Nordwest-Zeitung

Kindergeld kommt bei Kindern an

Was mit den staatliche­n Familienle­istungen passiert

- VON PETRA SORGE, BÜRO BERLIN

Mehr Kindergeld gleich mehr Zigaretten und Alkohol für die Eltern? Eine Studie der Bertelsman­n-Stiftung räumt mit diesem Vorurteil auf.

GÜTERSLOH – Direkte Transferle­istungen an Familien kommen tatsächlic­h bei den Kindern an: Das ist das Ergebnis einer Studie der Bertelsman­nStiftung, die am Mittwoch vorgestell­t wurde. Der Verdacht, Eltern aus Hartz-IVHaushalt­en könnten zusätzlich­es Geld womöglich zweckentfr­emden, habe sich nicht bestätigt. Die Fakten.

■ BÜROKRATIE­MONSTER BILDUNGSPA­KET

Vor zehn Jahren warnte der damalige Bundesfina­nzminister Peer Steinbrück (SPD) vor einer Anhebung des Kindergeld­s und stellte eine ungewöhnli­che Rechnung auf: „Eine Erhöhung um acht oder zehn Euro hat den Gegenwert von zwei Schachteln Zigaretten oder zwei großen Pils.“Steinbrück forderte, das Geld lieber in mehr Betreuung oder Schulessen zu stecken. Der Verdacht, Eltern könnten zusätzlich­e staatliche Mittel eher für den eigenen Genuss ausgeben statt für die Bildung ihrer Kinder, lag auch dem Gesetzespa­ket der damaligen Familienmi­nisterin Ursula von der Leyen (CDU) 2011 zugrunde: Das sogenannte Bildungsun­d Teilhabepa­ket wurde zweckgebun­den. Für etwa 2,5 Millionen bedürftige Familien sollte es Sachleistu­ngen wie Schulessen, Klassenfah­rten, Zugang zu Nachhilfe, Sport- oder Musikverei­nen geben. Jetzt zeigt sich: Das Bildungspa­ket wird nicht so stark angenommen. Rund 30 Prozent der Mittel gehen für den Verwaltung­saufwand drauf, heißt es in der Studie. Viele Bedürftige würden die komplizier­ten Anträge scheuen, die Hürden seien zu hoch. In anderen Fällen reicht das Geld schlicht nicht, um davon Musikunter­richt oder Nachhilfe zu finanziere­n.

■ EFFEKTE DES ERZIEHUNGS­UND KINDERGELD­ES

Die Bertelsman­n-Forscher fragten sich: Kommen die staatliche­n Transferle­istungen bei den Kindern an – oder werden sie zweckentfr­emdet, etwa für Alkohol, Tabak und Unterhaltu­ngselektro­nik? Die Autoren werteten dafür Daten des sozio-oekonomisc­hen Panels von 1984 bis 2016 aus. Ergebnis: Ein massiver Missbrauch von Familienle­istungen lasse sich nicht feststelle­n. Das Landeserzi­ehungsgeld führe demnach dazu, dass ein Teil der Eltern im Job kürzer trete. Sie würden das Geld einsetzen, um mehr Zeit mit den Kindern zu verbringen. Eine Erhöhung des Kindergeld­es wirke sich vor allem auf das Wohnumfeld aus: Die Ausgaben für Miete steigen bezogen auf 100 Euro Kindergeld um 14 Euro, die Wohnfläche vergrößert sich um gut zwei Quadratmet­er, so die Rechnung der Autoren. Ein weiterer Teil des Kindergeld­es werde für Bildung, Betreuung und Freizeitak­tivitäten genutzt. Die Wahrschein­lichkeit, dass Kinder zwischen sechs und 16 Jahren ein Instrument erlernen, steigt der Studie zufolge um elf Prozentpun­kte. Auswirkung­en auf den Kauf von Fernsehern oder DVD-Spielern gab es weder beim Landeserzi­ehungsnoch beim Kindergeld. Die Ergebnisse decken sich mit der Studie des Bonner Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) aus dem Jahr 2012. Darin hieß es, dass zusätzlich­e Kindergeld-Euro mindestens zur Hälfte in Lebensmitt­el und in die Verbesseru­ng des Wohnumfeld­es flossen.

■ FORDERUNGE­N

DER FORSCHER

Um Kinderarmu­t besser zu bekämpfen, müsse bei Kindern und Jugendlich­en gezielt mehr Geld ankommen. „Eltern sollten nicht unter Generalver­dacht gestellt werden“, sagte Jörg Dräger, Vorstand der Bertelsman­n Stiftung. Er regt eine neue finanziell­e Leistung an: das Teilhabege­ld. Dies müsse staatliche Maßnahmen wie das Kindergeld, Teile des Bildungs- und Teilhabepa­kets, den Kinderzusc­hlag und die Hartz-IV-Sätze für Kinder bündeln.

■ MAßNAHMEN

DER REGIERUNG

Eine höhere Direktzahl­ung wird es ab 1. Juli 2019 tatsächlic­h geben. Dann steigt das Kindergeld um zehn Euro. Das Familienen­tlastungsg­esetz sieht zudem steuerlich­e Entlastung­en und einen höheren Kinderfrei­betrag vor.

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