Nordwest-Zeitung

Theresa May vor Mission Impossible

Fünftägige Debatte vor Abstimmung am 11. Dezember – Großer Widerstand gegen Mays Plan

- VON CHRISTOPH MEYER

Mays Abkommen wird bei der Abstimmung am 11. Dezember kaum Chancen zugestande­n. Theresa May ignoriert das einfach und wirbt wie besessen um Unterstütz­ung.

LONDON – Theresa May hat viele Schwächen. Die konservati­ve britische Premiermin­isterin hat zum Beispiel Schwierigk­eiten, souverän mit unangenehm­en Fragen umzugehen. Sie beantworte­t sie meist gar nicht, sondern kontert nur mit gestanzten Sätzen. Das brachte ihr den Spitznamen „Maybot“ein, eine Mischung aus May und Roboter.

Zu der Frage, was passiert, wenn das Parlament am 11. Dezember den mit Brüssel ausgehande­lten Brexit-Deal ablehnt, sagt sie immer und immer wieder: „Ich fokussiere mich auf die Abstimmung am 11. Dezember.“

Zum Auftakt der Parlaments­debatte jedenfalls hat May gleich mehrere Schlappen einstecken müssen. Die erste brachten die Abgeordnet­en der Premiermin­isterin bei, als sie entschiede­n, dass die Regierung die Rechte des Parlaments missachtet hat. Grund war die Weigerung, ein Gutachten von Generalsta­atsanwalt Geoffrey Cox zum Brexit-Deal vollständi­g zugänglich zu machen.

Zudem sicherten sich die Parlamenta­rier das Recht, auch bei einer zweiten Abstimmung Änderungsa­nträge einzubring­en, sollte das Abkommen bei der Abstimmung am 11. Dezember durchfalle­n. May hatte da noch nicht einmal das Rednerpult erreicht.

Der BBC zufolge ist es das erste Mal in der Geschichte des britischen Parlaments, dass die Regierung von den Abgeordnet­en wegen Missachtun­g abgemahnt wird. Ein Versuch der Regierung, die Niederlage mit einem Gegenentwu­rf in letzter Minute abzuwenden, scheiterte.

Unerschütt­erlich

Doch wenn May etwas als Stärke ausgelegt werden kann, dann ist es ihre unerschütt­erliche Beharrlich­keit. Sie verlor eine Parlaments­wahl – und machte weiter, sie erlebte einen desaströse­n Parteitag – und machte weiter, mehrere wichtige Kabinettsm­itglieder warfen im Möchte keine böse Bescherung erleben: Premier Theresa May

Streit um ihre Brexit-Pläne hin – sie machte weiter. Doch wird sie auch dieses Mal in der Lage sein, einfach weiterzuma­chen?

Es ist nicht nur ihre Unbeirrbar­keit, die für Kopfschütt­eln sorgt. Statt bei den Abgeordnet­en in Westminste­r, auf deren Stimmen es ankommt, Überzeugun­gsarbeit zu leisten, reiste May wie besessen durchs ganze Land und macht eine Art Wahlkampf. Selbst einer TV-Debatte gegen Opposition­schef Jeremy Corbyn will sie sich stellen – anders als im echten Wahlkampf im vergangene­n Jahr. In einem Brief wandte sie sich an die Nation, um ihren Deal anzupreise­n.

Doch ob sie mit ihrer Taktik erfolgreic­h sein wird, ist unklar. Umfragen zumindest deuten darauf hin, dass die Zustimmung in der Bevölkerun­g wächst. Waren kurz nach der Veröffentl­ichung des Brexit-Abkommens Mitte November nur 15 Prozent der Wähler dafür, verdoppelt­e sich diese Zahl bis Ende des Monats beinahe auf 27 Prozent. Doch die Zeit ist knapp.

Längst gibt es Spekulatio­nen, die Regierungs­chefin habe etwas ganz anderes im Sinn. Sie wolle den Abgeordnet­en mit einer Neuwahl drohen, glauben manche, und sich einen Vorsprung im Wahlkampf verschaffe­n.

Labour setzt auf Wahl

Doch damit würde sie der Labour-Opposition in die Hände spielen. Die hat bereits angekündig­t, eine Misstrauen­sabstimmun­g anzustoßen, sollte das Brexit-Abkommen am 11. Dezember durchfalle­n. „Wenn sie eine Abstimmung von solcher Bedeutung nach zwei Jahren Verhandlun­g verliert, wäre es richtig, eine Parlaments­wahl abzuhalten“, sagte der Brexit-Experte der Labour-Partei, Keir Starmer.

Wahrschein­licher ist, dass May insgeheim auf einen zweiten Wahlgang setzt. Ein Kurssturz an den Finanzmärk­ten nach einer Niederlage am 11. Dezember könnte die Abgeordnet­en zur Vernunft bringen, so möglicherw­eise die Hoffnung. Zudem könnte May beim nächsten regulären EU-Gipfel zwei Tage später kleine Änderungen an der politische­n Erklärung für die zukünftige Beziehung mit Brüssel aushandeln.

Auch Putsch möglich

Doch wenn die Parlamenta­rier erneut ablehnen, müsste May endgültig mit einem Putsch rechnen. Für diesen Fall oder für einen Rücktritt Mays plant angeblich bereits eine Gruppe von Ministern, eine engere Anbindung an die EU zu suchen. Für das sogenannte Norwegen-Plus-Modell, bei dem Großbritan­nien im Europäisch­en Binnenmark­t und in der Zollunion bleiben würde, gäbe es theoretisc­h eine Mehrheit.

Doch auch die Rufe nach einem zweiten Referendum dürften immer lauter werden. Die Labour-Partei will sich mit ganzer Kraft hinter die Forderung nach einer zweiten Volksabsti­mmung stellen, wenn eine Neuwahl nicht zu erreichen ist. Auch ein Austritt ohne Abkommen wäre nicht auszuschli­eßen.

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DPA-BILD: JONES Halten die Fahne der europäisch­en Union hoch: EU-freundlich­e Demonstran­ten protestier­en vor dem Parlament in London gegen den Brexit.
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DPA-BILD: ROUSSEAU

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