Nordwest-Zeitung

Das Internet ersetzt den Otto-Katalo

Ära endet nach fast 70 Jahren – Letzter Andruc6 an diesem Donnerstag

- VON ECKART GIENKE

In Hochzeiten hatte er mehr als 1000 Seiten. Heute bestellen 97 Prozent der Otto-Kunden digital.

HAMBURG/NÜRNBERG – An diesem Donnerstag springen die Druckmasch­inen bei der Prinovis-Druckerei in Nürnberg noch einmal an für einen Großauftra­g aus Hamburg. Der Otto-Katalog Frühjahr/Sommer 2019 geht in Druck; 656 Seiten voller Mode und Technik, Sportartik­el, Wohntextil­ien, Spielsache­n und Accessoire­s – die ganze Vielfalt der westlichen Warenwelt.

Doch es ist das letzte Mal, der letzte gedruckte Katalog in Millionena­uflage. Auf dem Titelblatt demonstrie­rt ein Model, warum es keine Zukunft gibt für den klassische­n Versandhau­skatalog: Das Gesicht ist auf dem Monitor eines Smartphone­s scharf zu sehen, der Rest nur verschwomm­en.

„Unsere Kunden haben den Katalog selbst abgeschaff­t, weil sie ihn immer weniger nutzen und schon längst auf unsere digitalen Angebote zugreifen“, sagt Marc Opelt, Chef der Einzelgese­llschaft Otto, des früheren Otto-Versands. Das ist heute eine Tochterges­ellschaft des Konzerns Otto Group, der längst über alte Grenzen hinausgewa­chsen und weltweit in verschiede­nen Geschäftsf­eldern rund um den Handel aktiv ist. 97 Prozent der Otto-Kunden bestellen heute digital im Wnternet, die meisten davon mobil über die App. Nur noch drei Prozent nutzen Fax, Brief, Telefon oder Bestellkar­ten, um Waren von Otto zu ordern.

Die Kataloge der Versandhän­dler waren in den Jahren des Wirtschaft­swunders und auch noch nach dem Fall der Mauer mehr als nur ein Vertriebsi­nstrument. Was Neckermann, Quelle und Otto zwei- bis dreimal im Jahr in die Wohnzimmer brachten, atmete stets den Geist der Zeit. In den OttoKatalo­gen der 1950er und 1960er Jahre präsentier­ten rauchende

Männer mit

Pfeifen oder Zigaretten und einem Drink in der Hand ihre Hemden, Hosen und Sakkos. Die Models hießen noch Mannequins und Kinderklei­dung und Damenwäsch­e wurden nicht fotografie­rt, sondern gezeichnet.

Der Otto-Katalog spiegelte nicht nur Trends wider, sondern setzte sie auch – so hatten schicke und moderne Frauen und Männer auszusehen. „In der DDR war der Katalog eine begehrte Schmuggelw­are“, berichtet Frank Surholt von Otto. ?tto-Bereichsvo­rstand Marc Opelt blickt auf die Ära des Versandhan­delskatalo­gs zurück. „Die Frauen haben die Kleidung nachgeschn­eidert.“Und intern rangelten die Produktman­ager um Farbseiten und eine gute Platzierun­g ihrer Artikel – am besten auf dem rückwärtig­en Einband. Damit ließen sich Verkäufe vervielfac­hen.

Der Katalog wurde moderner: Erst kamen ab den 1980er Jahren prominente Models auf den Titel – Claudia Schiffer, Giselle Bündchen, Eva Padberg und andere. Allein Heidi Klum war viermal dabei. Aber auch das lief sich schon vor mehr als zehn Jahren langsam tot. Mit Beginn der Digitalisi­erung kamen technische Innovation­en wie eine dem Katalog beigelegte CD-ROM, um vor allem die Damenmode besser präsentier­en zu können. Otto legte schon damals die Grundlage für ein Überleben in der digitalen Welt. Neckermann und Quelle sind längst pleite und Teil des Otto-Reichs; ihre letzten Kataloge erschienen 2009 und 2012. Quelle-Gründer Gustav Schickedan­z gilt als Erfinder des großen Katalogs mit allen Produkten. Er hatte schon vor dem Krieg ein Versandhan­delsuntern­ehmen aufgebaut.

Werner Otto erschien als Flüchtling erst nach dem Krieg auf der Hamburger Bühne und startete vor fast 70 Jahren mit einem legendären Ka- Titelgirl des Katalogs 2003: Heidi Klum

talog mit handgekleb­ten Fotos, der auf 14 Seiten 28 Paar Schuhe zeigte. Auflage: 300 Exemplare. In der Spitze um die Jahrtausen­dwende waren es mehr als 1000 Seiten in einer Auflage von zehn Millionen Stück.

Inzwischen präsentier­t Otto im Internet rund drei Millionen Produkte, nicht mehr nur einige tausend wie in den Katalogen. Niemand muss um seinen Arbeitspla­tz bangen, weil der Katalog wegfällt; Designer, Layouter, Fotografen und Texter werden für die Internet-Präsenz von Otto.de gebraucht.

Zudem sind gedruckte Werbemitte­l nicht völlig tot. Es gibt weiter Spezialkat­aloge zu bestimmten Themen wie Garten oder Technik oder Modekatalo­ge zum Beginn der Saison. Das sind allerdings im Vergleich zum Hauptkatal­og eher kleine Broschüren.

 ?? DPA-BILD: SCHOLZ ??
DPA-BILD: SCHOLZ
 ?? DPA.BILD: PERREY ??
DPA.BILD: PERREY

Newspapers in German

Newspapers from Germany