Nach dem Applaus wird es spannend
Vorsitzende Angela Merkel gibt Amt nach 18 Jahren auf – Drei Bewerber mit Chancen
Am 4reitagmittag wird Merkel ihre Abschiedsrede halte. Das Amt der Bundeskanzlerin will sie aber behalten.
BERLIN/HAMBURG – Abschied in ihrer Geburtsstadt, Ende einer Ära in Hamburg auf dem CDU-Bundesparteitag – Angela Merkel wirkt entspannt in diesen Tagen, wie befreit von einer Last, nachdem sie vor sechs Wochen überraschend ihren Rückzug als Parteichefin angekündigt hatte. Kanzlerin will Merkel bis Ende der Wahlperiode im Herbst 2021 bleiben.
Mit ihr hatten damals – im Jahr 2000 – die wenigsten gerechnet. Und nicht wenige setzten darauf, dass sie schnell wieder verschwinden und nur eine Übergangslösung in der Krise sein werde. Doch Angela Merkel hat die Hoffnungen ihrer Kritiker und Widersacher in der eigenen Partei enttäuscht und ist immer noch da. Als sie heute vor 18 Jahren zur Vorsitzenden an die Spitze der CDU gewählt wurde, war das für die CDU eine Revolution. Eine Frau aus Ostdeutschland, noch dazu Protestantin – daran musste sich manch einer erst einmal gewöhnen. „Ohne Angela Merkel wäre die CDU heute sicher nicht die moderne Volkspartei, zu der sie sich entwickelt hat“, lobt CDU-Vizechefin Julia Klöckner.
Mit Roland Koch, Jürgen Rüttgers oder Christian Wulff lauerten in der zweiten Reihe erfahrene CDU-Landesfürsten mit Hausmacht und mächtigen Netzwerken.
Doch mithilfe von Wolfgang Schäuble und einigen seiner Vertrauten ging Merkel ins Rennen, wurde auf fünf Regionalkonferenzen bereits vor der Wahl als neue Hoffnung der gebeutelten CDU gefeiert und schließlich ohne Gegenkandidaten gewählt. Die Partei litt unter den Folgen der Spendenaffäre.
2002 bereits hätte sie gern nach der Kanzlerkandidatur gegriffen, hatte bis zuletzt mit dem Gedanken gespielt, musste aber CSU-Chef Edmund Stoiber den Vortritt lassen, der schließlich bei der Bundestagswahl gegen Kanzler Schröder verlor. Merkel ließ sich ihren Verzicht mit der Übernahme des Fraktionsvorsitzes honorieren und räumte damit gleichzeitig ihren Rivalen Friedrich Merz aus dem Weg, der sie jetzt beerben und nach seinem Rückzug aus der CDU 2009 ein Comeback feiern will.
Von dem Reformeifer des Leipziger Parteitags 2003 hatte sich Merkel spätestens nach der Bundestagswahl 2005 schnell verabschiedet. Gerade noch konnte sich Merkel trotz eines schlechten Ergebnisses ihrer Partei in die Große Koalition und ins Kanzleramt retten. Aus der Radikalreformerin und Anhängerin der Kopfpauschale wurde die Moderatorin, die abwartet, Argumente abwägt und im letzten Moment entscheidet.
Unter Merkel ist die CDU moderner geworden, Kritiker würden beliebiger sagen. Atomausstieg und Energiewende, Kurswechsel beim Thema Integration und Einwanderung, Abschied von der Wehrpflicht, Wende in der Frauen- und Familienpolitik, Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Lebensgemeinschaften, gesetzlicher Mindestlohn und Rente mit 63 – die CDU-Chefin räumte mit alter Programmatik auf, rückte die Partei mehr nach links in die Mitte. Ihre Kritiker, allen voran Friedrich Merz, warfen ihr dafür eine „Sozialdemokratisierung der CDU“vor.
Die Parteichefin und ihre Generalsekretäre arbeiteten in den 18 Jahren daran, neue Wählerschichten zu gewinnen, die CDU wieder mehr als Volkspartei aufzustellen. Die Umfragen auf Bundesebene mit 42 Prozent und die nur knapp verpasste absolute Mehrheit bei der Bundestagswahl 2013 scheinen ihr recht zu geben.
Merkels moderater Kurs, ihre Neuausrichtung der Partei stießen allerdings nicht überall auf Begeisterung. Zu wenig Konservatives, zu wenig klares Profil, zu wenig Kante und zu viel Konsens, keine klare wirtschaftliche Programmatik und ein falscher Euro-Rettungskurs, so die Kritik – nicht nur am rechten Rand, auch auf dem Wirtschaftsund Mittelstandsflügel rumorte es immer wieder.
Als 2015 der Syrien-Krieg eskaliert, wird Merkel mit ihrer Politik der offenen Grenzen zur „Flüchtlingskanzlerin“. Ihr „Wir schaffen das“und die Weigerung, die Grenzen zu schließen, stoßen auf immer breitere Kritik und Widerstand auch in den eigenen Reihen. Die Union verliert Wählerinnen und Wähler an die AfD, auch in der Partei werden Stimmen laut, die ihren Rückzug und einen Wechsel fordern.
Nach einer Serie von Wahlschlappen in den Ländern kündigte Merkel am Tag nach der Hessen-Wahl ihren Rückzug vom Parteivorsitz an. Das Rennen um die Nachfolge war eröffnet.