„Ich habe Chaos im Kopf“
Viele Widersprüche zum Auftakt – 57-jähriger Pole fordert Beweise
Der Angeklagte habe mögliche Beweise zu eigenen Gunsten vernichtet. Trotzdem geht er in den Angriff über.
OLDENBURG – Zwei riesige Kisten, randvoll mit Aktenordnern, werden am Dienstagmorgen in Saal 7 des Landgerichts gerollt, kurz danach führen gleich vier Wachtmeister den 57-jährigen Angeklagte in Handschellen herein. Das ist durchaus ungewöhnlich und für einen „Mord ohne Leiche“ganz schön viel Material. Einen dürfte das indes kaum überrascht haben: Marek Glinski.
Denn seit Jahresmitte in Untersuchungshaft, einen Großteil davon isoliert auf der Sicherheitsstation, hat er den Ermittlern in dieser Zeit so viele Geschichten ob des Verbleibs seines mutmaßlichen Opfers Danuta Lysien erzählt, dass die Soko „DaLy“jede Menge zu tun hatte. Für Glinski ist das aber alles „Quatsch“. Er beharrt beim Prozessauftakt darauf, die damals 55-jährige Frau aus Krusenbusch nicht ermordet, sondern ihr vielmehr zur erwünschten „Flucht“aus Deutschland verholfen zu haben. Das macht er dann während der siebeneinhalbstündigen Verhandlung auch so umfassend und unaufgefordert, dass ihn sein Verteidiger irgendwann zurückpfeift: „Jetzt lassen sie mich reden!“Letzterer ist Torsten Rückoldt aus Brake, damit schon der dritte Verteidiger, der sich binnen der vergangenen sechs Monate dieses Mandats angenommen hat. Wahrlich kein einfacher Fall.
Denn schon früh deutet sich an, in welche Richtung die Verteidigungsstrategie seines prozesserfahrenen Mandanten abzielen dürfte. Glinski verweist immer wieder auf mentale Probleme, auf „Visionen“und auf ein „Chaos im Kopf“, das ihn dazu gebracht habe, ein unsägliches Katzund-Maus-Spiel mit den Ermittlern zu treiben. Dabei zitiert er sich teils wortwörtlich und wie auswendig gelernt immer wieder selbst. Streitet den Mord ab, erklärt aber, dass er mehrfach Geld vom Konto der Vermissten abgehoben und ihr über einen früheren Freund aus der Fremdenlegion einen neuen französischen Pass besorgt habe.
Wie man denn diesen und jenen zu seiner Entlastung kontaktieren könne? Nein, das wisse und könne er nicht mehr sagen. Er habe schließlich auf deren Anweisung alle Nummern vernichtet. Und es täte ihm wohl leid. Dann aber geht er in den Gegenangriff über: „Zeigen Sie mir Beweise für einen Mord!“, forderte er Oberstaatsanwalt Thomas Sander, den er mehrfach der Unwissenheit, aber auch des unfairen Verhaltens bezichtigt, auf. Schließlich berichtet er noch wortgewaltig, farbig und detailverliebt von all den Geschehnissen rund um den 24. Juni 2017, dem Tag des Verschwindens von Danuta Lysien. Das beeindruckt. Aber nicht nachhaltig. Denn Glinski widerspricht sich dabei in vielen Punkten. Bei Richter Bührmann scheint er damit kaum durchzukommen. Wann immer unangenehme Rückfragen gestellt werden, versteht der Angeklagte plötzlich kein Wort mehr. Der Kopf hochrot, ausladende Handbewegungen. Und dann das: „Da sind 29 Zeugen auf der Liste. Was sind das alles für Leute? Mit denen habe ich nichts mehr zu tun!“, blafft er Bührmann an. Der antwortet höflich, aber bestimmt: „Das werden wir dann ja sehen.“
Schon der erste Zeuge, einst selbst Beschuldigter in diesem mutmaßlichen Mordfall, scheint unter Glinskis Einfluss zu stehen. Als der Zeuge gefragt wird, ob er Angst vor dem Angeklagten habe, starrt ihn dieser erstmals intensiv an – nachdem Glinski vorher jeden Blickkontakt vermieden hatte.
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