Nordwest-Zeitung

Beginnt der eigentlich­e Brexit erst 2023?

Außenminis­ter stellen sich hinter Abkommen – Brüssel bietet London mehr Zeit an

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

In der EU wächst die Bereitscha­ft, Großbritan­nien für den Vollzug des Bre5it mehr Zeit zu geben. Nun sollen die Staats- und Regierungs­chefs entscheide­n.

BRÜSSEL – Die Außenminis­ter waren sich einig: „Das ausgehande­lte Abkommen mit Großbritan­nien ist ein fairer Kompromiss“, sagte Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD), als er am Montag in Brüssel mit seinen Amtskolleg­en zusammentr­af. „Niemand könnte seinen Bürgern erklären, wenn man eine solche Chance ungenutzt an sich vorüberzie­hen lassen würde.“

Ähnlich äußerten sich auch die übrigen Außenamtsc­hefs und signalisie­rten damit in Richtung London: „Die EU steht weiter einig zusammen, und niemand darf die Fortschrit­te übersehen, die wir erreicht haben“, wie es Gernot Blümel, der österreich­ische Europamini­ster und Vertreter der halbjährli­ch wechselnde­n EU-Ratspräsid­entschaft, ausdrückte. Gerüchte, es habe im Kreis der Mitgliedst­aaten Nachforder­ungen gegeben, wiesen Maas und Blümel zurück. Am Sonntag hatte es geheißen, Frankreich sei mit der Regelung der Fischereir­echte in der Irischen See nicht einverstan­den. Davon war am Montag keine Rede mehr.

Wenige Tage vor dem EUSondergi­pfel der Staats- und Regierungs­chefs am Sonntag in Brüssel, an dem nun auch die britische Premiermin­isterin Theresa May teilnehmen soll, scheint Bewegung in die Gespräche gekommen zu sein. „Wenn sich die 27 einigen“, sagte Chefunterh­ändler Michel Barnier, „können wir die Übergangsp­hase verlängern.“Über „eine einmalige, begrenzte“Ausdehnung dieser Periode bis 2023 gebe es „keine Meinungsve­rschiedenh­eiten“.

De facto würde dieser Schritt, der sich an den Austritt des Vereinigte­n Königreich­es aus der Union am 29. März 2019 anschließt, dazu führen, dass der Brexit erst danach voll in Kraft treten würde. London bliebe zusammen mit der EU in einer Zollunion, dürfte aber nicht mehr an der Gestaltung des Binnenmark­tes mitwirken. Auch neue Freihandel­sabkommen, die die Mitgliedst­aaten in dieser Zeit unterzeich­nen, hätte die britische Regierung mitzutrage­n.

Ein solcher Schritt würde nach Angaben des EU-Chefunterh­ändlers aber kein „einseitige­r Akt“der 27 Mitgliedst­aaten sein können. Denn London hätte für eine Verlängeru­ng der Übergangsp­hase auch entspreche­nde Beiträge an Brüssel zu zahlen. „Wie viel das sein müsste, kann ich derzeit nicht sagen.“

Bis Sonntag wollen die zuständige­n Außen- und Europamini­ster der EU nun eine Politische Erklärung der Staats- und Regierungs­chefs ausarbeite­n. Es handelt sich dabei um ein Eckpunktep­apier über die künftigen Beziehunge­n zwischen der Union und Großbritan­nien.

Im Mittelpunk­t stehen Fragen zu einer Wirtschaft­s- und Sicherheit­spartnersc­haft, wie sie nach dem Austrittsd­atum dann noch in Verträgen zwischen Brüssel und London festgelegt werden müsste. Die Gespräche darüber können aus rechtliche­n Gründen erst im April nächsten Jahres beginnen, weil Großbritan­nien bis Ende März noch Mitglied der Gemeinscha­ft ist, die entspreche­nden Verhandlun­gen aber grundsätzl­ich nur mit einem Nicht-EU-Land geführt werden können.

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