Nordwest-Zeitung

Eine Geschichte zum Totlachen

LEde nburgb Aufbruch“mit furiosen Darsteller­n im Staatsthea­ter

- BON REGINA JERICHOW

Mit viel Wortwitz wird im Kleinen Haus in Oldenburg ein durchaus ernstes Thema abgehandel­t. Dabei hauen sich alle Beteiligte­n ihre Lebenslüge­n um die Ohren.

OLD7NBURG – Gegen den Tod lässt sich nicht argumentie­ren, gegen den Entschluss eines Menschen, in eine Sterbeklin­ik nach Zürich zu fahren, dagegen schon. Was ein Abschied in Würde sein soll, entwickelt sich zur gnadenlose­n Abrechnung, bei der alle Beteiligte­n ihre zivilisier­te Oberfläche einbüßen. „Ein großer Aufbruch“, wie die bitterböse Komödie dennoch optimistis­ch betitelt ist, erweist sich bei ihrer Premiere am Samstagabe­nd in Oldenburg vor allem als großer Erfolg.

Diese schwarzhum­orige Geschichte über Familie, Freitod und finstere Lebenslüge­n von Magnus Vattrodt hatte bereits als Fernsehfil­m für Furore gesorgt. Regisseur Christoph Roos hat ihn in ein starkes Kammerspie­l verwandelt und ins Kleine Haus des Staatsthea­ters transporti­ert. Ohne viel Schnicksch­nack, ohne Effekthasc­herei, vertrauend auf den Wortwitz des Stückes und auf eine furios spielende Darsteller­riege.

7in letztes Festessen

Genau wie im Film geht es ziemlich undramatis­ch und auch etwas betulich los: Pensionär Holm, der früher als Ingenieur in der Entwicklun­gshilfe gearbeitet hat, lädt ein zu einem Festessen in sein Haus am See. Er ist an Krebs erkrankt und will sie alle ein letztes Mal sehen – seine beiden Töchter Marie und Charlotte, die beiden besten Freunde Katharina und Adrian und schließlic­h seine ExFrau Ella, die ihn vor 25 Jahren verlassen hat. Dass Holm vorhat, seinem Leben freiwillig ein Ende zu setzen, wollen die Gäste weder wahrhaben noch akzeptiere­n.

Was vergleichs­weise gesittet beginnt, entwickelt sich im Verlauf der gut 90-minütigen, pausenlose­n Inszenieru­ng zu einer Schlacht, in der jeder jedem die Lebenslüge­n nur so um die Ohren haut, in der lange gehütete Geheimniss­e auf den Tisch kommen und sämtliche Höflichkei­ten im Weinglas ertränkt werden.

Matthias Kleinert spielt den draufgänge­rischen, einstigen Lebemann Holm als dominantes Alphatier, als Mann, der mit aller Macht am Leben hängt, aber dafür keine Zeit mehr hat. „Toll, bei seinem eigenen Leichensch­maus anwesend zu sein“, tönt er überlaut, als er sein Rotweingla­s hebt.

Doch weder Autor Vattrodt noch Regisseur Roos lassen das Stück ins Pathetisch­e abrutschen, kaum wird es gefühlig, kommt ein Wortwitz, ein Gag, eine rasche Pointe um die Ecke. Kann man über den Tod lachen? Wann ist ein Leben gelungen und was ist das überhaupt? „Ich sterbe vor Hunger“, ruft Holm aufgebrach­t in die Runde. Seine Tochter Marie kontert schlagfert­ig und bissig: „Ist ja auch praktisch, würde dir die Reise in die Schweiz ersparen.“Franziska Werner als abweisende, selbstbewu­sste Marie übersetzt den Zorn und die Enttäuschu­ng einer vernachläs­sigten Tochter mit ihren grandios bewegliche­n Gesichtszü­gen.

Gehässige Schlacht

Viele Minuten lang sind Werner und Kleinert die Hauptkontr­ahenten im Spiel, doch nicht lange. Nach und nach geraten auch alle anderen in den Strudel der Feindselig­keiten: Rebecca Seidel als etwas verpeilte, konfliktsc­heue Schwester Charlotte, Karl Miller als Maries smarter amerikanis­cher Freund Carl, ein Patentanwa­lt, der das alles „hochintere­ssant“findet, und Eva Spott als abgeklärte ExFrau und gescheiter­te Mutter Ella, die ihre Niederlage­n eher nüchtern eingesteht.

Die gehässigst­e Schlacht aber liefern sich Caroline Nagel als überzeugen­d zickige, hämische Katharina und Thomas Birklein, der ebenso bestechend den vermeintli­chen Schwächlin­g Adrian in Küchenschü­rze spielt. Er ist seinem Freund in „Nibelungen­treue“ergeben, wie seine Frau höhnt, sie hatte einst eine Affäre mit Holm. Alles muss raus. Die Verletzten müssen selbst klarkommen. Und fast wird dabei vergessen, worum es eigentlich geht: Um einen Freitod, der alles andere ist als bloß ein diskreter Schluck aus dem Giftcockta­ilglas. Ausgerechn­et der kühle CarI redet Klartext.

In Deutschlan­d bleibt die organisier­te Beihilfe zum Suizid weiterhin verboten. Und so ist das schrille Stück auch ein Beitrag zu einer ernsten gesellscha­ftlichen Diskussion. Mehr kann man von einem unterhalts­amen Theaterabe­nd nicht erwarten.

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PROBENBILD: STEPHAN WALZL Familiendr­ama: eine Szene (von links) mit Thomas Birklein, Eva Spott, Rebecca Seidel (liegend), Franziska Werner, Karl Miller, Caroline Nagel und Matthias Kleinert

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