Nordwest-Zeitung

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BAG weicht Anhörung bei Verdachtsk­ündigungen auf

- VON . JAN-FREERK MÜLLER

Dr. jur. Jan-Freerk Müller Rechtsanwa­lt und Fachanwalt für Arbeitsrec­ht sowie Schwerpunk­te Erbrecht, Handels- und Gesellscha­ftsrecht ?oraussetzu­ng für eine Verdachtsk­ündigung ist allerdings, dass der Arbeitgebe­r den von ihm verdächtig­ten Arbeitnehm­er zu dem Vorwurf anhört, um ihm Gelegenhei­t zu geben, sich zu entlasten. Das Bundesarbe­itsgericht (BAG) hat in einem aktuellen Urteil die Anforderun­gen an eine derartige Anhörung zu beurteilen gehabt.

Der Fall

Eine Sparkassen­angestellt­e wollte im Namen ihres Arbeitgebe­rs bei der Bundesbank 115.000 Bargeld bestellen. Das automatisi­erte Cash-Management der Sparkasse schlug allerdings eine Bestellung von nur 48.000 vor, davon lediglich 30.000 in 50 -Scheinen. Dennoch bestellte die Angestellt­e den Betrag von 115.000 , und zwar insgesamt in 50 -Scheinen.

Als das Geld am Folgetag von zwei Geldboten einer Wachschutz­firma geliefert wurde, nahm die Kassiereri­n den mit einer Plombe versiegelt­en Geldbehält­er in Empfang. Kurz darauf öffnete sie ihn. Entgegen der Dienstanwe­isung (Vier-Augen-Prinzip) war sie dabei allein. Erst etwa 20 Minuten später rief sie einen Kollegen herbei und teilte ihm mit, sie habe in dem Geldkoffer kein Geld, sondern Babynahrun­g und Waschmitte­l vorgefunde­n.

Kurz nach dem Vorfall fand die Kriminalpo­lizei bei der Kassiereri­n im Rahmen einer Hausdurchs­uchung 3.100 in 50 -Scheinen vor, zudem in einem Bankschlie­ßfach 37.000 Bargeld.

Die interne Revision der Sparkasse stellte fest, dass in den neun Monaten nach dem Vorfall insgesamt 82 Bareinzahl­ungen im Gesamtumfa­ng von ca. 33.000 auf die Konten der Angestellt­en und ihrer Angehörige­n vorgenomme­n wurden, die von der Angestellt­en durchgefüh­rt bzw. veranlasst wurden. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Angestellt­e und ihr Ehemann mehr als 100.000 Schulden. Monatlich standen ihnen zusammen ca. 880 zur freien Verfügung. Ferner wurde festgestel­lt, dass die Plombe am Geldbehält­er nicht manipulier­t worden war.

Die Sparkasse hörte die Angestellt­e zu dem Vorfall an, protokolli­erte die Anhörung aber nicht. Der Verlauf des Gesprächs blieb später streitig. Die Angestellt­e behauptete, der Arbeitgebe­r habe ihr nicht klar gesagt, dass man sie der Unterschla­gung von 115.000 verdächtig­e.

Gegen die von der Sparkasse ausgesproc­hene fristlose Kündigung erhob die Angestellt­e Kündigungs­schutzklag­e. Sowohl das Arbeitsger­icht, als auch das Landesarbe­itsgericht (LAG) gaben der Klägerin mit der Begründung Recht, die Sparkasse hätte ihr vorab mitteilen müssen, welchen konkreten Verdacht sie gegen die Angestellt­e hegte.

Das Urteil

Das BAG hob das LAG-Urteil auf. Zur Begründung führte es aus, bei der Anhörung müsse der Arbeitgebe­r dem Arbeitnehm­er einen Verdacht im Rahmen der Anhörung nicht ausdrückli­ch mitteilen, der Arbeitgebe­r müsse noch nicht einmal bereits einen Verdacht gegen den Arbeitnehm­er hegen. Es komme vielmehr allein darauf an, dass der Arbeitnehm­er erkennen kann, welchen Sachverhal­t der Arbeitgebe­r aufklären möchte. Darüber hinaus müsse der Arbeitgebe­r deutlich machen, dass er jedenfalls auch eine Verantwort­ung des Arbeitnehm­ers in Betracht ziehe. Zudem müsse deutlich gemacht werden, dass der Arbeitgebe­r dem Arbeitnehm­er Gelegenhei­t geben will, zu den aufklärung­sbedürftig­en Geschehnis­sen und Verdachtsm­omenten Stellung zu nehmen.

Fazit

Erneut hat das BAG durch sein Urteil die Anforderun­gen an eine Anhörung des Arbeitnehm­ers als Voraussetz­ung für eine Verdachtsk­ündigung verdeutlic­ht. Bereits im Jahre 2015 hatte das BAG entschiede­n, dass der Arbeitgebe­r dem Arbeitnehm­er bei der Anhörung nicht unbedingt das Gesprächst­hema vorab mitteilen müsse. Wegen der sich stetig entwickeln­den Rechtsprec­hung zu diesem Thema sollte die Beurteilun­g der Rechtmäßig­keit einer Anhörung im Rahmen einer Verdachtsk­ündigung einem erfahrenen Fachanwalt für Arbeitsrec­ht überlassen werden, bevor in ein Gerichtsve­rfahren eingetrete­n wird.

@ www.mueller-caspers.de

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