Theresa May zieht die Notbremse
Abstimmung im britischen Parlament verschoben – Was jetzt passieren könnte
Die Premierministerin hatte keine Mehrheit für ihren Deal. Großbritannien will Ende März 2019 aus der Staatengemeinschaft ausscheiden.
LONDON – Die Abstimmung über das Brexit-Abkommen im britischen Parlament wird verschoben. Das sagte Premierministerin Theresa May am Montag vor den Abgeordneten in London. Der Termin war ursprünglich für Dienstagabend angesetzt. Wann die Abstimmung jetzt abgehalten werden soll, ist unklar. May will nun mit ihren Amtskollegen aus den EU-Staaten und den Spitzen der Europäischen Union nachverhandeln. Doch die Rufe nach einem Rücktritt der Regierungschefin und nach einem zweiten BrexitReferendum werden lauter.
Grund für den Schritt sei der sich abzeichnende Widerstand im Parlament gegen den sogenannten Backstop im Brexit-Abkommen, sagte May. „Als Resultat würde der Deal mit großem Abstand abgelehnt werden, wenn wir morgen fortfahren und die Abstimmung abhalten würden.“Mit dem Backstop soll verhindert werden, dass zwischen dem britischen Nordirland und dem EU-Mitglied Irland nach dem Brexit wieder Grenzkontrollen eingeführt werden. In diesem Fall würde ein Wiederaufflammen des Konflikts in der Ex-Bürgerkriegsregion befürchtet.
May will nun vor dem EUGipfel Ende der Woche mit ihren Amtskollegen aus der EU und den Spitzen von Kommission und Europäischem Rat die „klaren Bedenken“des Parlaments diskutieren. Aus Brüssel hatte es am Montag jedoch die klare Ansage gegeben, dass es keine Nachverhandlungen des Abkommens geben wird.
„Dieser Deal ist der beste Deal und der einzige mögliche Deal“, bekräftigte eine Kommissionssprecherin in Brüssel. „Wir werden die Ver-
einbarung, die jetzt auf dem Tisch liegt, nicht nachverhandeln.“
Die schottische Regierungschefin Nicola Sturgeon bezeichnete die Entscheidung, die Abstimmung zu verschieben, als „erbärmliche Feigheit“. Die konservative Regierungspartei stelle damit ihre eigenen Interessen über die des Landes, so Sturgeon. Der Chef der oppositionellen Labour-Partei, Jeremy Corbyn, forderte May auf, entweder beim Abkommen nachzuverhandeln oder eine Neuwahl
auszurufen. „Wir haben keine funktionierende Regierung“, so Corbyn.
Großbritannien will in weniger als vier Monaten – Ende März 2019 – aus der Staatengemeinschaft ausscheiden. Sollte bis dahin kein Abkommen ratifiziert sein, droht ein ungeregelter Austritt aus der EU mit chaotischen Folgen für die Wirtschaft und andere Lebensbereiche.
Neben Nachverhandlungen mit Brüssel wird in Großbritannien auch über ein zweites Brexit-Referendum
spekuliert. Beim ersten Referendum 2016 hatte sich nur eine knappe Mehrheit der Teilnehmer für die Loslösung von der Europäischen Union ausgesprochen. Denkbar ist auch ein Rückzieher vom Brexit. Die Schwelle dafür ist niedriger als gedacht, wie aus einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs in Luxemburg hervorgeht. Großbritannien könnte demnach den Brexit einseitig und ohne Zustimmung anderer EULänder stoppen.