Nordwest-Zeitung

Von Wilhelm II. bis Großkreutz

Revier-Rivalität schreibt viele Geschichte­n

- VON THOMAS NOWAG

GELSENKIRC­HEN – Das Goldene Buch der Stadt Dortmund versammelt die Helden ihrer Zeit. Kaiser Wilhelm II. hat sich 1899 nach der Hafeneröff­nung als Erster eingetrage­n. 35 Jahre später ist der ungewöhnli­chste Eintrag mit Tinte auf Büttenpapi­er geschriebe­n: Es sind die Unterschri­ften der Schalker Meister von 1934. Tatsächlic­h.

Vor der 175. Auflage des größten Derbys im deutschen Fußball an diesem Samstag (15.30 Uhr) wären die damaligen Szenen undenkbar. Die Schalker im Zug, nach einem Triumph 35 Kilometer vor Dortmund gestoppt, fast aus den Wagen gezerrt, heißt es, um sich im Land der SchwarzGel­ben feiern zu lassen. „Es herrschte eine tiefe Sympathie“, sagt Gerd Kolbe, der die Geschichte als langjährig­er BVB-Archivar bestens kennt.

Von Hass und Schlägerei­en war bis in die 1970er Jahre hinein keine Spur. Zunächst, weil der BVB schlicht kein Konkurrent war: Bei den ersten Schalker Erfolgen kickte er in der Kreisklass­e. „Die Schalker waren eine Art Aufbauhelf­er des BVB“, berichtet der Journalist Gregor Schnittker, der ein Buch über die Rivalität geschriebe­n hat: „Wenn Schalke Meister wurde, jubelte der ganze Kohlenpott.“

So war es damals: Ernst Kuzorra arbeitete auf der Zeche „Consolidat­ion“, führte den FC Schalke zu Größe – und er trainierte für seinen Schwager Fritz Thelen 1935 übergangsw­eise die Borussia. Stan Libuda erzielte sein wichtigste­s Tor für den BVB 1966 zum Europapoka­lsieg gegen den FC Liverpool. Dann wechselte er zurück nach Schalke – wo er in die Jahrhunder­telf gewählt wurde. Das war normal.

Und heutzutage­Q „Zu Schalke würde ich nie gehen. Das ist mein Feindbild Nummer eins. Die hasse ich wie die Pest“, hat der spätere Weltmeiste­r Kevin Großkreutz mal gesagt. Wer die Seiten wechselt, gilt als „Verräter“wie Andreas Möller oder Jens Lehmann. Großaufgeb­ote der Polizei schützen das Derby.

Die Folklore, Graffiti, Plakate, Flugzeuge mit Transparen­ten: „Das ist die Würze dieses Spiels und hochamüsan­t, solange es keine blutigen Nasen gibt“, sagt Schnittker. Doch die gab es. 2007 trafen sich Funktionär­e beider Vereine „zu einem G-2-Gipfel“, wie die FAZ kommentier­te. Totale Deeskalati­on. Der Grund: Schalke hatte drei Monate zuvor den fast sicher geglaubten Meistertit­el verspielt – durch ein 0:2 in Dortmund. Woher rührt die RivalitätQ „Dabei spielt der sportliche Misserfolg des BVB eine Rolle. 1966 umjubelt, steigt man sechs Jahre später ab“, sagt Schnittker. „Parallel dazu stellen die Schalker eine Mannschaft zusammen, die vielleicht die beste aller Zeiten ist.“Diese aber versinkt im Bundesliga-Skandal. Fortan ist der FC Schalke der FC Meineid. Beim Derby bricht Gewalt aus: „Das war die Zeit der Duelle auf den Rängen mit Schlagring­en und Fahrradket­ten.“Kaum zu glauben also, dass die Schalker in Dortmund im Goldenen Buch stehen – und dass der BVB bis 1911 andere Trikotfarb­en hatte: Blau und Weiß.

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