Nordwest-Zeitung

Im Notfall drücken, bis der Arzt kommt

NWZ-Mitarbeite­rin lernt auf humorvolle Art Erste Hilfe für 4enioren

- VON CHRISTINE BERNSMANN

Geübt wird an Notfallpup­pe Frau Kassulke. Der Rettungssa­nitäter und Referent mimt gekonnt und amüsant betagte Unfallopfe­r.

OLDENBURG – Vater sitzt auf dem Stuhl. Er stiert ins Leere. Sein Mundwinkel zuckt und der rechte Arm rutscht vom Tisch. Er redet wirres Zeug. Plötzlich kippt er nach vorn und plumpst auf den Boden. „Vater, was ist los?“Röcheln und Grunzgeräu­sche sind zu hören. Vater stöhnt. Was ist denn jetzt bloß passiert? Für einen kurzen Moment zeichnen sich Hilflosigk­eit und Schrecken in den Gesichtern der Zuschauend­en ab.

Aber dann entspannt sich die Lage, denn Roland Mersch ist der Vater und hat uns gerade die typischen Symptome eines Schlaganfa­lls vorgespiel­t. Ich sitze nämlich mit 20 anderen Personen im Gesundheit­shaus des Klinikums und nehme an dem Kurs „Erste Hilfe für Senioren“teil.

Schauspiel­er Talent

Roland Mersch arbeitet als Bildungsre­ferent und Rettungssa­nitäter und führt uns an diesem Tag von Notfall zu Notfall. Das hört sich ziemlich anstrengen­d und grässlich an, doch in den vier Stunden werden sämtliche Fragen und Vorschläge der Teilnehmen­den bearbeitet, und so gestaltet sich der Verlauf interessan­t und kurzweilig. Das liegt mit Sicherheit an dem schauspiel­erischen Talent des Referenten, der sich dank seiner berufliche­n Erfahrunge­n in die unterschie­dlichsten Notlagen hineinvers­etzt und diese überzeugen­d echt nachspielt. Ich habe noch keinen Schlaganfa­ll und Herzinfark­t miterlebt und bin dankbar für die realistisc­he Darbietung, die mir besser als jedes Video auf YouTube gefällt. Es darf zwischendu­rch nämlich auch gelacht werden, besonders dann, wenn wir selber ausprobier­en und üben können, welche Hilfsmaßna­hmen notwendig sind.

Für diese Zwecke hat Roland Mersch seine Kollegin mitgebrach­t. Er nennt sie Frau Kassulke. Sie erweist sich als geduldige und besonders leidensfäh­ige Mitarbeite­rin, die jeden Notfall kennt und mitmacht. Sie kommt zusammenge­klappt in unsere Übungsrund­e und gibt sich als Notfallpup­pe zu erkennen. Wenn sie da so liegt auf der Matte am Boden, leblos und mit Atemstills­tand, wird natürlich sofort die Herzdruckm­assage eingeleite­t, die 112 gewählt, die bekannten WFragen (Wo, Was, Wie, WelcheP am Telefon beantworte­t und so lange gepumpt, bis der Rettungsdi­enst da ist. „Nicht aufhören. Immer weiter kräftig auf das Brustbein drücken. 100 mal pro Minute“. Der Brustkorb von Frau Kassulke müsste eigentlich schon längst ausgeleier­t sein, aber sie spielt brav mit und hält durch, bis der Defibrilla­tor bei ihr zum Einsatz kommt. Das Gerät habe ich mir bisher stets respektvol­l in meiner Sparkasse im Kasten an der Wand angesehen. Wie soll ich dieses Ding nur benutzen, habe ich mich immer gefragt. Bei einem Notfall wüsste ich noch nicht einmal, wie ich das Köfferchen mit seinem Computer im Inneren überhaupt aus dem Schaukaste­n herauskrie­ge. Und was macht dieser Defi denn eigentlich? Für Frau Kassulke ist sein Einsatz lebensrett­end, denn Herzflimme­rn ist wirklich nicht spaßig.

Unfälle vermeiden

Nach etwa acht Minuten Q so lange dauert es in der Regel in Oldenburg Q sind die Sanitäter mit ihrem Blaulicht und Sirenengeh­eul da und übernehmen, Frau Kassulke wird in eine Klinik gebracht, wo sie aufgenomme­n und weiter versorgt wird. Warum habe ich diesen Kurs mitgemacht? Ich wollte wissen: Wann ist ein Notfall ein Notfall und wann ist der richtige Zeitpunkt, die 112 zu wählen? Was kann ich vorbeugend tun, um Unfälle zu verhindern? Ich lerne: Wenn ich alt bin Q und das bin ich Q sind Knochen und Muskulatur nicht mehr stabil genug, um einen Sturz abzufangen. Um nicht mit dem typischen Oberschenk­elhalsbruc­h im Krankenbet­t zu landen, soll ich die Stolperfal­len in meiner Wohnung beseitigen: Teppiche weg, Schwellen glätten, Stufen einebnen und überall Bewegungsm­elder installier­en. Mach ich später, wenn ich noch älter bin. Jetzt noch nicht. Oder eben dann, wenn es passiert.

Darum spielt Roland Mersch dann mal eben den gestürzten Vater und lässt sich von seinen Zuschauern in die stabile Seitenlage falten. Das gelingt allerdings nicht auf Anhieb, und jeder stellt dabei besorgt fest, wie lange der letzte Erste-Hilfe-Kurs zurücklieg­t.

Sicherheit gewonnen

So geht es mir auch, und ich verlasse die Veranstalt­ung sehr bereichert. Vor allem bin ich beruhigt, dass ich nun keine Angst mehr haben muss, wenn ich mit einem Notfall konfrontie­rt werde. Außerdem habe ich meine diffusen Unsicherhe­iten gegenüber dem Defibrilla­tor verloren und werde das Gerät in Zukunft vermutlich unvoreinge­nommener und freundlich­er betrachten. Und dann hoffe ich zum Schluss, dass Frau Kassulke alle Eingriffe überlebt hat und dem nächsten Kurs wieder als Kollegin von Roland Mersch zur Verfügung steht. Es lohnt sich.

Weitere Infos und Termine unter 4032274und­über

@ www.klinikum-odenburg.de

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BILD: LUKAS LEHMANN Gar nicht puppeneinf­ach: NWZ-Mitarbeite­rin Christine Bernsmann übt beim Erste-Hilfe-Kurs für Senioren unter Anleitung von Referent Roland Mersch die Herzdruckm­assage.

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