Ein Pakt und viele Spalter
Wie Falschmeldungen die Konferenz überschatten
er UN-Migrationspakt soll die Staaten der Welt einen. Stattdessen zerbrechen Regierungen daran.
MARRAKESCH/BRÜSSEL – Ei HeHt feierlich zu bei der UNMigrationskonferenz in Marokko. Fast schon friedlich. Keine Spur von den heftigen Debatten der vergangenen Wochen, die nicht nur Deutschland beschäftigten.
Kein Wunder, die Gegner des Migrationspaktes sind ja auch gar nicht im Raum, als Konferenz-Präsident Nasser Bourita um kurz nach zehn Uhr die Annahme des Dokuments verkündet. Im Saal in Marrakesch brandet langanhaltender Applaus der mehr als 150 Delegationen auf. Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) ist dabei.
Die Tische von Ungarn, Österreich oder Italien dagegen bleiben leer. Sie und eine Reihe weiterer – vor allem europäischer – Regierungen hatten in den vergangenen Wochen Abstand von dem Dokument genommen. Für die EU ist der UN-Migrationspakt zu einem Symbol der Spaltung geworden. Ironischerweise, denn das Dokument soll die internationale Einheit und Zusammenarbeit in der Migrationspolitik fördern.
Club der Skeptiker
Ursprünglich war geplant gewesen, dass die Europäer bei dem Abkommen mit einer Stimme sprechen. Dem schob Ungarns rechtsnationaler Ministerpräsident Viktor Orban einen Riegel vor und verhinderte eine gemeinsame EUPosition. Nicht nur Italien und Österreich folgten im Club der Skeptiker.
Die heftigsten Auswirkungen spürte Belgien. Im Herzen Europas zerbrach die Regierungskoalition über den Streit um den Pakt. Die flämischnationalistische Regionalpartei N-VA verließ am Sonntag die Regierung. Der Grund: Der frankophone liberale Ministerpräsident Charles Michel hielt gegen Forderungen der N-VA an dem Pakt fest und flog nach Marrakesch.
Der Riss beim Thema Migration war in den vergangenen Wochen auch in Deutschland spürbar. Die AfD erkannte das politische Potenzial des Themas und machte Front. Deutschland könne bald nicht mehr selbst über seine Migrationspolitik bestimmen, da komme ein „verstecktes Umsiedlungsprogramm für Wirtschaftsund Armutsflüchtlinge“, hieß es. Medien würden aufgefordert, einseitig positiv über den Pakt zu berichten. Die Unterstellungen wurden seitdem vielfach durchleuchtet und die meisten widerlegt. Trotzdem blieb viel haften.
Merkel kämpft am Montag gegen die Behauptungen an, nachdem sie für nur wenige Minuten Redezeit nach Marrakesch geflogen ist. Hier in Marokko, wo in diesem Jahr Zehntausende Menschen in Booten Richtung Europa ablegten, will sie den Pakt gegen dessen Kritiker verteidigen.
Sie setzt in ihrer Rede ein Signal gegen die Populisten: Illegale Migration rufe teils große Ängste hervor, sagt sie. „Diese Ängste werden jetzt benutzt von den Gegnern dieses Paktes, um Falschmeldungen in Umlauf zu bringen.“Dabei müssten die Länder zusammenarbeiten, statt mit der Ablehnung des Abkommens nationale Alleingänge zu provozieren.
Potenzial für Fake News
Dass Regierung und Fraktion nicht früher auf das Verhetzungsund Fake-NewsPotenzial des Pakts aufmerksam geworden sind, dürfte Merkel heute wohl auch kritisch sehen. Schon im April, als im Bundestag auf Antrag der AfD eine aktuelle Stunde zum Thema auf der Tagesordnung stand, hätte man auf die Sprengkraft aufmerksam werden müssen, die das Thema dann tatsächlich entfaltete.
Welche Macht die falschen Behauptungen weltweit mittlerweile eingenommen haben, zeigt sich auch daran, dass UN-Generalsekretär António Guterres höchstpersönlich einen Faktencheck in die Rede einbaut. „Mythos 1“, sagt er. Der Pakt werde es den Vereinten Nationen erlauben, die Souveränität der Mitglieder einzuschränken. „Falsch!“, ruft er. Die meisten Migranten reisten aus dem Süden in den reichen Norden. „Falsch!“Entwickelte Länder bräuchten keine Migration. „Falsch!“Manchmal übersteuert sein Mikrofon.
Wohin die Migrationspolitik mit dem rechtlich nicht bindenden UN-Pakt nun steuert, hängt vor allem davon ab, inwiefern ihn die Mitgliedsländer in nationales Recht umsetzen. Die Zusammenarbeit mit afrikanischen Ländern zum Beispiel bei Abschiebungen könnte durch das Abkommen einfacher werden. Andere Maßnahmen könnten zu einer Verbesserung der Lebensumstände in Herkunftsländern führen, so dass der Migrationsdruck nach Westeuropa langfristig abnimmt. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht.