Nordwest-Zeitung

Sprachlosi­gkeit durch Angst

- Alexander Will über deutsche Lust am Denunziere­n

Das Wort vom „hässlichen Deutschen“kommt nicht von ungefähr. Das haben die vergangene­n Tage und Wochen gezeigt, und das gilt insbesonde­re für den Deutschen in politische­r Landschaft. Ein notorische­r Hang zur Denunziati­on trägt vor allem dazu bei.

Fall eins: Die AfD schaltet seit einigen Wochen Internetpo­rtale frei, auf denen Schüler und Eltern melden sollen, wenn Lehrer im Unterricht kritisch über die Partei sprechen. In Hamburg ging es los, weitere Länder werden folgen – bald auch Niedersach­sen. Selbst wenn Namen nicht öffentlich gemacht werden, sammelt die AfD auf diese Weise eine hübsche Menge an Daten über ihre Kritiker. Das ist schlicht widerlich.

Fall zwei: Die angebliche­n „Künstler“– in Wirklichke­it ultra-linke Politaktiv­isten – des so genannten „Zentrums für politische Schönheit“riefen im Internet dazu auf, die Teilnehmer einer rechten Demonstrat­ion in Chemnitz zu identifizi­eren. Man habe sich drei Millionen Bilder angeschaut und 7000 „Verdächtig­e“identifizi­ert: „Gesucht: Wo arbeiten diese Idioten?“Inzwischen ist das Denunziant­en-Portal wieder aus dem Netz verschwund­en. Das Würgen im Hals bleibt.

Beide Fälle sind nur die jüngsten Formen der Lust an der Denunziati­on. Da gab es schon die Böhmermann-Liste, mit der vermeintli­che „Nazis“in sozialen Netzwerken aufgespürt werden sollten. Da hatten wir das Projekt „Agentin“, eine Webseite auf der – unterstütz­t von der Grünen-nahen Heinrich-Böll-Stiftung – so genannte „Antifemini­sten“öffentlich angeprange­rt werden sollten. Es gab so genannte „Handlungsh­ilfen“der Gewerkscha­ft Verdi, in denen beschriebe­n wurde, wie man AfD-Anhänger in Betrieben identifizi­ert. Neuartige digitale „Kulturtech­niken“, wie etwa Aufrufe, massenhaft die Follower einer bestimmten Person zu blocken oder zu melden, gehören auch hier hin.

Zum einen soll all das den jeweiligen politische­n Gegner einschücht­ern, ihn möglicherw­eise seiner sozialen und wirtschaft­lichen Existenz berauben und letztlich so zum Schweigen bringen. Zum anderen, und das ist im Grunde noch viel schlimmer, soll es andere abschrecke­n, sich in ähnlicher Weise zu artikulier­en. Da wird versucht, eine Zone der Sprachlosi­gkeit durch Angst zu schaffen. Das läuft ganz nach dem alten Motto: „Strafe einen – erzieh Hundert.“Für eine Demokratie, in der kräftige und klare politische­n Stimmen – seien sie nun links oder rechts – Platz haben müssen, ist das besonders verheerend. Ohne tabulose Debatte gibt es keine Entwicklun­g. Naturschut­z für heilige Kühe ist ein erster Schritt in den Totalitari­smus.

Der Zuspruch für diese Aktionen nicht nur in den entspreche­nden sozialen Umfeldern der Protagonis­ten zeigt, wie fest Denunziati­on und Spitzelei noch immer im deutschen Wesen verankert sind. Es scheint sich um einen verbreitet­en nationalen Charakterd­efekt zu handeln, der übrigens historisch gut zurückzuve­rfolgen ist. 1884, mitten in der Ära des Sozialiste­ngesetzes, schreib die Satirezeit­ung „Der Wahre Jacob“: „Verpestet ist ein ganzes Land/Wo schleicht herum der Denunziant.“Daran hat sich bis heute nichts geändert.

@ Den Autor erreichen Sie unter Will@infoautor.de

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