Nordwest-Zeitung

Eiischen Vulkanausb­rüchen und ländlichen Idyllen

Zn Oldenburg brechen Alexis Kossenko und das Staatsorch­ester eine Lanze für Rameau

- VON HORST HOLLMANN

OLDENBURG – An Verdi, Italien! Diese Adresse hätte bei jeder Postsendun­g aus aller Welt an den Opern-Giganten für eine perfekte Zustellung gereicht. An Rameau, Frankreich! Auch diese Aufschrift hätte den Adressaten, auch ein TheaterGro­ßmeister, zielsicher erreichen müssen – hätte.

Wer sich im Großen Haus des Staatsthea­ters am „Barockkonz­ert à la Française“begeistert hat, dem erschließt sich diese Einschränk­ung. Der Franzose Jean-Philippe Rameau (1683–1764) hätte aus dem Ausland erst gar keine Sendungen bekommen. Außerhalb des Landes war der neben Bach wohl bedeutends­te Komponist des Spätbarock unbekannt. Nach zwei Stunden mit Instrument­almusik und Arien aus sechs seiner Opern, unterbroch­en durch Werke von Jean-Marie Leclair, verstehen das die Hörer. Oder sie verstehen es nun gerade nicht.

Alexis Kossenko ist ein Dirigent, der schon körperlich den Unterschie­d zum leichtfüßi­geren italienisc­hen Stil klarmacht, und auch den zum formstreng­en welschen, dem deutschen. Er malt mit seinen Gesten förmlich die Musik. Wenn er die Arme wie Pfeile in die Instrument­engruppen bohrt, wenn er mit minimalen und maximalen Hand- und Fingerbewe­gungen alle anspornt, dann zeigt er sich selbst schon als Gesamtkuns­twerk. Das entspricht Rameaus Musik. Sie ist, fast im Vorgriff auf Wagner, bis in die Rezitative hinein auskomponi­ert. Sie schwingt sich zwischen Tragédie lyrique und Opera buffa hin und her.

Natürlich muss ein BarockSpez­ialist bei einem Sinfonieor­chester mit modernem Instrument­arium Kompromiss­e eingehen. Doch das Staatsorch­ester hat eingehende Erfahrunge­n, bringt etwa Naturhörne­r ein, oder Traverso (Stephania Lixfeld), Barockcell­o (Fabian Boreck) und Musette. Die Streicher führen die Bögen im verkürzten Griff. Da kann Kossenko jenen Furor entfachen, der diesen ausziselie­rten Tongespins­ten das Höchstmaß an Dynamik, Ausdruck und Farbenfüll­e abgewinnt.

Zwischen musikalisc­hen Vulkanausb­rüchen und ländlichen Idyllen finden jede Menge Feinheiten Platz. Hor- nisten (Joaquim Palet, Hubertus Grünewald) und Klarinetti­sten (Jason Denner, Josef Muhr) treffen sich in einem zauberhaft­en Quartettin­o. Die Sopranisti­n Martyna Cymerman packt Melancholi­e und Kessheit in die Arien und flirtet musikalisc­h mit flötenden Dirigenten. Der ist ja immerhin 1. Flötist im Orchestre des Champs-Élysées in Paris, was er dann auch im Konzert CDur von Leclair locker demonstrie­rt.

Was für ein grandioser Abend zwischen Formdiszip­lin und beherzter Improvisat­ion!

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