere Unternehme­n, die den Schritt ins Exportgesc­häft wagen wollen“, sagte Wirtschaft­sminister Bernd Althusmann (CDU).

Globales Geschäft – davon konnte natürlich keine Rede sein, als Helmut Urban sich 1984 in der Garage des Wüstinger Bauernhofe­s der Familie selbststän­dig machte. Thema seines Firmenproj­ekts: Produktion und Vertrieb von Kälberträn­kemixern.

Urban hatte eine Landwirtsc­haftslehre absolviert und seinen Meister gemacht. Doch um auf dem noch vom Vater geprägten, aber eigentlich zu kleinen Betrieb mit damals 15 Kühen und 25 Hektar Fläche weiterzuko­mmen, musste er sich etwas einfallen lassen. Der Junglandwi­rt saugte gebannt die damaligen Innovation­en in der Tierhaltun­g auf – und steckte selbst voller Ideen. Er tüftelte, besonders viel in den Wintermona­ten, an der Technik herum. Sein Thema: Kälberfütt­erung. Urban entdeckte bei sich selbst den Bedarf für ein flexibel nutzbares, die körperlich­e Arbeit erleichter­ndes Tränkegerä­t, das auf Milchpulve­r basierte. Damit tat sich zugleich ein Markt auf – die Basis erfolgreic­her Gründungen. Urban, der Landwirt, wurde zum innovative­n Agrartechn­iker – ein Erfolgsmus­ter, das es im regionalen Mittelstan­d häufiger gibt, auch etwa bei Big Dutchman und Agrarfrost.

Um was ging es konkret? Grob zusammenge­fasst baute Urban in seiner Garage einen runden Behälter, setzte ein Rührwerk ein und schloss einen Elektromot­or mit Intervalls­chalter an. Aus Wasser und Milchpulve­r konnte darin ein Ernährungs­getränk für Kälber angerührt werden – in optimaler Konzentrat­ion und Temperatur. Der Prototyp, mit dem vor 34 Jahren alles begann, steht noch heute in der Firma. Preis damals: um 960 D-Mark, wie Helmut Urban, der immer gut rechnen konnte, noch weiß. Es folgte eine mühsame Erschließu­ng des deutschen Marktes, gegen etablierte Platzhirsc­he im Bereich Kälberfütt­erung. Urban kurvte Zehntausen­de Kilometer durchs Land, zu potenziell­en Kunden. Er trat bei Tagungen und Agrarveran­staltungen auf. Der Wüstinger Neuling am Markt wurde so auch im Süden und Osten immer bekannter.

Zum Erfolgsfak­tor wurden regionale Vertriebsp­artner: Dutzende Firmen, die die Urban-Geräte ins Programm aufnahmen. Eigene Filialen kamen für den Mittelstän­dler wegen des Aufwandes nicht infrage. Dieses Prinzip blieb, aber die Produkte veränderte­n sich. Es sind rechnerges­teuerte Hightechge­räte geworden, ausgetüfte­lt vom Entwicklun­gsteam mit gut 15 Mitarbeite­rn. Der Umsatz ist damit in den zweistelli­gen Millionenb­ereich gewachsen. Man sieht sich unter den Top drei im Markt.

1997 begann die Erfolgssto­ry im Export. „Holland wurde unser erster Auslandsma­rkt“, erläutert Geschäftsf­ührer Thomas Sprock. Das sei ja „buchstäbli­ch naheliegen­d“– und mit überschaub­arem Aufwand verbunden. Heute werden 65 Prozent des Umsatzes auf Auslandsmä­rkFirmenho­f ten erzielt.

Urban blieb dort beim bewährten Prinzip: Man sucht sich einheimisc­he Vertriebsp­artner, die den Markt kennen (Ausnahme: Frankreich).

Einfach nur aus dem Oldenburge­r Land zu exportiere­n, das reiche oft irgendwann nicht mehr, sagt auch Felix Jahn, Geschäftsf­ührer bei der Oldenburgi­schen IHK. Man brauche Partner vor Ort. Einige oldenburgi­sche Firmen produziert­en auch im Ausland.

Dies war bei Urban jedoch nie eine Option.

Dennoch wurde man immer auslandsor­ientierter. Das warf Probleme auf – etwa: wie man mit den Partnern im Ausland optimal kommunizie­rt. „Wir haben heute um die 30 Sprachen im Computer“, erläutert Thomas Sprock. Da geht es um Geschäftsb­riefe, Betriebsan­leitungen und Zertifizie­rungen. Von Beginn an hatte man Übersetzun­gsbüros an Bord, heißt es in der Wüstinger Zentrale. Dort gibt es längst aber auch EnglischKu­rse im Haus. Und immer mehr Mitarbeite­r bringen Sprachkenn­tnisse ein. Das wird ganz flexibel gehandhabt. Kreuzt etwa ein Fernfahrer aus Russland ohne Sprachkenn­tnisse auf dem Thomas Sprock und Nicole Urban-Sprock aus der Geschäftsf­ührung im Entwicklun­gsbereich der Firma. auf, kann es passieren, dass schnell jemand im Haus gesucht wird, der mit ihm auf Russisch kommunizie­ren kann – wie eine Speditions­kauffrau, die sonst Zollformal­itäten bearbeitet.

Mit der zunehmende­n Internatio­nalisierun­g des Geschäfts veränderte sich das ständig wachsende UrbanTeam. Es setze sich heute aus „ungewöhnli­ch vielen Nationalit­äten zusammen“, erläutert Geschäftsf­ührerin Nicole Urban-Sprock. Irgendwie ist im Gespräch mit Mitarbeite­rn auch eine besondere Flexibilit­ät spürbar. Bei Urban, wo sich vom Chef bis zum Lehrling alle duzen, gab man vielen Menschen quasi eine neue berufliche Perspektiv­e – wie dem Polen Zbigniew Grzesiak (zuvor AEG Kleinmotor­en/Oldenburg). Der Breslauer ist in der Produktion tätig.

Auch Innovation­en trieben die Export-Story an. Früh erkannte Helmut Urban die Bedeutung der Rechner-Steuerung für Mixer- und Tränkeauto­maten. Experten wie Elektroing­enieur Martin Lüllmann (27 Jahre im Betrieb) tüftelten das aus. „Alles wurde bei uns selbst entwickelt. Das kann uns auch keiner wegnehmen“, sagt Urban stolz.

Ein aktueller TechnikSpr­ung bei Fütterungs­geräten sind Berührober­flächen. Dort wird viel mit Symbolen, Grafiken und einem Ampelsyste­m gearbeitet – statt mit Fachchines­isch in Anleitunge­n. Grün auf dem Display bedeutet also: alle Werte im grünen Bereich. Rot: Hier liegt ein Wert Hier laufen aus der ganzen Welt die Fäden zusammen: Urban-Team vor Zentrale in Wüsting im Soll, es besteht Handlungsb­edarf. Klar wird: Rund um den Globus kann man sehr einfach mit Geräten „made in Wüsting“arbeiten. Das spart auch Schulungsu­nd Übersetzun­gskosten.

Und so lief die Erschließu­ng immer neuer Auslandsmä­rkte kontinuier­lich weiter – über Psterreich und die Schweiz, Dänemark, England und Frankreich. Heute findet man im Logistik-Zentrum in Wüsting aber auch Pakete mit Kälberträn­keautomate­n (Urban Alma Pro), Kälberträn­kemixern (Urban Milk Shuttle) sowie Kälber-Iglus für Übersee. „Gerade ging ein Container nach Kanada raus, ein bedeutende­r Markt“, freut sich Helmut Urban im Lager. Deutschlan­d sei noch am wichtigste­n, starke Dynamik zeige Irland, viel Potenzial warte etwa in Frankreich.

Schlag auf Schlag in neue Märkte einzusteig­en, das liegt Urban aber nicht. Typisch für den Gründer ist eine „gewisse Grundordnu­ng“in der Entwicklun­g, wie er sagt. Man müsse Prioritäte­n setzen, die Firma mitwachsen lassen – und möglichst wenig Fehler machen – auch in den teils sehr fremden Zahlungs- und Rechtsgewo­hnheiten.

Hilfe per Videokonfe­renz

Häufig besteht auch akuter Beratungsb­edarf von Kunden rund um dem Globus. Wenn irgendwelc­he Parameter (etwa: Temperatur, Hygiene) der Mixer und Tränken nicht stimmen, wird von UrbanFachl­euten z.B. per Videokonfe­renz versucht, Probleme zu lösen, erläutert Nicole UrbanSproc­k. Sei dies so nicht machbar, „dann fliegen wir auch nach Übersee“. Und so haben manche Urban-Mitarbeite­r Hunderttau­sende Flugkilome­ter hinter sich.

Und natürlich sucht man auch weltoffene­n Nachwuchs. „Wir bilden selbst Groß- und Außenhande­lskaufleut­e aus“, sagt Nicole Urban-Sprock (46), die Personal und Ausbildung betreut. „Wenn man gern um die Welt reist – dann kann man bei uns sein Hobby zum Beruf machen“, sagt sie. „Die verschiede­nen Kulturen, das ist sehr fasziniere­nd“, sagt etwa „Gebietsver­kaufsleite­r Übersee“Manuel Schieritz aus Großenknet­en, der oft etwa in Südamerika und Afrika unterwegs ist. Familiäre Atmosphäre und Standort im Grünen – auch das gefalle ihr im weltweiten Geschäft, fügt Kollegin Jessica von der Kaus aus Oldenburg hinzu.

Der Gründer bleibt trotz aller Auslandsdy­namik irgendwie geerdet. Statt ewig alles selbst zu machen, hat Urban längst viel Verantwort­ung abgegeben, auch in die zweite und dritte Reihe. Die Aktivitäte­n – neben der Kälbertech­nik etwa die Landwirtsc­haft, Biogas, Landtage Nord – hat er unter einer Holding versammelt. Die nächste Generation ist längst in Verantwort­ung.

Der Firmenseni­or freut sich über sein Werk – auch im Export. Inzwischen ist man in derart vielen Märkten tätig, dass Helmut Urban entspannt sagen kann: „Wenn es irgendwo mal schwächelt, läuft es anderswo vielleicht gerade besonders gut.“

Und der Innovation­smotor läuft weiter: Auf der kommenden Messe „EuroTier“wird man mit der Neuheit „VitalContr­ol“Aufsehen erregen – einem Hilfsmitte­l zur Kontrolle der Kälbergesu­ndheit.

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BILD: TORSTEN VON REEKEN Gut gestimmt: Firmengrün­der Helmut Urban mit seinem Produkt
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BILD: TORSTEN VON REEKEN
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BILD: TORSTEN VON REEKEN

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