Jis eung aus Detektivarbeit und Forschung
2entralstelle in Ludwigsburg führt auch 73 Jahre nach Kriegsende Verfahren
FRAGE: Die Zentralstelle in Ludwigsburg ist erst 13 Jahre nach dem Krieg gegründet worden. Man hätte zahlreiche Täter, die in Nazi-Verbrechen verstrickt waren, vorher ermitteln können. Warum ist das so spät geschehen?
ROMMEL: Die Alliierten hatten nach dem Krieg Vorbehalte gegen die deutsche Justiz, sodass die nur in beschränktem Umfang Verfahren wegen NS-Verbrechen einleiten konnten. Die Alliierten hatten die Verfahren zunächst in die Hände ihrer Militärgerichte gelegt. Anfang der 50er Jahre gab es dann noch in erheblichem Umfang vor der bundesdeutschen Justiz Verfahren wegen NS-Verbrechen. Die Zahlen gingen aber bis Mitte der 50er Jahre rapide zurück. Dann kommt es praktisch durch Zufall in Ulm zu einem Prozess gegen Mitglieder der Einsatzgruppen. Für die Tatorte außerhalb der Bundesrepublik war keine Staatsanwaltschaft zuständig. Und das ist in diesem Prozess deutlich geworden. Die Justizminister der Länder haben daraufhin beschlossen, dass diese Lücke überbrückt werden muss. Es ist allerdings ein politischer Kompromiss herausgekommen. Die Zentralstelle sollte zwar zentral ermitteln, hatte aber nicht die Befugnisse für Ermittlungen bekommen, um gegen einzelne Personen vorzugehen: zu durchsuchen, Haftbefehle zu beantragen. Das war der Kompromiss dieser Nachkriegsgesellschaft, die diese Dinge nur beschränkt aufklären wollte.
FRAGE: Warum wurde die Verjährung für Mittäter 1968 rückwirkend geändert? ROMMEL: Die magere Bilanz der Verurteilungen hat tatsächliche und rechtliche Ursachen. In vielen Fällen waren Ermittlungen gegen Angehörige von Einheiten eingeleitet worden, um die Verjährung zu unterbrechen. Tatsächlich hat sich herausgestellt, dass ein großer Teil von ihnen schon verstorben war. Dann konnte nur noch der Mord im juristischen Sinn verfolgt werden und bestimmte Unterstützungsleistungen. Und die Strafverfolgung ist ab 1968 nochmals eingeschränkt worden. FRAGE: Wie ist es zu dem Wandel der Rechtsauffassung gekommen, dass nun doch Mittäter wegen Mordes belangt werden können? ROMMEL: Ausgangspunkt ist das Verfahren gegen John Demjanjuk, der als Ukrainer und ehemaliger Kriegsgefangener in den Hilfsdiensten im Vernichtungslager Sobibor eingesetzt worden war. Man konnte ihm keine einzelne Handlungen nachweisen, aber das Landgericht München II hat seine Dienstausübung als Wachmann in diesem Lager als ausreichend für eine Beihilfe zum Mord angesehen. Diesen Gedanken hat die Zentrale Stelle auch auf die Lager Auschwitz und Majdanek übertragen. Das hat zum Verfahren gegen Oskar Gröning geführt, in dem der Bundesgerichtshof diesen weiten Ansatz bestätigt hat. Allein durch seine allgemeine Dienstausübung hat Gröning die Mord-Maschinerie mit am Laufen gehalten. Warum dieser Wandel so lange gedauert hat, kann ich nicht beantworten. Letztlich trägt auch die Erfahrung aus den Terroristenprozessen wegen der Anschläge vom 11. September dazu bei, dass auch kleinste Tatbeiträge Verbrechen gefördert haben.
FRAGE: Der Krieg ist 73 Jahre vorbei, und die, die Schuld auf sich geladen haben, sind tot oder im Greisenalter. Gibt es noch aktuelle Verfahren? ROMMEL: Ja, vor allem Personal in Konzentrationslagern kommt in Betracht. Bei der Überprüfung fallen die aber die allermeisten raus, entweder wegen ihres Geburtsjahrgangs oder weil wir feststellen, dass sie verstorben sind. Daraus resultieren pro Jahr 30 Verfahren, die wir an die Staatsanwaltschaften weiterleiten – es schaffen aber wenige Verfahren vor Gericht. Meist sind die Personen nicht mehr in der Lage, so ein Verfahren durchzustehen. Trotz dieser Situation haben die Justizminister der Länder den Auftrag an die Zentrale Stelle erneuert, zu versuchen, diese Taten aufzuklären. Ein Enddatum ist nicht genannt worden.
FRAGE: Wie arbeiten Sie, auf Papier oder mit digitalem Aktenbestand?
ROMMEL: Wir sind dabei, unsere Akten zu digitalisieren; aber bislang sind sie auf Papier. Bei Archiven in den USA ist der Bestand zumeist digitalisiert, bei Archiven mit Beuteakten der Roten Armee blättern wir meist in alten Papieren.
FRAGE: Das hört sich an wie Detektivarbeit.
ROMMEL: Ja, das ist eine Mischung aus Detektivarbeit und historischer Arbeit. Es ist unsere Aufgabe, winzige Beweisanzeichen – Beförderungen, Kriegsauszeichnungen, Krankmeldungen – zusammenzusetzen, wer wann wo eingesetzt war. Wir selbst sind Richter, Staatsanwälte und Polizeibeamte – aber keine Historiker. Den Sachverstand holen wir uns über Experten.