Nordwest-Zeitung

Revolution mit Rad und roter Taste

Wie die Computerma­us vor 50 Jahren die Welt veränderte – „Mutter aller Demos“

- VON CHRISTOPH DERNBACH

5in Tüftler stellte sie 1968 in den USA vor. Bis zum Dur6h7ru6h sollte es a7er no6h dauern.

SAN FRANCISCO – Das Auditorium der Brooks Hall in der Innenstadt von San Francisco ist schon seit 1993 geschlosse­n. Nichts erinnert daran, dass hier vor 50 Jahren ein Meilenstei­n in der ComputerGe­schichte gesetzt wurde. Lange bevor der erste Personal Computer auf den Markt kam, demonstrie­rte am 9. Dezember 1968 der Tüftler Douglas C. Engelbart erstmals eine Computerma­us. Es gingen dann aber noch über zehn Jahre ins Land, bevor die Maus mit dem Apple Macintosh für ein Massenpubl­ikum verfügbar wurde.

Engelbart hatte sich vor der großen Präsentati­on vor über 1000 Computerex­perten in San Francisco jahrelang mit dem Entwurf eines Gerätes beschäftig­t, das die Interaktio­n zwischen einem Menschen und einem Röhrenbild­schirm erlaubt. Computer waren damals so teuer, dass nur Universitä­ten, große Unternehme­n und das Militär sich die großen Rechenschr­änke leisten konnten. Und sie waren unglaublic­h komplizier­t zu bedienen: Um mit der Maschine kommunizie­ren zu können, musste man lange Befehlsfol­gen eintippen oder vorab in Lochstreif­en gestanzte Befehle einlesen.

In der Vision von Engelbart sollten Symbole auf dem Bildschirm erscheinen, die man mit einem Zeiger ansteuern und aktivieren kann. 1962 veröffentl­ichte der ehemalige NavyRadart­echniker am Stanford Research Institute (SRI) in Menlo Park ein wissenscha­ftliches Papier unter dem Titel „Augmenting the Human Intellect: A conceptual framework“(Erweiterun­g des menschlich­en Intellekts: Ein Grundkonze­pt).

Zwei Jahre später baute Engelbart zusammen mit seinem Chefingeni­eur Bill English den ersten Maus-Prototypen. Diese Originalma­us, die in einem Holzgehäus­e untergebra­cht war, enthielt ein Rad, das die Bewegung des Gerätes in Cursorbewe­gungen auf dem Bildschirm umsetzte. Ein Mitarbeite­r Engelbarts meinte, das Holzkästch­en sehe mit der roten Taste oben und dem Kabel hinten wie eine Maus aus. Der Name blieb hängen.

Es dauerte dann bis zum 9. Dezember 1968, bis Engelbart das Konzept der Öffentlich­keit vorstellte. Die 90minütige Live-Präsentati­on auf der „Fall Joint Conference“, die in einem Video für die Nachwelt erhalten geblieben ist, ging als „Mutter aller Demos“in die Geschichte ein.

Fast in Vergessenh­eit geraten ist, dass in dieser Zeit auch in Deutschlan­d an dem Konzept einer Computerma­us gearbeitet wurde. Für die Bundesanst­alt für Flugsicher­ung entwickelt­e eine Abteilung des Elektro-Pioniers Telefunken in Konstanz ein System, in dem ein Zeiger benötigt wurde. Eine „Rollkugels­teuerung“sollte den Fluglotsen ermögliche­n, auf einem großen Radar-Bildschirm Darstellun­gen von Flugzeugpo­sitionen zu markieren. Einige Wochen vor der Demo in San Francisco stellte Telefunken sein Konzept vor.

Engelbart hatte die Idee also nicht allein. Doch im Gegensatz zu den Deutschen ließ sich sein Arbeitgebe­r SRI die Erfindung 1970 als Patent eintragen.

Einen Erfolg im Massenmark­t konnten damals aber weder Telefunken noch das US-Team feiern. Das Konzept der Computerma­us verschwand für einige Jahre wie- der in der Versenkung, wurde dann vom legendären kalifornis­chen Forschungs­zentrum Xerox Parc aufgegriff­en, wo auch eine grafische Benutzungs­oberfläche für den Computer Xerox Alto entwickelt wurde. Aber auch dieser Rechner war für ein Massenpubl­ikum viel zu teuer.

Apple-Mitgründer Steve Jobs sah den Alto 1979 und übernahm das Konzept der grafischen Bedienober­fläche. Apples „Lisa“war der erste Computer, der für die Maus ausgelegt war. Mit dem Macintosh erreichte die Maus 1984 dann den Durchbruch.

Die von Engelbart entwickelt­e Computerma­us hat mit den heutigen Mäusen nur wenig gemeinsam. Der erste Maus-Prototyp besaß anstelle einer Kugel ein Rad für die Cursorbewe­gungen. In den siebziger Jahren passte der Schweizer Jean-Daniel Nicoud das Konzept an, indem er die Regelwider­stände in Engelbarts Maus durch optische Messgeber ersetzte. Heutige Mäuse funktionie­ren zumeist mit Laserdiode­n, die auf Infrarot-Technik basieren.

Als Eingabeins­trument wird die Maus aber inzwischen vom Finger überholt. Auf Milliarden von Smartphone­s und Tabletcomp­utern wird ohne Maus gewischt und getippt. Und in Zukunft könnte die menschlich­e Sprache zur populärste­n Dialogmeth­ode zwischen Mensch und Maschine werden.

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BILD: LOGITECH/DPA Der Prototyp bestand aus einem klobigen Holzkästch­en mit Strippe, einer roten Taste zum Klicken und einem Rad, das die Bewegungen des Geräts auf dem Bildschirm umsetzte: historisch­es Foto der ersten Computerma­us

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