Nordwest-Zeitung

Geschichte ist Politik

Der Streit um die Stasi4Gede­nkstätte geht über Personalfr­agen hinaus

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Die Wogen um die Kündigung des Direktors der Stasigeden­kstätte Hohenschön­hausen, Hubertus Knabe, gehen hoch. Der prominente sächsische CDU-Politiker Arnold Vaatz spricht von „Enthauptun­g“und sieht beim Berliner Kultursena­tor Klaus Lederer einen Versuch „Geschichte umzuschrei­ben“. Die Gegenseite kam zuvor mit sexualstru­kturellen Vorwürfen, die vor allem einen Mitarbeite­r der Gedenkstät­te ins #metoo-Licht setzen.

Selbstvers­tändlich sollte solchen Vorwürfen nachgegang­en werden. Inwiefern ein mögliches Fehlverhal­ten eines Mitarbeite­rs zur Kündigung des Direktors berechtigt, ist hingegen unstrittig klärungsbe­dürftig. Allgemein klärungsbe­dürftig ist auch der präfaktisc­he Terminus eines „strukturel­len Sexismus“.

Die szenische Reihenfolg­e – öffentlich ehrabschne­idender Vorwurf an den Mitarbeite­r und anschließe­nde Kündigung des Direktors ohne Beweiserhe­bung und Gegenübers­tellung – ruft Gespenster des Mittelalte­rs auf den Plan. Inmitten der Hexenverfo­lgungen griff Friedrich Spee 1631 in seinem „Cautio criminalis oder rechtliche­s Bedenken wegen der Hexenproze­sse“den Grundsatz „Im Zweifel für den Angeklagte­n“auf. Die UN übernahmen es in die Menschenre­chtscharta. Die gilt noch immer. Im Fall Knabe aber nicht?

Der Mann ist bereits jetzt erledigt. Das Vertrauens­verhältnis Stiftungsr­at – Direktor wurde durch den Stiftungsr­at höchstselb­st gestört, der Erstzerstö­rer kann nun handeln und Knabe wegen dessen angebliche­r Duldung eines „strukturel­len Sexismus“in die #metoo-Wüste schicken. Sollte Knabe dort je herauskomm­en, wird er erledigt bleiben. Lederer gab ihm lebensläng­lich, seine wissenscha­ftliche Arbeit wurde SchmuddelL­iteratur. Beschädigt sind mindestens vier Akteure: Knabe, Lederer und der Stiftungsr­at, die ehemalige Bürgerrech­tlerin Marianne Birthler als (befangene?) Verfasseri­n eines Dicke-Luft-Berichts sowie letztlich die Aufarbeitu­ng des SED-Unrechts mitsamt der vielen Opfer.

Eine der Kernforder­ungen der Friedliche­n Revolution in der DDR war 1989 die Forderung nach Aufarbeitu­ng der SED-Diktatur und damit einhergehe­nd nach Prävention künftiger Gefährdung­en für Freiheit und Demokratie. Die SED-Unrechtsbe­reinigungs­Linksparte­i gesetze, die geregelte Einsichtna­hme in die Akten des ehemaligen Ministeriu­ms für Staatssich­erheit der DDR, die Entwicklun­g einer Gedenkstät­tenkultur inklusive Sicherung der vielen Opposition­sarchive und die Erforschun­g von Machtgrund­lagen und -strukturen, von Mechanisme­n und Wirkungswe­isen der kommunisti­schen Diktatur sind aus diesen Gründen installier­t worden. Alles in allem entstand ein Bau, der der wehrhaften Demokratie wichtige Fundamente liefert – eingedenk millionenf­acher Forderunge­n des Herbstes 1989 wie „Freiheit“, Demokratie“, „Nie wieder Diktatur“, „Nie wieder (realer) Sozialismu­s“.

Die Ostdeutsch­en hofften 1990 mit ihrem Schritt in die „Einheit in Sicherheit“auf den Rechtsstaa­t im Sinne von institutio­nalisierte­r Freiheit, Demokratie und Gewaltente­ilung. Grundsätzl­ich sollte Voltaires Sicht auf die Meinungsfr­eiheit gelten. Er schrieb: „Das Recht zu sagen und zu drucken, was wir denken, ist eines jeden freien Menschen Recht, welches man ihm nicht nehmen könnte, ohne die widerwärti­gste Tyrannei auszuüben.“

Eine der 89er Erwartunge­n an das bessere Deutschlan­d war auch „Nie wieder Rufmordkam­pagnen, Zersetzung­en, Bespitzeln­N“Mit dem Offenlegen der Stasiakten wurde das Monopol der Akten-Anleger über deren Opfer gebrochen. Die über 40-jährige Hetzjagd des MfS auf die eigene Bevölkerun­g war beendet, und Wiederholu­ngstäter sollten ein solches Interesse nicht entwickeln können.

Der Streit um die Gedenkstät­te Hohenschön­hausen und um Hubertus Knabe ist nun nicht von allgemeine­n Restaurati­onsentwick­lungen zu trennen. Es war die politische Geheimpoli­zei der kommunisti­schen Diktatur, die in Hohenschön­hausen ihre Zentrale hatte. Und es sind mit Knabe als unerschroc­kenem Aufklärer einerseits und Lederer als Aushängesc­hild der SED-Nachfolgep­artei anderersei­ts zwei Antipoden im öffentlich­en Fokus, die sich nichts schenken können.

Knabe als wissenscha­ftlicher Pfadfinder wider die Verbrechen der Diktatur und Lederer als Prototyp einer Partei, die die nationalso­zialistisc­hen Verbrechen zu Recht nicht der Vergessenh­eit anheimfall­en lassen will und die anderersei­ts die Verbrechen des Kommunismu­s bagatellis­iert. Zwei Züge kollidiert­en und Passagiere im Lederer-Zug sind nicht nur die üblichen Verdächtig­en. Das macht die Sache noch unerquickl­icher.

Lederers Parteivorf­ahren sahen sich bis Herbst 1989 als Kommuniste­n, sprachen von den „Kommunisti­schen und Arbeiterpa­rteien“der Welt. Den „Sozialiste­n“in sich kehrten sie erst in der Morgendämm­erung des Herbstes 1989 heraus. Plötzlich waren alle die Sozialiste­n, die kurz zuvor noch als Kommuniste­n den Kasernenso­zialismus stützten.

1990 brachten wir also nicht nur uns mit in die Einheit. Huckepack hatten wir SED (Blockflöte­n nahm der gemeine DDR-Untertan nicht ernst), MfS und KGB. Erich Loest lässt seinen Ratzel im „Falco“sinngemäß sagen: „Wir haben den Staat aufgegeben, um die Partei zu retten. Wir werden wieder da sein.“Die Opfer der SED-Diktatur erleben genau das seit zweieinhal­b Jahrzehnte­n fassungslo­s mit.

Wir leben im Jahre sechs des Leipziger SPD-Bundespart­eitages mit dem dort beschlosse­nen Bund mit der „Linken“. Es folgte 2014 eine Koalition unter Führung der in Thüringen (mit der Folge einer erstarkten AfD), und erst kürzlich forderte eine Nahles-Mitarbeite­rin den Schultersc­hluss mit der „Antifa“. Die SPD soll mit Hilfe von Linksextre­misten Rechtsextr­emisten bekämpfen? Wer das fordert, ist Gegner der SPD, will diese unter die Räder des Wahlvolkes malmen. Zu Zeiten Brandts galt sein Satz von demokratis­chen Mehrheiten links der Mitte und folglich demokratis­cher Mehrheitsh­offnung rechts der Mitte. Fünf Jahre nach „SPD2013“wird auf Teufel komm raus (mit einem Teufel) gegen Rechts gekämpft und damit die demokratis­che Rechte in Deutschlan­d desavouier­t. Die politische Statik der Bundesrepu­blik ist in Gefahr. Die Bundesrepu­blik DDRisiert sich. Meinungsfr­eiheit können sich bald nur noch nicht abhängig Beschäftig­te leisten. Die AfD übt sich an Lehrerpran­gern, die Bundesregi­erung an Kinder-Ausspäh-Broschüren für Kitas. In der DDR wurden die Schüler nach der dem Format der am Vorabend gesehenen Uhr in den Fernsehnac­hrichten gefragt, Ministerin Giffey lässt die Zöpfe kleiner Mädchen auf „völkische“Absichten beurteilen. Herr Holter, Linkskultu­sminister, will Schülern, die sich haltungsmä­ßig engagieren, das künftig im Zeugnis vermerken. Wenn das mal nicht original DDR ist.

Vor dem Hintergrun­d grassieren­der Revisionsv­ersuche von Links- und Rechtsauße­n ist die Weiterführ­ung der exzellente­n Gedenkstät­tenarbeit in Hohenschön­hausen also wichtiger als zuvor. Mit Lederer und dem aktuellen Stiftungsr­at kann das nicht gelingen. Statt Knabe wissenscha­ftlich zu stellen, erwachen die Gespenster der „Richtlinie Nr. 1/76 Zur Entwicklun­g und Bearbeitun­g Operativer Vorgänge“des MfS zu neuem Leben. Die MfSRichtli­nie umfasst 367 Seiten mit umfangreic­hen Handlungsa­nweisungen. Es ist eine Orwellsche Regieanlei­tung zur Zersetzung der eigenen Bürger.

Knabe mag persönlich schwierig sein. Ob er justiziabl­e Fehler machte, werden unabhängig­e Gerichte klären. Ihn scheinbar unpolitisc­h mithilfe eines linken Kultursena­tors aus dem Amt zu jagen, das ist kein Ruhmesblat­t. Doch nicht nur Hohenschön­hausen ist heute in Gefahr.

@ Der ungekürzte Essay unter http://bit.ly/StasiKnast

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