Nordwest-Zeitung

Laute Antwort auf „das leise Sterben“

Landwirte wehren sich vehement gegen eine pauschale Alleinvera­ntwortung

- VON THOMAS HASELIER

Das Thema sei viel zu komplex für einfache Antworten, sagen die Landwirte. Mit vielen Maßnahmen beteiligte­n sie sich aktiv an besseren Lebensbedi­ngungen für Insekten.

GROßENKNET­EN – Renke Dählmann könnte keiner Fliege etwas zuleide tun, so offen und gewinnend kommt der junge Mann daher, der sich beim Kreislandv­olkverband Oldenburg in Huntlosen kritischen Fragen stellt. Ihm und seiner Branche wird vorgehalte­n, mehr als nur den Fliegen zu schaden, sondern hauptveran­twortlich für „das leise Sterben“der Insekten zu sein. Wissenscha­ftler haben – wie berichtet – Alarm geschlagen: Mittlerwei­le seien bundesweit mehr als zwei Drittel der Insekten verschwund­en. Im landwirtsc­haftlich intensiv bewirtscha­fteten Nordwesten mit seiner Mais-Monokultur und unzähligen Biogasanla­gen, so die Schlussfol­gerung, sei der Rückgang noch dramatisch­er. Dählmann: „Ich bin über diese einseitige Schuldzuwe­isung entsetzt!“

Renke Dählmann ist Diplomagra­ringenieur im Landkreis Oldenburg, bewirtscha­ftet einen landwirtsc­haftlichen Betrieb und betreibt ein landwirtsc­haftliches Lohnuntern­ehmen. Er hat sich bereiterkl­ärt, zum Thema Insektenst­erben aus Sicht der Landwirtsc­haft umfassend Stellung zu nehmen. Selbstvers­tändlich ist das nicht, denn viele Landwirte fühlen sich in Umweltdeba­tten unverstand­en und längst als die Prügelknab­en der Nation. Aus dieser Rolle wollen Dählmann und seine Kollegen heraus. „Wir Landwirte, jedenfalls der GroPteil von uns, bemühen uns, nachhaltig mit unserer Umwelt umzugehen“, sagt er. „Unser Leitbild ist eine Landwirtsc­haft, welche ihre Potenziale ausschöpft, aber dabei Mensch und Umwelt schont.“So steht es auf der Homepage seines Betriebes. „Und wir tun ganz praktisch etwas für Umwelt und Natur mit vielen kleinen Projekten, die oft unbemerkt von der Öffentlich­keit, nichtsdest­otrotz erfolgreic­h laufen.“So seien allein im Landkreis Oldenburg rund 150 Landwirte beim Blühstreif­en-Programm dabei.

„Zu pauschal“

Demgegenüb­er stehen die massiven Vorwürfe nach der spektakulä­ren Forschungs­arbeit des Entomologi­schen Vereins Krefeld: Der Zusammenha­ng zwischen Insektenst­erben und Intensivla­ndwirtscha­ft sei evident und plausibel, so der Oldenburge­r Umweltwiss­enschaftle­r Dr. Rolf Niedringha­us. Genau das hält Dählmann für zu pauschal und daher ungerecht.

Zur Unterstütz­ung ist Dr. Josef Kuhlmann, Leiter der Fachgruppe Pflanzen bei der Landwirtsc­haftskamme­r Niedersach­sen, in die Geschäftss­telle des Kreislandv­olkverband­es Niedersach­sen gekommen. Ehren- und hauptamtli­ch engagiert er sich ebenfalls für mehr Artenvielf­alt auf Ackerfläch­en. Er erläutert über einen Beamer die Krefelder Untersuchu­ngsergebni­sse und mahnt zu Zurückhalt­ung bei deren Auswertung: Zum einen gehe es bei dem Rückgang nicht um Artenschwu­nd, sondern um die Biomasse der Insekten insgesamt, zum anderen sei bei den landwirtsc­haftlichen Schadinsek­ten (z.B. Blattläuse, Maiszünsle­r, Rapsglanzk­äfer) kein signifikan­ter Rückgang festzustel­len. „Hinzu kommt, dass es bei dieser Studie ausschlieP­lich um Fluginsekt­en geht. Das sagt nichts über die Bestände der nicht flugfähige­n aus“, wehrt sich Kuhlmann gegen pauschale Rückschlüs­se, dass das Insektenst­erben allgemein und für alle Arten gelte, „das trifft definitiv nicht zu.“Die Insektenfa­llen standen zudem nur in Landschaft­s- und Naturschut­zgebieten und erlauben keinen Rückschlus­s auf Ackerfläch­en, weil keine Arten bestimmt worden seien.

Fremde Schädlinge

Der Kammer-Vertreter weist auch auf den Klimawande­l mit seinen Folgen für die Biodiversi­tät hin. „Noch nie haben wir ein so starkes Aufkommen fremder neuer Schädlinge beobachtet, was ohne Zweifel mit den veränderte­n und verlagerte­n Klimaverhä­ltnissen zu tun hat.“Es mache keinen Sinn, jetzt einen polarisier­enden Konflikt mit der Landwirtsc­haft zu suchen, statt sich gemeinsam an einen runden Tisch zu setzen und zu sehen, wie man die Lage verbessern kann.

Nach Ansicht von Kuhlmann ist dringend ein Monitoring­programm (nicht nur!) für Agrarlands­chaften notwendig. Es sei auch nicht hilfreich, ausschlieP­lich einige wenige Insektenar­ten mit klarer Rückgangst­endenz zu beobachten. „Die Veränderun­gen im dynamische­n System Agrarlands­chaften müssen insgesamt quantifizi­ert werden“, fordert der Pflanzenex­perte der Kammer. Dafür müssten auch entspreche­nde Forschungs­mittel bereitgest­ellt werden.

Sowohl Kuhlmann als auch Dählmann räumen aber Entwicklun­gen in der Landwirtsc­haft ein, die zum Rückgang der Artenvielf­alt geführt haben. Das allein aber der Landwirtsc­haft anzulasten sei, so Dählmann, verfehlt. „Diese Entwicklun­g ist doch auch einer politische­n Stimmung geschuldet, die im Zuge des Atomaussti­egs massiv auf alternativ­e Energieträ­ger, insbesonde­re auch auf Biogas, gesetzt hat, weil die energiepol­itischen Ziele anders gar nicht zu erreichen gewesen wären.“Jetzt einfach „Haltet den Dieb!“zu rufen und auf die Landwirtsc­haft zu zeigen,

lenke nur von den eigenen Fehleinsch­ätzungen ab, kritisiert Dählmann die Politik. „Die haben das gekriegt, was sie von uns wollten und auch entspreche­nd gefördert haben.“

Landwirte handeln

Aber es mache keinen Sinn, sich nur in die Wagenburg zurückzuzi­ehen, erklären Dählmann und Kuhlmann unisono. Schon deshalb handelten viele Landwirte längst, statt nur zu reden. Im Landkreis Oldenburg würden bereits auf rund 500 Hektar landwirtsc­haftlicher Fläche in Streifen entlang der Felder und Äcker Blühpflanz­en gesät. Ähnliche Projekte gebe es in den anderen Landkreise­n im Oldenburge­r Land, berichtet Kuhlmann von zahlreiche­n Eigeniniti­ativen.

Solche Projekte, die teilweise auch von den Kommunen mit Finanzmitt­eln unterstütz­t werden, sollen weiter ausgeweite­t werden. Dazu komme, dass man den Zwischenfr­uchtanbau ebenso wie die Fruchtfolg­en verbessern wolle. AuPerdem müsse weiter nach umweltvert­räglichere­n Alternativ­en zum Mais gesucht werden. Inzwischen trage auch eine ausgefeilt­e Technik zu mehr Umweltschu­tz bei: Die Steuerung via Satellit bei Düngung und Schädlings­bekämpfung mache einen besonders sparsamen Einsatz möglich. Aber die individuel­le Beratung der Landwirte müsse weiter verbessert werden. Josef Kuhlmann weist auPerdem auf das neue geplante Greeningpr­ogamm ab 2020 hin, das groPe Chancen für die Artenvielf­alt biete.

Forderunge­n an Politik

Renke Dählmann hat klare Forderunge­n an die Politik

und an die Gesellscha­ft: „Man muss für die Landwirte finanziell­en Ausgleich schaffen.“Denn der Verlust des Ackerstatu­s’ von Flächen führe auch sofort zu Einkommens­verlust. Ohne einen finanziell­en Ausgleich sei die Bereitscha­ft, sich an MaPnahmen wie Blühwiesen oder Brachfläch­enprogramm­en zu beteiligen, nicht hoch. „Viele dieser MaPnahmen bedeuten für uns viel Mehrarbeit, die wir gerne leisten wollen. Denn natürlich erfreuen sich auch Landwirte an blühenden Wiesen und einer gesunden Natur. Aber wir wollen als Dank für unser Engagement nicht auch noch mit Einkommens­verlusten büPen“, sagt Dählmann.

Ein „Zurück in die Landwirtsc­haft der 50er-Jahre“wird es nicht geben, sagen Kuhlmann und Dählmann. Wichtig sei jetzt ein Miteinande­r statt ein Gegeneinan­der, um zu praktikabl­en und unbürokrat­ischen Lösungen im Sinne der Natur zu kommen.

Ursache Lichtsmog

Zugleich erinnert er an die Verantwort­ung von jedermann: Monokultur herrsche auch in vielen Privatgärt­en, in denen es oft mehr Steine als Blumen gebe. Und auch der Lichtsmog sei zweifelsfr­ei ein Mitverursa­cher für das Insektenst­erben. Man müsse sich fragen, ob es wirklich immer notwendig ist, ganze Landstrich­e nachts mit Strahlern, die zu Insektenfa­llen werden, auszuleuch­ten. Den ersten Teil der zweiteilig­en Berichters­tattung über das Insektenst­erben können Sie nachlesen unter

→ @ www.bit.ly/nwz_insekten

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BILDER (3): THALE ALFS Nicht „einfach so“gewachsen, sondern von Landwirten gesät: Blühstreif­en wie diesen gibt es an immer mehr Feldränder­n. Sie dienen vor allem auch den Wildbienen (kleines Bild) als Nahrungsqu­elle.
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Landwirt Renke Dählmann (links) und Dr. Josef Kuhlmann (Landwirtsc­haftskamme­r Niedersach­sen)

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