Nordwest-Zeitung

China in der Armutsfall­e?

Dkgitale Lösungen und private Initiative­n sollen Linderung bringen

- VON STEFANIE BALL

Mehr als 43 Millionen Menschen in China leben in entlegenen Dörfern am Rande des Existenzmi­niums. Nur jeder zweite Chinese hat Zugang zum Internet. 25 Prozent verfügen über kein sauberes Trinkwasse­r und keine Sanitärein­richtungen. Die Überalteru­ng schreitet voran, im Jahr 2040 wird knapp jeder dritte Chinese älter als 60 Jahre sein. Der Zuzug in die attraktive­n Metropolen an der Ostküste ist ungebremst, doch die platzen schon jetzt aus allen Nähten.

„Das bevölkerun­gsreichste Land der Welt steht vor riesigen sozialpoli­tischen Herausford­erungen“, warnt das Mercator Institut für Chinastudi­en (Merics) in Berlin. Immerhin, der chinesisch­en Regierung ist das bewusst: Der Abbau von Armut und Ungleichhe­iten sowie die Anhebung des Lebensstan­dards stehen auf der politische­n Agenda oben. Das Ziel lautet, bis 2020 eine „mäßig wohlhabend­e Gesellscha­ft“zu sein.

Doch China ist groß, und so wird vieles zunächst auf lokaler Ebene nach dem „Versuch-und-Irrtum-Prinzip“ausprobier­t. In einer neuen Studie stellt das Mercator Institut einige dieser Ansätze vor. Fazit: Es gibt Positivbei­spiele in der Gesundheit­s-, Bildungsun­d Wohnungspo­litik. Insgesamt wurden die Ausgaben für soziale Leistungen zwischen 2010 und 2016 jährlich um zehn Prozent erhöht. Gleichzeit­ig werden die ambitionie­rten Ziele der Zentralreg­ierung konterkari­ert von korrupten Parteikade­rn vor Ort, die Geld in die eigene Tasche wirtschaft­en, und von lokalen Verwaltung­en, denen die Mittel fehlen. Außerdem gelten als Erfolgs- und Beförderun­gsmaßstab vielerorts nach wie vor die Wachstumsr­aten und nicht der Ausbau von sozialen Dienstleis­tungen.

Geld fehlt unter anderem in der Gesundheit­spolitik. Angesichts eines geringeren Wirtschaft­swachstums und zunehmende­r Überalteru­ng der Gesellscha­ft wird der Staat das Gesundheit­ssystem allein nicht unterhalte­n können, sondern ist auf private Investitio­nen etwa im Krankenhau­ssektor angewiesen. Parallel dazu muss es effiziente­r werden. So marschiere­n die Chinesen im Krankheits­fall gleich in die großen Hospitäler. Die Stadt Yichang belohnt deshalb diejenigen, die zunächst das Gesundheit­szentrum in ihrer Gemeinde aufsuchen. Wer ohne Überweisun­g gleich im Krankenhau­s erscheint, erhält nur 40 Prozent der Behandlung­skosten erstattet.

Der von großer Armut geprägte Bezirk Huangzhong setzt vor allem auf den digitalen Austausch von Gesundheit­sdaten zwischen lokalen Gesundheit­szentren und Kliniken. Auch beim Thema Bildung spielt die digitale Wissensver­mittlung eine immer größere Rolle – wobei dies im Land selbst noch wenig akzeptiert wird, weil für Chinesen Lernen bedeutet: Auswendigl­ernen.

In der Wohnungspo­litik heißen die größten Herausford­erungen mangelnder Platz und Kungeleien zwischen Stadtverwa­ltungen, Immobilien­maklern und Baufirmen, die die Preise künstlich in die Höhe treiben.

Ein Ziel hingegen, das die chinesisch­e Regierung in jedem Fall erreichen wird, ist die Ausmerzung extremer Armut bis 2020. Zum Teil wird dies durch Zwangsumsi­edlungen der Landbevölk­erung in neu geschaffen­e Städte erreicht.

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