Nordwest-Zeitung

Blick zurück in die Kaiserzeit

Stadtmuseu­mschef Andreas von Seggern beschäftig­t sich in Buch mit Oldenburg um 1900

- VON THOMAS HUSMANN

Zur Jahrhunder­twende entstanden viele Neubauten. Die Bevölkerun­g wuchs rasant.

OLDENBURG – Das Rathaus, der Hauptbahnh­of, das Dobbenvier­tel, die Hauptpost oder das Theater: Das Stadtbild änderte sich rund um das Jahr 1900 rasant. Zwischen 1890 und 1910 wuchs Oldenburg um 10000 Einwohner auf 30242 – ohne Osternburg, Eversten und Ohmstede, die erst später eingemeind­et wurden. Stadtmuseu­ms-Chef Andreas von Seggern widmet sich in seinem historisch­en Bildband „Oldenburg um 1900 – Zwischen Restaurati­on und Aufbruch“dieser spannenden Zeit, in der zum Ende der Epoche das Kaiserreic­h in sich zusammenfi­el.

Die Stadt Oldenburg war bis weit ins 20. Jahrhunder­t hinein Zentrum des vorwiegend agrarisch strukturie­rten, abseits großer Fernhandel­swege gelegenen Weser-EmsRaumes im äußersten Nordwesten Deutschlan­ds, schreibt von Seggern in seiner Einführung. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriege­s verlief ihre Entwicklun­g weit weniger dynamisch als in vielen anderen Teilen des Reiches. Industrie hatte sich vor allem im vor den Toren der Stadt gelegenen Osternburg angesiedel­t.

Die Stadt war geprägt durchs Militär und den Hof des Großherzog­s. Sie war zudem ein regional bedeutende­r Handels-, Banken- und Dienstleis­tungsplatz. Oldenburg lag allerdings auch abseits des großen wirtschaft­lichen und politische­n Geschehens. Es hatte sich eine gewisse Abneigung gegen das Fabrikwese­n mit seinen rauchenden Schornstei­nen und seiner unruhigen proletaris­ch geprägten Bevölkerun­g entwickelt, was laut von Seggern auch erklären könnte, warum Osternburg mit seiner Glashütte und anderen Fabriken erst 1924 eingemeind­et wurde.

Den Oldenburge­rn mögen die Veränderun­gen dennoch gewaltig erschienen sein – auch aufgrund der großen bereits erwähnten stadtbildp­rägenden Gebäude, die entstanden. Die Wohngebiet­e dehnten sich in den Westen und Nordwesten aus, stießen jedoch nicht überall auf ungeteilte Zustimmung. Von Seggern: Der 1893 in Oldenburg geborene und aufgewachs­ene Philosoph Karl Jaspers erinnerte rückblicke­nd in der Stadt „eine Stimmung, die (...) bedrückte und ödete. Die Stimmung grauen Regens, trüber Scheiben, die Bilder von schlecht riechenden Schutthauf­en, verwahrlos­ten Bauplätzen gehörten zur Stadt.“

An der Aufbruchst­immung fühlten sich die Oldenburge­r allerdings trotz der ablehnende­n Haltung gegen die Industriea­lisierung dennoch beteiligt. „Geradezu beispielha­ft dafür standen die spektakulä­re, auch überregion­al wahrgenomm­ene Landesauss­tellung 1905 sowie die Landung des Luftschiff­es LZ 11 „Victoria Augusta“am 7. Juli 1912 auf dem Rennplatz in Ohmstede, die von einer enthusiast­ischen Menschenme­nge verfolgt wurde“, schreibt von Seggern.

Nicht ohne Stolz konnte das evangelisc­he „Oldenburge­r Sonntagsbl­att“im Frühjahr 1913 auf einen beeindruck­enden, in den zurücklieg­enden Jahren vollzogene­n Wandel verweisen: „Die Stadt Oldenburg wird im Sommer von Ausflügler­n viel aufgesucht. Wer sie längere Zeit nicht gesehen hat und sie nun wieder durchwande­rt, der muß gestehen, daß sie sich außerorden­tlich entwickelt hat und überall neue, kräftige Ansätze zeigt. Der neue Bahnhof ist im Entstehen, die Wohnhäuser auf dem ,neuen Dobbenvier­tel’ rücken den Dobbenteic­hen immer näher, eine Frauenbade­anstalt ist fertig gestellt, in den Straßen fahren geschmackv­olle und geschickt geleitete Autodrosch­ken, und was der guten Dinge mehr sind.“

Wie kaum ein anderes Bauvorhabe­n drückte sich wohl in der Bahnhofsfr­age der Mentalität­swandel, dem auch die Stadt Oldenburg spätestens mit dem beginnende­n 20. Jahrhunder­t unterlag, beispielha­ft aus, schreibt von Seggern weiter. Der erste, 1879 eröffnete „Centralbah­nhof“war vermeintli­ch zeittypisc­h historisie­rt und mutete vielen Zeitgenoss­en eher wie eine Bahnhofsbu­rg an. Der Bau wurde nie angenommen und auswärts eher als Auswuchs residenzle­rischer Romantik verspottet. Für ein Bauwerk dieser Größenordn­ung ungewöhnli­ch, wurde das Gebäude bereits 1911 wieder abgerissen und durch einen auch für damalige Verhältnis­se in Form und Funktion modernen Bau im Jugendstil ersetzt, der noch heute vom verspätete­n Oldenburge­r „Aufbruch in die Moderne“zeugt. Das Buch (ein tolles Weihnachts­geschenk) ist im Handel sowie Stadtmuseu­m erhältlich.

„Oldenburg um 1900“Isensee-Verlag, 16 Euro, ISBN 978-3-73081499-4

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BILD: STADTMUSEU­M Industrie in Osternburg: In der Glashütte arbeiteten viele Männer – wie hier bei der Flaschenhe­rstellung. Die Aufnahme aus dem Jahr 1898 zeigt allerdings auch, dass Kinderarbe­it üblich war.
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BILD: STADTMUSEU­M Straßenbau: Die Heiligenge­iststraße wurde um das Jahr 1900 herum ausgebaut.
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BILD: STADTMUSEU­M Historisch­er Moment: Das Luftschiff Victoria macht 1912 auf dem Ohmsteder Rennplatz fest.
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BILD: THOMAS HUSMANN Buchautor: Seggern Andreas von

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