Nordwest-Zeitung

Nach dem Applaus wird es spannend

Vorsitzend­e Angela Merkel gibt Amt nach 18 Jahren auf – Drei Bewerber mit Chancen

- V6s 2sDREAS HERHOLZ, BÜRO BERLIN

Am 4reitagmit­tag wird Merkel ihre Abschiedsr­ede halte. Das Amt der Bundeskanz­lerin will sie aber behalten.

BERLIN/HAMBURG – Abschied in ihrer Geburtssta­dt, Ende einer Ära in Hamburg auf dem CDU-Bundespart­eitag – Angela Merkel wirkt entspannt in diesen Tagen, wie befreit von einer Last, nachdem sie vor sechs Wochen überrasche­nd ihren Rückzug als Parteichef­in angekündig­t hatte. Kanzlerin will Merkel bis Ende der Wahlperiod­e im Herbst 2021 bleiben.

Mit ihr hatten damals – im Jahr 2000 – die wenigsten gerechnet. Und nicht wenige setzten darauf, dass sie schnell wieder verschwind­en und nur eine Übergangsl­ösung in der Krise sein werde. Doch Angela Merkel hat die Hoffnungen ihrer Kritiker und Widersache­r in der eigenen Partei enttäuscht und ist immer noch da. Als sie heute vor 18 Jahren zur Vorsitzend­en an die Spitze der CDU gewählt wurde, war das für die CDU eine Revolution. Eine Frau aus Ostdeutsch­land, noch dazu Protestant­in – daran musste sich manch einer erst einmal gewöhnen. „Ohne Angela Merkel wäre die CDU heute sicher nicht die moderne Volksparte­i, zu der sie sich entwickelt hat“, lobt CDU-Vizechefin Julia Klöckner.

Mit Roland Koch, Jürgen Rüttgers oder Christian Wulff lauerten in der zweiten Reihe erfahrene CDU-Landesfürs­ten mit Hausmacht und mächtigen Netzwerken.

Doch mithilfe von Wolfgang Schäuble und einigen seiner Vertrauten ging Merkel ins Rennen, wurde auf fünf Regionalko­nferenzen bereits vor der Wahl als neue Hoffnung der gebeutelte­n CDU gefeiert und schließlic­h ohne Gegenkandi­daten gewählt. Die Partei litt unter den Folgen der Spendenaff­äre.

2002 bereits hätte sie gern nach der Kanzlerkan­didatur gegriffen, hatte bis zuletzt mit dem Gedanken gespielt, musste aber CSU-Chef Edmund Stoiber den Vortritt lassen, der schließlic­h bei der Bundestags­wahl gegen Kanzler Schröder verlor. Merkel ließ sich ihren Verzicht mit der Übernahme des Fraktionsv­orsitzes honorieren und räumte damit gleichzeit­ig ihren Rivalen Friedrich Merz aus dem Weg, der sie jetzt beerben und nach seinem Rückzug aus der CDU 2009 ein Comeback feiern will.

Von dem Reformeife­r des Leipziger Parteitags 2003 hatte sich Merkel spätestens nach der Bundestags­wahl 2005 schnell verabschie­det. Gerade noch konnte sich Merkel trotz eines schlechten Ergebnisse­s ihrer Partei in die Große Koalition und ins Kanzleramt retten. Aus der Radikalref­ormerin und Anhängerin der Kopfpausch­ale wurde die Moderatori­n, die abwartet, Argumente abwägt und im letzten Moment entscheide­t.

Unter Merkel ist die CDU moderner geworden, Kritiker würden beliebiger sagen. Atomaussti­eg und Energiewen­de, Kurswechse­l beim Thema Integratio­n und Einwanderu­ng, Abschied von der Wehrpflich­t, Wende in der Frauen- und Familienpo­litik, Anerkennun­g von gleichgesc­hlechtlich­en Lebensgeme­inschaften, gesetzlich­er Mindestloh­n und Rente mit 63 – die CDU-Chefin räumte mit alter Programmat­ik auf, rückte die Partei mehr nach links in die Mitte. Ihre Kritiker, allen voran Friedrich Merz, warfen ihr dafür eine „Sozialdemo­kratisieru­ng der CDU“vor.

Die Parteichef­in und ihre Generalsek­retäre arbeiteten in den 18 Jahren daran, neue Wählerschi­chten zu gewinnen, die CDU wieder mehr als Volksparte­i aufzustell­en. Die Umfragen auf Bundeseben­e mit 42 Prozent und die nur knapp verpasste absolute Mehrheit bei der Bundestags­wahl 2013 scheinen ihr recht zu geben.

Merkels moderater Kurs, ihre Neuausrich­tung der Partei stießen allerdings nicht überall auf Begeisteru­ng. Zu wenig Konservati­ves, zu wenig klares Profil, zu wenig Kante und zu viel Konsens, keine klare wirtschaft­liche Programmat­ik und ein falscher Euro-Rettungsku­rs, so die Kritik – nicht nur am rechten Rand, auch auf dem Wirtschaft­sund Mittelstan­dsflügel rumorte es immer wieder.

Als 2015 der Syrien-Krieg eskaliert, wird Merkel mit ihrer Politik der offenen Grenzen zur „Flüchtling­skanzlerin“. Ihr „Wir schaffen das“und die Weigerung, die Grenzen zu schließen, stoßen auf immer breitere Kritik und Widerstand auch in den eigenen Reihen. Die Union verliert Wählerinne­n und Wähler an die AfD, auch in der Partei werden Stimmen laut, die ihren Rückzug und einen Wechsel fordern.

Nach einer Serie von Wahlschlap­pen in den Ländern kündigte Merkel am Tag nach der Hessen-Wahl ihren Rückzug vom Parteivors­itz an. Das Rennen um die Nachfolge war eröffnet.

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DPA-BILD: MARKS Alles ist vorbereite­t: Schon lange war ein CDU-Bundespart­eitag nicht mehr so spannend wie der in den Hamburger Messehalle­n.

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