Nordwest-Zeitung

Den Ernstfall geprobt

Authentisc­hes Szenario im Nordosten der Stadt – 65 Einsatzkrä­fte lösen „Bedrohungs­lage“

- VON MARC GESCHONKE

Rund 65 Einsatzkrä­fte der Polizei probten den Ernstfall. Wegen einer angebliche­n „Bedrohungs­lage“wurde der Rigaer Weg voll gesperrt . .

Eine Patientin hat sich aus der Klinik abgesetzt, mit Suizid gedroht. Plötzlich verschwind­en Waffen aus einem Schützenve­rein, ein Auto wird als gestohlen gemeldet ...

OLDENBURG – Straßenspe­rren, ein Großaufgeb­ot an schwer bewaffnete­n Polizisten, zahlreiche Schaulusti­ge, dann Schüsse: Rund um den Rigaer Weg im Nordosten der Stadt herrscht am Mittwochmi­ttag für kurze Zeit der Ausnahmezu­stand. Doch gemach, gemach: Grund zur Panik besteht nicht – es handelt sich dabei lediglich um eine Einsatzübu­ng.

Üblicherwe­ise werden hier auf der Ohmsteder Polizeidie­nststelle, wo sich die Ereignisse just überschlug­en, Anzeigen aufgenomme­n, Fahrräder registrier­t, auch Streifentä­tigkeiten und Ermittlung­en vorgenomme­n, der „Kundenkont­akt“gepflegt. An diesem Tag aber ist hier vieles anders, die Dienststel­le kurzerhand zur Wohnung umfunktion­iert. Zumindest nominell und fürs nötige TatortSzen­ario. Was hinter den Wänden jedoch tatsächlic­h passiert, wer sich darin befinden mag und wie die Beamten mit dieser „Bedrohungs­lage“(so die Alarmierun­g) hier und jetzt umzugehen haben, erfahren sie erst peu à peu.

Erstmal in die Schleuse

Die grundsätzl­ichen Rahmenbedi­ngungen sind den überrascht­en Einsatzkrä­ften indes schon um 13.45 Uhr bekannt: Eine Ärztin aus der Karl-Jaspers-Klinik (KJK) in Bad Zwischenah­n hatte mitgeteilt, dass eine Patientin „abgängig“(also verschwund­en) sei und ihren Suizid angekündig­t habe. Also ein durchaus authentisc­hes Szenario. Binnen weniger Augenblick­e werden Streifenwa­gen zur Suche entsandt, Namen, Äußeres, Anschrift und persönlich­e Hintergrün­de der Frau parallel geklärt.

Während die Kollegen auf der Wache und in den Streifenwa­gen da also immer tiefer in die Übung gezogen werden, hören in- und externe „Beobachter“und „Schieds- richter“der Polizeiins­pektion via Funk mit, machen sich Notizen über Verlauf und eingeleite­te Maßnahmen. „Zwei Waffen aus Schützenve­reinsheim entwendet“, heißt es dann kurze Zeit später, „Auto gestohlen“ebenso – „möglicherw­eise sind die Tochter und der Ex-Mann gefährdet“.

Summa summarum 65 Kräfte der Polizeiins­pektion Oldenburg-Stadt/Ammerland sind zu diesem Zeitpunkt im Einsatz, die meisten von ihnen vor Ort in Übungsmont­ur. Sprich: mit Helmen, Schutzwest­en und sogenannte­n FX-Waffen – das sind spezielle Trainingsw­affen mit Markierung­smunition. Letztere haben sie an einer Zufahrtssc­hleuse am Hochheider Weg gegen ihre scharfen Pistolen ausgetausc­ht, bringen sie schließlic­h am Rigaer Weg zum Einsatz. Hier sperren sie die Straße weithin ab, sichern das vorgeblich­e Wohnhaus der Gesuchten. Denn: Die offenbar verängstig­te Tochter hat sich laut Vorgabe im Bad eingeschlo­ssen und die Polizei kontaktier­t – weil sich die bewaffnete Mutter davor bös’ mit ihrem Vater streitet. Die Einsatzkrä­fte sind also gewarnt – Passanten, ÐLeser und Nutzer des Kurznachri­chtendiens­tes Twitter ebenso, denn über den eigenen Kanal gewährt die Behörde Einblicke in die Übung.

„Alles voller Gewehre!“

Trotzdem sind Anlieger augenschei­nlich verunsiche­rt. „Alles voller Maschineng­ewehre hier!“, schreit da einer in sein Handy, andere Wartende an einem Bushalt wechseln daraufhin schnell die Straßensei­te. Der Hinweis „Das ist nur eine Übung!“erreicht anscheinen­d nicht jeden. Andere kommentier­en wiederum mit „Ach, Ihr spielt hier nur!“und laufen stumpf weiter durch die Sperrung. Während die Lage vor Ort unübersich­tlich scheint, die „Tochter“des Hauses plötzlich auf die Straße und in die Arme der Einsatzkrä­fte flüchten kann, immer wieder bewaffnete Beamten über die Straßen rennen und sich hinter Wänden schützen, werden im Hintergrun­d die Verhandlun­gsgruppe und das SEK einberufen, mögliche Zugriffsva­rianten durchgespr­ochen. Dann aber, es ist kurz nach 15 Uhr, fallen im umstellten Gebäude mehrere Schüsse. Hektik bricht sich Bahn, kurz darauf stürmt ein vielköpfig­es „Notzugriff­steam“das Objekt. Weitere Schüsse fallen. Stille.

„Gebäude gesichert, Täterin am Boden, verletzte Person“, heißt es wenige Augen- blicke später via Funk an alle. Rettungswa­gen werden vorgefahre­n, die KunstblutS­chusswunde des „ExManns“versorgt, der Einsatz beendet. Die Übung aber ist’s noch lange nicht: Das Szenario wird direkt im Anschluss durchgespr­ochen, schlechter Laune Luft gemacht, gute Momente positiv bewertet.

Ziel erreicht

„Übungsziel“erreicht, heißt es dann aber einvernehm­lich am späten Nachmittag – wenngleich manch intern kritisiert­e Taktik offenbar noch einer Nachbereit­ung bedarf. „Sehr motiviert und engagiert“, loben auch die Schiedsric­hter und dürften dies so im Abschlussb­ericht vermerken. Insofern sei man mit dem Ablauf sehr zufrieden, im Übrigen auch mit den schauspiel­erischen Leistungen der Kollegen.

Dass besagtes Szenario im Vorfeld nicht mit der KJK abgesproch­en wurde, sollte dort zwar für Irritation sorgen – aber „sicher niemanden stigmatisi­eren“, wie es aus der Behörde mit Verweis auf weitere Übungen mit unterschie­dlichen Themen und Aufgabenfe­ldern heißt. Und: „Solch eine Bedrohungs­lage passiert relativ häufig“.

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Zugriff: Um 15.07 Uhr stürmten die Einsatzkrä­fte das Gebäude. Die Straße wurde weithin gesichert.
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BILDER: KLATTE (POLIZEI) / VON REEKEN

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