Laute Antwort auf „das leise Sterben“
Landwirte wehren sich vehement gegen eine pauschale Alleinverantwortung
Das Thema sei viel zu komplex für einfache Antworten, sagen die Landwirte. Mit vielen Maßnahmen beteiligten sie sich aktiv an besseren Lebensbedingungen für Insekten.
GROßENKNETEN – Renke Dählmann könnte keiner Fliege etwas zuleide tun, so offen und gewinnend kommt der junge Mann daher, der sich beim Kreislandvolkverband Oldenburg in Huntlosen kritischen Fragen stellt. Ihm und seiner Branche wird vorgehalten, mehr als nur den Fliegen zu schaden, sondern hauptverantwortlich für „das leise Sterben“der Insekten zu sein. Wissenschaftler haben – wie berichtet – Alarm geschlagen: Mittlerweile seien bundesweit mehr als zwei Drittel der Insekten verschwunden. Im landwirtschaftlich intensiv bewirtschafteten Nordwesten mit seiner Mais-Monokultur und unzähligen Biogasanlagen, so die Schlussfolgerung, sei der Rückgang noch dramatischer. Dählmann: „Ich bin über diese einseitige Schuldzuweisung entsetzt!“
Renke Dählmann ist Diplomagraringenieur im Landkreis Oldenburg, bewirtschaftet einen landwirtschaftlichen Betrieb und betreibt ein landwirtschaftliches Lohnunternehmen. Er hat sich bereiterklärt, zum Thema Insektensterben aus Sicht der Landwirtschaft umfassend Stellung zu nehmen. Selbstverständlich ist das nicht, denn viele Landwirte fühlen sich in Umweltdebatten unverstanden und längst als die Prügelknaben der Nation. Aus dieser Rolle wollen Dählmann und seine Kollegen heraus. „Wir Landwirte, jedenfalls der GroPteil von uns, bemühen uns, nachhaltig mit unserer Umwelt umzugehen“, sagt er. „Unser Leitbild ist eine Landwirtschaft, welche ihre Potenziale ausschöpft, aber dabei Mensch und Umwelt schont.“So steht es auf der Homepage seines Betriebes. „Und wir tun ganz praktisch etwas für Umwelt und Natur mit vielen kleinen Projekten, die oft unbemerkt von der Öffentlichkeit, nichtsdestotrotz erfolgreich laufen.“So seien allein im Landkreis Oldenburg rund 150 Landwirte beim Blühstreifen-Programm dabei.
„Zu pauschal“
Demgegenüber stehen die massiven Vorwürfe nach der spektakulären Forschungsarbeit des Entomologischen Vereins Krefeld: Der Zusammenhang zwischen Insektensterben und Intensivlandwirtschaft sei evident und plausibel, so der Oldenburger Umweltwissenschaftler Dr. Rolf Niedringhaus. Genau das hält Dählmann für zu pauschal und daher ungerecht.
Zur Unterstützung ist Dr. Josef Kuhlmann, Leiter der Fachgruppe Pflanzen bei der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, in die Geschäftsstelle des Kreislandvolkverbandes Niedersachsen gekommen. Ehren- und hauptamtlich engagiert er sich ebenfalls für mehr Artenvielfalt auf Ackerflächen. Er erläutert über einen Beamer die Krefelder Untersuchungsergebnisse und mahnt zu Zurückhaltung bei deren Auswertung: Zum einen gehe es bei dem Rückgang nicht um Artenschwund, sondern um die Biomasse der Insekten insgesamt, zum anderen sei bei den landwirtschaftlichen Schadinsekten (z.B. Blattläuse, Maiszünsler, Rapsglanzkäfer) kein signifikanter Rückgang festzustellen. „Hinzu kommt, dass es bei dieser Studie ausschliePlich um Fluginsekten geht. Das sagt nichts über die Bestände der nicht flugfähigen aus“, wehrt sich Kuhlmann gegen pauschale Rückschlüsse, dass das Insektensterben allgemein und für alle Arten gelte, „das trifft definitiv nicht zu.“Die Insektenfallen standen zudem nur in Landschafts- und Naturschutzgebieten und erlauben keinen Rückschluss auf Ackerflächen, weil keine Arten bestimmt worden seien.
Fremde Schädlinge
Der Kammer-Vertreter weist auch auf den Klimawandel mit seinen Folgen für die Biodiversität hin. „Noch nie haben wir ein so starkes Aufkommen fremder neuer Schädlinge beobachtet, was ohne Zweifel mit den veränderten und verlagerten Klimaverhältnissen zu tun hat.“Es mache keinen Sinn, jetzt einen polarisierenden Konflikt mit der Landwirtschaft zu suchen, statt sich gemeinsam an einen runden Tisch zu setzen und zu sehen, wie man die Lage verbessern kann.
Nach Ansicht von Kuhlmann ist dringend ein Monitoringprogramm (nicht nur!) für Agrarlandschaften notwendig. Es sei auch nicht hilfreich, ausschliePlich einige wenige Insektenarten mit klarer Rückgangstendenz zu beobachten. „Die Veränderungen im dynamischen System Agrarlandschaften müssen insgesamt quantifiziert werden“, fordert der Pflanzenexperte der Kammer. Dafür müssten auch entsprechende Forschungsmittel bereitgestellt werden.
Sowohl Kuhlmann als auch Dählmann räumen aber Entwicklungen in der Landwirtschaft ein, die zum Rückgang der Artenvielfalt geführt haben. Das allein aber der Landwirtschaft anzulasten sei, so Dählmann, verfehlt. „Diese Entwicklung ist doch auch einer politischen Stimmung geschuldet, die im Zuge des Atomausstiegs massiv auf alternative Energieträger, insbesondere auch auf Biogas, gesetzt hat, weil die energiepolitischen Ziele anders gar nicht zu erreichen gewesen wären.“Jetzt einfach „Haltet den Dieb!“zu rufen und auf die Landwirtschaft zu zeigen,
lenke nur von den eigenen Fehleinschätzungen ab, kritisiert Dählmann die Politik. „Die haben das gekriegt, was sie von uns wollten und auch entsprechend gefördert haben.“
Landwirte handeln
Aber es mache keinen Sinn, sich nur in die Wagenburg zurückzuziehen, erklären Dählmann und Kuhlmann unisono. Schon deshalb handelten viele Landwirte längst, statt nur zu reden. Im Landkreis Oldenburg würden bereits auf rund 500 Hektar landwirtschaftlicher Fläche in Streifen entlang der Felder und Äcker Blühpflanzen gesät. Ähnliche Projekte gebe es in den anderen Landkreisen im Oldenburger Land, berichtet Kuhlmann von zahlreichen Eigeninitiativen.
Solche Projekte, die teilweise auch von den Kommunen mit Finanzmitteln unterstützt werden, sollen weiter ausgeweitet werden. Dazu komme, dass man den Zwischenfruchtanbau ebenso wie die Fruchtfolgen verbessern wolle. AuPerdem müsse weiter nach umweltverträglicheren Alternativen zum Mais gesucht werden. Inzwischen trage auch eine ausgefeilte Technik zu mehr Umweltschutz bei: Die Steuerung via Satellit bei Düngung und Schädlingsbekämpfung mache einen besonders sparsamen Einsatz möglich. Aber die individuelle Beratung der Landwirte müsse weiter verbessert werden. Josef Kuhlmann weist auPerdem auf das neue geplante Greeningprogamm ab 2020 hin, das groPe Chancen für die Artenvielfalt biete.
Forderungen an Politik
Renke Dählmann hat klare Forderungen an die Politik
und an die Gesellschaft: „Man muss für die Landwirte finanziellen Ausgleich schaffen.“Denn der Verlust des Ackerstatus’ von Flächen führe auch sofort zu Einkommensverlust. Ohne einen finanziellen Ausgleich sei die Bereitschaft, sich an MaPnahmen wie Blühwiesen oder Brachflächenprogrammen zu beteiligen, nicht hoch. „Viele dieser MaPnahmen bedeuten für uns viel Mehrarbeit, die wir gerne leisten wollen. Denn natürlich erfreuen sich auch Landwirte an blühenden Wiesen und einer gesunden Natur. Aber wir wollen als Dank für unser Engagement nicht auch noch mit Einkommensverlusten büPen“, sagt Dählmann.
Ein „Zurück in die Landwirtschaft der 50er-Jahre“wird es nicht geben, sagen Kuhlmann und Dählmann. Wichtig sei jetzt ein Miteinander statt ein Gegeneinander, um zu praktikablen und unbürokratischen Lösungen im Sinne der Natur zu kommen.
Ursache Lichtsmog
Zugleich erinnert er an die Verantwortung von jedermann: Monokultur herrsche auch in vielen Privatgärten, in denen es oft mehr Steine als Blumen gebe. Und auch der Lichtsmog sei zweifelsfrei ein Mitverursacher für das Insektensterben. Man müsse sich fragen, ob es wirklich immer notwendig ist, ganze Landstriche nachts mit Strahlern, die zu Insektenfallen werden, auszuleuchten. Den ersten Teil der zweiteiligen Berichterstattung über das Insektensterben können Sie nachlesen unter
→ @ www.bit.ly/nwz_insekten