London kann EU-Austritt noch einseitig abblasen
Spitzenjurist widerspricht Kommission – Austrittsgegner bringen neue Volksabstimmung ins Spiel
LONDON/LUXEMBURG – Die britische Regierung könnte den Brexit nach Ansicht eines EUSpitzenjuristen einseitig absagen. Falls die Regierung in London entscheide, ihre Austrittserklärung nach Artikel 50 des EU-Vertrages zurückzuziehen, sei dies rechtlich gültig, sagte der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, Manuel Campos Sánchez-Bordona, am Dienstag in einem Prozess zu der Frage, ob Großbritannien seine Austrittserklärung einseitig zurückziehen kann oder ob auch die übrigen EU-Mitglieder zustimmen müssen.
Die EU-Kommission und der Europäische Rat vertreten die Auffassung, dass Großbritannien den Brexit nicht allein abblasen kann. Campos Sánchez-Bordona sagte dagegen, Artikel 50 erlaube einen solchen Schritt durchaus. Der EuGH folgt dem Rat seines Generalanwalts in der Regel, aber nicht immer.
Die EuGH-Entscheidung dürfte allerdings noch Wochen auf sich warten lassen. Die Haltung Sánchez-Bordonas spielt jedoch vor dem Hintergrund der Abstimmung des britischen Parlaments über den Brexit-Vertrag in der kommenden Woche eine wichtige Rolle.
Schottische Abgeordnete wollen klären lassen, vor welchen Alternativen die Londoner Unterhausabgeordneten stehen. Premierministerin Theresa May drängt die Parlamentarier, dem Vertrag zuzustimmen, der den EU-Austritt regelt, andernfalls bestehe die Gefahr eines ungeregelten EU-Austritts am 29. März. Dieser dürfte ein Chaos in Wirtschaft und Verwaltung mit sich bringen.
Brexitgegner sehen dagegen noch eine dritte Alternative und bringen die Möglichkeit einer neuen Volksabstimmung über den Brexit ins Spiel. Ein Anwalt der Kläger zeigte sich zufrieden mit der Stellungnahme Campos Sánchez-Bordonas. „Das legt die Entscheidung über unsere Zukunft zurück in die Hände unserer eigenen gewählten Vertreter – wo sie hingehört“, sagte Jo Maugham.