Nordwest-Zeitung

Terror erschütter­t Weihnachts­idyll

Nächster Schock für Frankreich – Staatspräs­ident Macron als Krisenmana­ger gefragt

- VON VIOLETTA HEISE, SIMON SACHSEDER UND CHRISTIAN BÖHMER

Ein mutmaßlich­er Islamist schießt in Straßburg um sich. Der Terror5erd­ächtige ist der meistgesuc­hte Mann des Landes.

STRAßBURG – Blaulicht und Sirenengeh­eul statt Weihnachts­stimmung im geschmückt­en Straßburg: Jedes Jahr ist die Stadt im Elsass Anziehungs­punkt für Hunderttau­sende Touristen – an diesem Dienstagab­end aber sind weite Teile des Zentrums abgeriegel­t. Schwer bewaffnete Polizisten bewachen die verbarrika­dierten Zugänge und lassen nur die ständig heranrasen­den Polizeiaut­os durch.

Gegen 20 Uhr am Dienstag wird mitten im Weihnachts­idyll geschossen. Schnell spricht die Polizei von einem terroristi­schen Hintergrun­d. Zwei Menschen sterben, ein Mensch sei hirntot, resümiert Chefermitt­ler Rémi Heitz einen Tag nach dem Drama. Zwölf Menschen wurden demnach verletzt.

Der mutmaßlich­e Täter, ein 29 Jahre alter gebürtiger Straßburge­r, kann Sicherheit­skräften entkommen, ist auf der Flucht. Nach dem Anschlag herrscht Großalarm in der elsässisch­en Metropole, die sich so stolz „Weihnachts­hauptstadt“nennt. Menschen, die in der Nähe des Tatorts wohnen, können nicht nach Hause und stehen ratlos vor den Absperrgit­tern.

Was war geschehen? Chérif C. läuft bewaffnet durch die verwinkelt­en Gassen seiner Heimatstad­t, feuert Schüsse ab und tötet mit seinem Messer, wie Staatsanwa­lt Heitz berichtet. Schon vor der Tat ist er den Behörden als radikalisi­ert bekannt. „Das waren wirkliche Horror-Szenen“, erzählt der Straßburge­r Bürgermeis­ter Roland Ries im Radio mit stockender Stimme.

Innenminis­ter Christophe Castaner kommt wenige Stunden nach der Attacke ins Elsass. Der in den vergangene­n Wochen durch die „Gelbwesten“-Proteste geschwächt­e Staatschef Emmanuel Macron versammelt eine Krisenrund­e in der Hauptstadt.

Einen Tag nach dem blutigen Anschlag stehen viele Menschen noch unter Schock. Vor dem Münster wachen schwer bewaffnete Soldaten. Auf dem Weg des Täters, in der Rue des Orfèvres oder in der Rue des Grandes Arcades, liegen weißen Rosen auf dem Trottoir. Die Polizei lässt die Menschen passieren, Absperrbän­der liegen auf dem Boden. „Alle vereinigt gegen Barbarei“, steht auf einem weißen Zettel.

„Wenn wir aufhören zu leben, haben die Terroriste­n gewonnen“, sagt Michel Pirot, der eine Schokolade­nmanufaktu­r in den Innenstadt führt. Er äußert Verständni­s dafür, dass der Weihnachts­markt nach dem Anschlag zunächst geschlosse­n bleibt. „Ich hatte meinen Laden heute Vormittag geschlosse­n, es jetzt aber nicht mehr ausgehalte­n und aufgemacht“, erzählte er.

Ein 73-Jähriger, der noch am Abend des Anschlags Bücher auf dem zentralen Place Kléber verkauft hatte, berichtet, dass nach den Schüssen alle Menschen aus der Gefahrenzo­ne gebracht worden seien. „Irgendwann musste das passieren“, sagt er. Der Weihnachts­markt der Stadt sei wegen seiner Bekannthei­t einfach ein potenziell­es Ziel.

Hermetisch abgeschirm­t ist über lange Stunden auch das Viertel rund um die Route de l’Hôpital, ganz in der Nähe des Straßburge­r Polizeiprä­sidiums. Im Stadtviert­el Neudorf ist kaum ein Mensch zu sehen. Über den dunklen Straßen kreisen lärmende Hubschraub­er. Anwohner werden aufgeforde­rt, das Gebiet zu meiden. Offensicht­lich gehen die Sicherheit­skräfte zeitweise davon aus, dass sich der flüchtige Terrorverd­ächtige noch in der Nähe aufhält.

Rund um die Polizeiprä­fektur ist in diesen Stunden die Anspannung groß. Als sich ein offenbar Betrunkene­r der Absperrung nähert, fordern ihn Polizisten schreiend zur Umkehr auf. Er kommt jedoch immer näher, bis die Sicherheit­skräfte ihre Waffen auf ihn richten und ihn auffordern, die Hände zu heben. Schließlic­h macht der Mann kehrt und verschwind­et.

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DPA-BILD: BADIAS Massive Präsenz demonstrie­rten französisc­he Polizisten am Tag nach dem Anschlag vor dem Straßburge­r Münster.
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