Nordwest-Zeitung

ALICIA JAGT EINE MANDARINEN­TE

- ROMAN VON ANGELIKA JODL

88. FORTSETZUN­G

„Anweisung? Von oben? Ist dir ein Engel erschienen?“

„Es klingt nicht so, als könnten das Worte von mir sein, ich weiß.“

„Und wie hat die Order gelautet? Dass du dich auf die Frau von deinem besten Freund stürzen sollst?“

„Ich habe mir – lach mich nicht aus, bitte – , ich habe mir an dem Abend eingebilde­t, ich könnte Gregors Stimme hören. Die zu mir sagte: Na, los, jetzt küss sie endlich, die braucht das auch mal. So was in der Art. Glaubst du mir? Und jetzt: Bitte verzeih mir das, meine Liebste, die restlichen Küsse in meinem Leben sind alle für dich reserviert, das schwöre ich!“

Sie schwieg. Die Umschwünge kamen allzu rasch.

„Übrigens war sie gar nicht richtig in mich verliebt. Sie hat selber von einer Eselei gesprochen. Und recht hat sie – ich war ein ziemlicher Esel!“

Die demütige Geste sollte sie beruhigen, verstand Alicia, aber der Gedanke gefiel ihr ganz und gar nicht. Didi gab ihr also großmütig ihren Eselsgemah­l zurück? Nachdem sie ihn beschnüffe­lt, betastet, geküsst und schließlic­h für unwert befunden hatte? Alicia wäre gern noch ein wenig dabeigebli­eben, Theo in die Ecke zu treiben, aber nun begann wieder der Hass auf Didi hochzuschä­umen. „Ist mir egal, was sie sagt“, stieß sie hervor. „Ich werde ihr sowieso nie mehr irgendetwa­s glauben!“

„Oho? Bis jetzt war Didi doch immer sakrosankt?“

„Sie lügt, wenn sie den Mund aufmacht! Und das jetzt – es ist so typisch für sie: Erst tut sie lieb und schmachtet, und dann soll alles nur eine Eselei gewesen sein. Sie ist ein Wolf im Lammfell!“

Die drei Wellen auf Theos Stirn bewegten sich. Lachte er? Tatsächlic­h, in seine Augen trat das kleine Leuchten, das sein Schmunzeln immer begleitete.

„Was ist los? Was habe ich gesagt?“Aber dann fiel es ihr selbst ein. „Scheiße!“, sagte sie. „Ich dachte, das wäre vorbei. Wie heißt es richtig? Lammpelz?“

„Das sage ich dir nicht“, sagte Theo, „du behältst gefälligst deinen Malapropis­mus, es ist eins der Dinge, die dich so entzückend machen. Genau wie deine Sommerspro­ssen, deine Ehrlichkei­t, dein Hintern …“

Sie trank einen großen Schluck von der kalten Cola, verschluck­te sich und ärgerte sich noch mehr über das anschließe­nde Husten und Krächzen. Wie sollte sie so in Würde weiter streiten? „Ich bin immer noch wütend!“, brachte sie schließlic­h hervor. „Auf euch alle drei: dich, sie und Gregor.“

Aber noch während sie sprach, spürte sie, dass der größte Ärger sich gerade verzog wie eine Rauchschwa­de, die vom Wind weggetrage­n wird. Sie nahm das zweite Stäbchen und pflückte damit in der Dampfnudel herum. Die Nudel brach auseinande­r, träge kippten die beiden Teighälfte­n zur Seite. Der Duft von Gebratenem stieg auf: Schweineme­tt, Zwiebel, Koriander. Sie begann zu essen. Nie mehr würde sie etwas Vergleichb­ares schmecken.

Theo räusperte sich. „Wo warst du eigentlich heute mit Ping?“

„Ich habe Schuhe gekauft.“„Schuhe?“„Wanderstie­fel. Für Lai.“„Echt? Was für eine Idee!“„Didi hat gemeint, dass er kein richtiger Wanderführ­er ist, würde man daran sehen, dass er keine gescheiten Schuhe hat. Ich wollte, dass ihm so etwas nicht noch mal passiert.“

Theo ergriff ihre Hand. „Du bist wundervoll, Alicia!“

Sie saß und schaute auf diese Hand, die ihr so vertraut war, die viereckige Form seiner Nägel.

„Kriegen wir es wieder hin?“, fragte Theo.

„Was denkst du?“„Dass du das entscheide­n wirst. Was mich betrifft – ich hänge an dir bis in Ewigkeit.“

„Aber ich will doch auch!“, stöhnte sie. „Ich muss vielleicht nur ein paar blöde Bilder vergessen!“

„Die werden von selber blass. Dafür musst du gar nichts tun. Etwas anderes fände ich viel wichtiger.“

„Was?“Meinte er das Gleiche wie sie? Vermisste er es auch? Ihr altes Getümmel zwischen den Kissen in ihrem Bett? Eine vage Hoffnung stieg in Alicia hoch.

„Du solltest dich mit Didi ausspreche­n. Am besten noch heute. Hier in Beijing.“

„Wieso fällt dir jetzt ausgerechn­et wieder diese Frau ein?!“Sie schnaubte vor Entrüstung.

„Ich weiß, wie dir zumute ist. Trotzdem. Ruf sie an, bestell sie hierher. Ich gehe solange ins Hotel und packe.“

„Ich denke nicht daran. Wenn schon, dann müsste sie mich anrufen!“

„Sie wird sich nicht melden, aber das ist egal. Es geht um dich bei diesem Gespräch, nicht um sie. Sie war so lange Zeit so wichtig für dich.“

„Puh! Und wenn Gregor noch am Leben wäre – dann sollte ich mich mit dem auch noch ausspreche­n, oder was sonst fällt dir dazu noch ein?“

„Das solltest du, in der Tat. Ich weiß, er hat dich gequält. Aber irgendwann mochtest du ihn auch. Vielleicht gelingt es dir ja, dass du ihm verzeihst?“

Ein Abgrund tat sich auf. Schwindele­rregend tief. Wie kam Theo plötzlich darauf, dass sie Gregor einmal gemocht hätte? Hatte Didi ihre Lüge weitergege­ben? Der Schweiß trat Alicia auf die Stirn. „Findest du nicht, dass das alles ein bisschen viel ist?“

„Ist es. Aber du schaffst das!“

Er sprach, als ob es nicht den geringsten Zweifel gäbe. „Alicia, du bist über die Wilde Mauer gekraxelt, du hast einem tollwütige­n Polizisten die Stirn geboten …“

„Ich hab einfach nur die Schnauze gehalten.“

„Das ist das Gleiche.“

FORTSETZUN­G FOLGT

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