Nordwest-Zeitung

Ein Rebell widersteht mit Zärtlichke­it

Liedermach­er Konstantin Wecker kommt am 16./17. Dezember in die Oldenburge­r Kulturetag­e

- VON NATHALIE MENG

Der 71-Jährige singt seit mehr als 40 Jahren gegen Faschismus und f6r eine friedliche Welt. Im Inter7ie8 erzählt er, 8as ihn 86tend und 8as ihm Mut macht.

FRAGE: Herr Wecker, Sie haben eine neue CD herausgebr­acht: „Sage Nein! Antifaschi­stische Lieder 1978 bis heute“. Warum ist die CD eine Herzensang­elegenheit für Sie? KONSTANTIN WECKER: Weil Europa droht, im schlimmste­n Fall wieder faschistis­ch zu werden. Ich halte es für unglaublic­h wichtig, dass jetzt alle demokratis­chen Kräfte zusammenha­lten, damit dieser Wahnsinn sich nicht weiter entwickeln kann. Als ich mir ein Programm für das nächste Jahr überlegt habe, fiel mir auf, dass ich in den vergangene­n 40 Jahren antifaschi­stische Lieder geschriebe­n habe, als alles nicht annähernd so bedrohlich war wie jetzt. Ich hätte mir, als ich meinen ersten „Willy“geschriebe­n habe…

FRAGE: Ein Lied über Ihren Freund Willy, der von Neonazis erschlagen wird… WECKER: ...nicht im Traum vorstellen können, dass das so erschrecke­nd aktuell sein könnte. Deshalb habe ich einige dieser Lieder für eine CD neu aufgenomme­n. Es war mir wichtig, diese CD noch in diesem Herbst rauszubrin­gen. FRAGE: „Willy“ist darauf in der ursprüngli­chen und in der aktuellen Version zu hören. Was ist 2018 anders als 1977? WECKER: Alles. Damals war es das Bestreben der 68er Bewegung, die Altnazis aus ihren Vorstandsp­osten und aus der Politik zu vertreiben, und das aufzudecke­n. Heute ist es eine völlig andere Situation. Es gibt ja praktisch keine Altnazis mehr. Wer sich heute dieser Ideologie nähert, muss doch eigentlich wissen, wie alles ausgegange­n ist, wie schrecklic­h das alles war. Wie kann man einer solchen Ideologie noch anhängen? Es ist mir unbegreifl­ich. Ich bin aufgewachs­en mit dem Satz „Faschismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen“, und dazu stehe ich weiterhin. FRAGE: Seit zwei Jahren sind Sie mit dem Programm „Poesie und Widerstand“auf Tour. Wie passen diese scheinbare­n Gegensätze zusammen? WECKER: Poesie ist Widerstand. Denn genau dieses Zärtliche ist die Sprache, die die Mächtigen und Herrschend­en nicht verstehen, vor der sie auch Angst haben. Bei beginnende­n Diktaturen wird meist als Erstes die Kultur umgekrempe­lt. Die haben Angst vor der Kultur, und ich glaube, sie haben vor allem auch Angst, weil sie sie nicht verstehen. Was sie gut beherrsche­n, sind Waffen, Gewalt, vor allem der Verlust des Mitgefühls. Mitgefühl haben sich die meisten auf dem Weg zur Macht abgeschnit­ten, verboten, manche hatten es noch nie. Die Poesie kann genau das in jemandem wecken. FRAGE: Sie kämpfen unermüdlic­h für eine friedliche Welt. Was treibt Sie an? WECKER: Ich hatte wunderbare Eltern, antifaschi­stische Eltern. Bei meinem Jahrgang ist das ein großes Glück. Das hat sicher meinen Pazifismus geprägt. Und was mir jetzt erst so richtig bewusst wird: Ich bin 71 Jahre alt, und ich habe 71 Jahre ohne Krieg und Hunger leben dürfen. Das ist fast ein Wunder in der Weltgeschi­chte. Jeder Krieg schafft wieder traumatisi­erte Kinder, und die werden automatisc­h zu Kriegern, denn wie sollen die jemals das Gefühl haben, dass eine gewaltfrei­e Welt überhaupt erstrebens­wert ist? Das ist das Schrecklic­hste am Krieg: Dass es immer weitergeht, durch die Traumatisi­erung der Menschen.

FRAGE: Welche Macht hat denn die Musik?

WECKER: Seit ein, zwei Jahren merke ich durch Rückmeldun­gen von Konzertbes­uchern, wie ich Mut machen kann. Eine ist exemplaris­ch für viele, da schrieb einer: „Ich wollte eigentlich den lieben Gott einen guten Mann sein lassen, man kann sowieso nichts ändern. Aber jetzt war ich in Ihrem Konzert, und ich verspreche Ihnen: Ich engagier mich weiter. Es hat mir Kraft gegeben.“Da sieht einer, dass es noch viele gibt, die ähnlich denken wie er, und er fühlt sich nicht allein. Mit 18 Jahren habe ich mich entschiede­n, dass ich meine Gedichte vertone, um sie so besser unter die Leute zu bringen. Die beste Möglichkei­t, wirklich an die Menschen heranzukom­men, ist über die Musik. Mehr als eine politische Rede hat sie die Kraft, direkt ins Herz zu dringen. FRAGE: Und was können Nichtkünst­ler tun?

WECKER: Im neuen „Willy“schrieb ich: „Die mit dem Herzen denken, sind immer noch in der Mehrzahl“. Darin bin ich mir ganz sicher. Wir müssen es nur schaffen, dazu zu stehen und unsere Würde als Mensch wiederentd­ecken, dass Menschlich­keit das Wichtigste ist. Empathie halte ich für die höchste Errungensc­haft des Homo sapiens. Sie ist unteilbar. Wir können nicht sagen, wir haben Mitgefühl für diese, und für jene nicht. Das erschreckt mich am meisten zur Zeit.

FRAGE: Sie empfinden Wut angesichts zunehmende­n Rassismus’, gleichzeit­ig sprechen Sie von Mut, der Ihnen jene machen, die dagegen auf die Straße gehen. Liegen Wut und Mut so nah beieinande­r? WECKER: Ja. Ich lasse mir die Wut auch nicht nehmen. Ich erinnere mich an ein Gespräch mit Bernie Glassman, einem jüdischen Zenmeister aus New York, der sozial sehr engagiert war. Er kam von einem Retreat in Auschwitz – voll der Liebe. Er sagte erst, es sei keine Wut in ihm, und ich entgegnete ihm: „Ohne die Wut hättest du doch gar nicht den Gedanken gehabt, dich sozial einzumisch­en. Es braucht doch Wut, um etwas zu verändern!“Und er sagte: „Da hast du recht, Konstantin, wir brauchen die Wut. Aber handeln dürfen wir nur aus Liebe.“Das hat sich mir ins Herz geprägt.

FRAGE: Werden Sie eigentlich auch manchmal angefeinde­t WECKER: Ja, klar. Das Typische ist natürlich das Belächeln als naiv und als… FRAGE: Träumer vielleicht? WECKER: Man wirft uns Poeten und Gutmensche­n vor, wir seien die Träumer. Aber ich glaube, es ist umgekehrt: Wir sind in der Wirklichke­it, und die anderen leben in einem Albtraum der Realität. Ich bin kein Träumer, ich bin mir ganz sicher, dass das, was ich mir erträume, die Wirklichke­it ist. Denn wenn die Wirklichke­it so wäre, wie die Welt ist, wäre das unerträgli­ch. Wir vernichten gerade alles – die Erde, die Tierwelt, die Meere –, sind grausam gegenüber allem, was uns umgibt, aus ganz egoistisch­en Interessen. Soll das die Wirklichke­it sein? Nein, das ist eine Realität, die wir uns geschaffen haben, und sie gleicht einem Albtraum.

FRAGE: Was raten Sie jungen Liedermach­ern?

WECKER: Ich unterricht­e Songwritin­g an der Uni Würzburg, und meinen Studenten sage ich als Erstes: „Ihr braucht nur zu mir zu kommen, wenn ihr singt, weil ihr ein Lied habt.“Vor 50 Jahren schrieb ich: „Ich singe, weil ich ein Lied hab, nicht, weil es euch gefällt.“Das ist das Wichtigste: Es muss aus euch herauskomm­en wollen! Liedermach­er sein, hieß schon immer, dass man sich auch engagiert und nicht einfach Dinge schreibt, um damit Geld zu verdienen oder berühmt zu werden.

FRAGE: Was erwartet das Publikum bei den beiden Konzerten – mehr Politische­s oder mehr Poetisches?

WECKER: Ich mache sicherlich ein ganz poetisches Konzert, werde aber natürlich mit meiner Meinung nicht hinterm Berg halten. Ich werde aus meinem neuen Buch lesen, „Auf der Suche nach dem Wunderbare­n – Poesie ist Widerstand“, aber auch durch meine eigene Geschichte, also durch fast ein halbes Jahrhunder­t wandern . . .

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BILD: THOMAS KARSTEN Poesie ist für ihn Widerstand: Der Liedermach­er Konstantin Wecker lässt sich weder Wut noch Mut nehmen.

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