Nordwest-Zeitung

Im Hasbruch die letzte Ruhe finden

Im Hasbruch können sich Menschen unter Bäumen bestatten lassen – Gabriel Theermann berät bei Wahl des Ortes

- 74. ELLE. KRA.Z

Der Friedwaldf­örster steht Angehörige­n von Verstorben­en bei. Auch seinen eigenen Baum hat er bereits gefunden.

HUDE – Ein Mag im November. Ein kalter Wind weht durch die knorrigen Baumkronen. Am Himmel ziehen graue Wolken vorüber. Der Boden ist mit buntem Laub bedeckt. Gabriel Theermann klappt seinen Kragen hoch und versteckt seine Hände tief in den Jackentasc­hen.

Der 69-Jährige ist einer der drei Friedwaldf­örster im Hasbruch bei Hude. Früher war er als Förster unter anderem für das Reiherholz zuständig. Als 2003 Gespräche über den Friedwald laut wurden, habe man ihn gefragt, ob er den Wald in der Eröffnungs­phase betreuen wolle. „Ich habe gesagt, dass ich das mal versuche“, sagt der gebürtige Emsländer, dessen Vater bereits Förster war, mit leiser, ruhiger Stimme. „Früher hatte ich ein eher distanzier­tes Verhältnis zum Sterben und dem Tod – das hat sich seitdem sehr geändert. Die Arbeit hat mir von Anfang an sehr viel gegeben“, sagt der gelernte Förster, während er einen der breiten Waldwege entlanggeh­t. Laub raschelt unter seinen Füßen.

„Meine Aufgabe ist es, Menschen in schwierige­n Sibenen

tuationen beizustehe­n“, sagt Gabriel Theermann. Schon nach kurzer Zeit habe er festgestel­lt: „Ich kann damit umgehen.“Auch das Konzept des Friedwalde­s käme ihm hierbei zu Hilfe: „Die Menschen werden wieder in die Natur gegeben – es ist ein Kreislauf, der nachvollzi­ehbar ist.“

Am Forstberuf habe ihn – anders als andere Kollegen – nicht die Jagd, sondern vor allem die Pflege des Waldes interessie­rt. „Jetzt bin ich in meinem alten Revier – die Bäume kenne ich alle mit Vornamen“, sagt Gabriel Theermann, während er zu einer Musterstel­le geht. „Hier zeige ich bei Führungen, wie eine Bestattung abläuft.“

Jeder Baum eignet sich

Der Friedwaldf­örster hält eine Urne hoch, die aus hartgepres­ster Zellulose besteht und biologisch abbaubar ist. „Wir haben einmal einen Versuch gemacht, Kaminasche in eine Urne gegeben und vergraben – nach vier Jahren hatte

sich die Urne fast komplett aufgelöst“, erzählt er. Dabei komme es auch darauf an, wie feucht der Boden ist.

Doch wie läuft eine Bestattung im Friedwald ab? „Zuerst treffen wir Förster eine Vorauswahl. Dabei eignet sich im Grunde jeder Baum, der gesund aussieht, für ein Baumgrab.“Die ausgewählt­en Bäume stehen meist mit einem Abstand von sechs bis acht Metern zueinander und werden mit einer Nummer versehen. Die Urnen werden zwei bis drei Meter vom Baum entfernt und im Uhrzeigers­inn begraben. Unter anderem Eichen, Buchen, Birken, Erlen, Fichten, Linden oder Weiden können ausgewählt werden. „An allen Bäumen können bis zu zehn Urnen platziert werden“, sagt Gabriel Theermann. Um freie Familienbä­ume werden blaue, um freie Gemeinscha­ftsbäume gelbe Bänder gebunden.

Die Bäume können entweder selbst oder nachträgli­ch auch von den Verwandten ausgesucht werden. Eine der

Haupttätig­keiten des Försters: „Es gibt Baumauswah­ltermine, bei denen ich mit den Menschen durch den Wald gehe“, sagt Gabriel Theermann und zeigt auf verschiede­ne Bäume. „Es kommen ganz verschiede­ne Menschen durch alle sozialen Schichten – mittlerwei­le auch immer mehr Katholiken.“

Mit einem gewöhnlich­en Spaten hebt Gabriel Theermann die 60 bis 70 Zentimeter tiefen Löcher aus, deren Durchmesse­r kaum größer als der der Urne ist. „Hin und wieder trifft man auf eine Wurzel, Steine oder Raseneisen­erz – dann wird es mühsam“, sagt er und verdeckt das kleine Loch mit einer Holzplatte.

Um die Grabstätte liegen Farnkraut, Blätter, im Winter Tannengrün. „Es soll nicht verschnörk­elt sein – schlicht, aber ansprechen­d“, sagt der Förster. Grabschmuc­k oder Blumen seien nur bei der Beisetzung gestattet, müssten dann aber mit ins Grab gegeben werden. „Es soll nach der

Beisetzung so aussehen wie vorher. Die Menschen sollen nicht erkennen, wo man gegraben hat.“Zwei Drittel der Urnen – die aus den ersten Jahren des Friedwalde­s – existierte­n sowieso nicht mehr. An einigen Bäumen erinnern auf Wunsch Namenstafe­ln an die Verstorben­en.

Dabei können die Angehörige­n frei über den Ablauf der Beisetzung entscheide­n – Pastor, Trauerredn­er oder auch eine Beerdigung in Eigenregie sind möglich. „Die Abschiedsf­eiern sind so unterschie­dlich wie die Menschen selbst“, sagt Gabriel Theermann während er eine Runde durch den Wald dreht. „Manchmal müssen die Menschen aktiv werden. Das ist für die meisten erst einmal befremdlic­h“, sagt er und ergänzt: „Von Trommel, über Dudelsack bis Alphorn oder Chöre – hier gab es schon alles. Und es ist auch nicht unbedingt die Musik, die man auf einer Beerdigung vermutet.“Die Menschen gestalten die Feier so, wie sie zu der Familie und den Verstor- passt – manchmal ist es auch still. Als Förster stehe er ruhig dabei, lasse schließlic­h die Urne hinab. Mit dem Zuschütten des Grabes wartet er.

Möglichkei­t zum Trauern

Und welche Bäume sind am beliebtest­en? Viele Menschen wollen etwas dickere Bäume. Doch das sei auch eine Preisfrage. „Der Platz und das Umfeld sind wichtiger“, sagt Gabriel Theermann während er an einer der vielen Bänke vorbei geht.

Hat er sich schon Gedanken über seine eigene Bestattung gemacht? „Meine Frau wollte immer eine Eiche, ich eine Buche – in diesem Jahr haben wir eine Hainbuche gefunden, die mit einer Eiche zusammenwä­chst und unseren Platz gefunden“, sagt der Förster. „Der Wald bietet die Möglichkei­t zu trauern. Es ist ein Ort, der beschützen­d und tröstend wirkt“, sagt er. „Ich versuche, die Schicksale nicht zu nah an mich zu lassen.“

Doch das gelingt nicht immer. „Wir haben auch einen besonderen Baum, den Sternschnu­ppenbaum“, sagt Gabriel Theermann leise und atmet tief durch. Es ist ein Baum für Kinder bis zum dritten Lebensjahr. Mit ruhigen Schritten geht der Friedwaldf­örster weiter. Der Wind heult oben in den Wipfeln. Ein Sonnenstra­hl kämpft sich durch die Wolken, scheint auf die Bäume. Es ist friedlich.

 ?? BILDER (4): T4RSTE. 74. REEKE. ?? 7erbindung zur .atur: Der Friedwald Hasbruch bietet Menschen einen 4rt für Bestattung­en.
BILDER (4): T4RSTE. 74. REEKE. 7erbindung zur .atur: Der Friedwald Hasbruch bietet Menschen einen 4rt für Bestattung­en.
 ??  ?? Markierung­en: Ausgewählt­e Bäume bekommen .ummern.
Markierung­en: Ausgewählt­e Bäume bekommen .ummern.
 ??  ?? 4hne viel Schmuck: Eine Urne ist auf dem Grab platziert.
4hne viel Schmuck: Eine Urne ist auf dem Grab platziert.
 ??  ?? Kümmert sich um den Friedwald: Förster Gabriel Theermann
Kümmert sich um den Friedwald: Förster Gabriel Theermann

Newspapers in German

Newspapers from Germany