Betroffene schildert Weg aus Überschuldung
Eine Betroffene berichtet über ihren langen und mühsamen Weg aus der Überschuldung
Irgendwann wurde Maria S.* regelrecht unter ihrem Schuldenberg begraben. Hinzu kommen bei ihr noch psychische Probleme.
OLDENBURG – iigentlich hatte sie es immer irgendwie hinbekommen, sich durchgejobbt und ihre Schulden bezahlt. Aber irgendwann wurde der Oldenburgerin Maria S.* alles zu viel: die Rechnungen stapelten sich, Mahnungen flatterten ins Haus, Gläubiger verlangten ihr Geld.
Aber erstmal von vorn. Wie konnte es so weit kommen? Maria S. überlegt kurz und verschränkt ihre Arme. „Ich bin einfach gut darin, Chaos in meinem Leben zu verursachen“, sagt sie. Zu diesem Chaos zählt auch, Dinge schleifen zu lassen. „Außenstehende würden sagen: Selbst Schuld“, sagt sie.
Doch so einfach ist es nicht, denn S. hat psychische Probleme. „Was für andere selbstverständlich ist, ist es für sie eben nicht. Aufgrund ihrer Antriebsschwäche werden viele Dinge nicht mehr erledigt“, sagt ihre Betreuerin Dagmar Köster vom Caritasverband Oldenburg-Ammerland.
An ihre ersten Schulden kann sich S. noch gut erinnern. „Ich wollte wieder anfangen zu studieren, es gab aber einige Unklarheiten, Durcheinander mit dem Jobcenter und mit meiner Steuererklärung. Ich habe danach versucht, in die Selbstständigkeit zu gehen, aber das ging schief und schon waren die ersten Schulden da“, sagt S.
Dann bekam sie ein Kind. „Ohne abgeschlossene Ausbildung hatte ich nicht wirklich die Chance, alles abzuarbeiten“, erklärt sie. „Ich habe einen Hartz-IV-Bescheid eingereicht und anschließend nicht so viele Schulden dazu gemacht“, sagt S.
Nicht gekümmert
Hin und wieder gab es Ärger mit der Telefongesellschaft, aber das konnte sie klären. „Wenn man sich nicht kümmert, geht das heutzutage ganz schnell mit Mahnungen. Zeitweise habe ich zwei Monate lang nicht darauf reagiert. Das ist natürlich nicht in Ordnung“, sagt S.
Der Knackpunkt aber war ein anderer: „Als mein Hund einen älteren Herrn angebellt hat, woraufhin sich dieser so sehr erschreckte, dass er unglücklich stürzte“, sagt S. Eigentlich ein Fall für die Versicherung, „aber ich hatte keine Haftpflicht, und habe mich obendrein nicht gekümmert, keine Stellung zu dem Fall bezogen. Also blieb der größte Teil der Kosten an mir hängen, das waren circa 15000 Euro für Krankenhaus und das Gericht“, sagt S.
Das war der Zeitpunkt, wo sie gemerkt habe, „dass ich es allein nicht mehr schaffe“. Der Schuldenberg war dadurch auf weit mehr als 20 000 Euro angewachsen. „Bis zu einem Betrag zwischen 5000 und 7000 Euro hätte ich mir noch zugetraut, die Schulden ohne Hilfe zurückzuzahlen“, sagt S. Für sie war es also Zeit, sich Hilfe zu suchen.
Dabei stieß sie vor fast zwei Jahren auf die Beratungsstelle der Caritas. „Ich wusste schon länger, dass die Caritas auch Schuldnerberatung anbietet“, sagt S. Das war, so sagt sie heutzutage, „ein absoluter Glücksfall“. Denn sie hatte bereits einmal versucht, sich helfen zu lassen und hatte eine Verbraucherinsolvenz beantragt. „Da war ich bei einem Unternehmen, das aber auch Geld dafür wollte und habe mittendrin abgebrochen und deswegen eine Sperre bekommen. Das ist aber schon einige Jahre her“, sagt S.
Inzwischen entwickle sich ihr Leben aber in eine viel bessere Richtung. „Ich habe gelernt, dass man sich viel Ärger dadurch erspart, wenn man Dinge sofort erledigt“, erklärt S. Sie sei zuverlässiger geworden, denn damit Dagmar Köster ihr helfen kann, müssten auftretende Probleme sofort mit ihr besprochen werden. Hier komme es vor allem auf Vertrauen an.
Im Fall von Maria S. „handelt es sich allerdings um keinen typischen Insolvenzfall, sondern um eine Begleitung“, erklärt Dagmar Köster. Diese Betreuung wird vom Amtsgericht eingesetzt, es ist eine gesetzliche Betreuung. Voraussetzung, um diese zu erhalten,
Wer Hilfe in puncto
Insolvenzverfahren benötigt, findet in der Stadt Oldenburg unter anderem folgende Anlaufstellen:
■ Paritätischer OldenburgAmmerland (Ziegelhofstraße 125); 0441/77 90 00
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Schuldnerhilfe Perspektive
ist „entweder eine psychische Erkrankung oder eine seelische Behinderung“, sagt Köster. Sie arbeitet als gesetzliche Betreuerin für den Sozialdienst katholischer Frauen. Diesen Service kann sie im Rahmen der Caritas beziehungsweise der Schuldnerberatung nicht anbieten.
Die Hilfe sei auch nicht auf das Insolvenzverfahren beschränkt, sondern es handle sich um eine grundsätzliche Lebenshilfe. „Die Begleitung im Insolvenzverfahren ist nur ein Aspekt unter ganz vielen“, erklärt Köster, die seit 2010 beim Caritasverband Oldenburg-Ammerland tätig ist. (Wunderburgstraße 9); 0441/21 71 97 45
■ Deine Schuldnerberatung (Gutenbergstraße 8);
0441/960 89 59
■ Caritasverband Oldenburg-Ammerland Schuldnerberatung (Peterstraße 2226); 0441/925 45 14
Bei ihrer Arbeit habe sie es mit ganz unterschiedlichen Fällen zu tun. Einige bräuchten mehr Betreuung, die anderen weniger. Da es Maria S. schwer falle, Dinge zu organisieren, leiste sie hier etwas mehr Hilfestellung. „Sie hat den Termin beim Insolvenzverwalter selbstständig wahrgenommen, aber die Unterlagen haben wir zusammengetragen. Ich reiche auch regelmäßig die ArbeitslosengeldII-Bescheide ein“, sagt Köster.
Dass sich Köster unter anderem um die Gespräche mit den Gläubigern kümmert, „erspart mir viel Stress“, sagt Maria S. Sie sei außerdem noch nie so gut mit ihrem Geld ausgekommen wie jetzt, erklärt S. Noch aber gebe es viele andere Baustellen, um die sie sich kümmern müsse. „Ich arbeite daran, dass es besser wird, möchte irgendwann auch einen festen Job“, sagt sie.
Durch die Privatinsolvenz gibt es einige Einschränkungen. „Ich darf keine neuen Schulden mehr machen, Finanzierung und Ratenkauf sind nicht mehr möglich, da ich einen Eintrag im Insolvenzregister habe“, sagt sie. Das sei aber kein großer Einschnitt für sie, „denn das alles durfte ich auch vor dem Insolvenzverfahren schon nicht mehr“.
Bis zur Schuldenfreiheit dürften noch einige Jahre vergehen. „Nach dem Gesetz muss das Insolvenzverfahren so lange dauern, bis die Masse vollständig verwertet ist und an die Gläubiger ausgeschüttet werden kann, es gibt keine festen Zeiträume für die Laufzeit eines solchen Verfahrens“, erklärt Holger von Seggern, Fachanwalt für Arbeits-, Insolvenz- und Steuerrecht aus Delmenhorst. „Streng zu unterscheiden ist allerdings für natürliche Personen die Dauer des Insolvenzverfahrens. Es beginnt mit der Eröffnung und endet mit der Aufhebung durch das Insolvenzgericht“, sagt von Seggern. Bei schlichten Verfahren, „bei denen eine überschaubare Masse vorhanden ist und Rechtsstreitigkeiten nicht geführt werden müssen“, seien das in der Regel lediglich zwei bis drei Jahre, erklärt er.
Dieser Umstand dürfte allerdings nicht mit der Laufzeit der sogenannten Abtretungserklärung verwechselt werden. „Diese Laufzeit beträgt nach dem Gesetz sechs Jahre. Sie beginnt ebenfalls mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Verstreichen dieser sechs Jahre ist Voraussetzung für die sogenannte Restschuldbefreiung bei der Insolvenz einer natürlichen Person. Daher komme es regelmäßig vor, dass das Insolvenzverfahren aufgehoben wird, die Laufzeit der Abtretungserklärung aber noch nicht beendet ist, erklärt von Seggern.
Die sogenannte Wohlverhaltensperiode beginnt für den Schuldner, sobald der Insolvenzverwalter dessen Vermögen an die Gläubiger verteilt und somit das Insolvenzverfahren im engeren Sinne abgeschlossen ist. Das dauert so lange, bis der individuell definierte Zeitraum bis zur Restschuldbefreiung abgelaufen ist. In dieser Phase befindet sich zurzeit auch Maria S.
Zweite Chance
Sie ist allerdings nur eine von vielen Betroffenen. Im Jahr 2017 gab es allein in Niedersachsen 10355 Verbraucherinsolvenz-Verfahren, berichtet das Landesamt für Statistik Niedersachsen (LSN). Im Jahr 2016 waren es noch 11 059. Von den 10 355 beantragten Verfahren im Jahr 2017 sei es in 10 102 Fällen zur Eröffnung gekommen. Die Höhe der voraussichtlichen Forderungen aus den Verbraucherinsolvenzen im Jahr 2017 summierte sich laut Statistischem Landesamt auf 374 Millionen Euro. Pro Kopf bedeute dies eine durchschnittliche Schuldenlast in Höhe von 36154 Euro je privatem Haushalt.
Im ersten Halbjahr dieses Jahres lag die Zahl der beantragten Verbraucherinsolvenzen in Niedersachsen laut LSN bei 5021 Verfahren – 2,6 Prozent weniger als im Vorjahreszeitraum (5153). Gegen die Verbraucher wurden voraussichtliche Forderungen in Höhe von 179 Millionen Euro gestellt. Die durchschnittliche Pro-Kopf-Schuldenlast betrug demnach 35 670 Euro.
Für Maria S. ist klar, dass sie ihre zweite Chance nutzen möchte. „Ich freue mich schon darauf, irgendwann schuldenfrei zu sein. Noch bin ich ziemlich am Anfang, ich bin gerade in die Wohlverhaltensphase reingerutscht. Aber ich möchte es dieses Mal bis zum Ende durchziehen“, sagt sie. In ihren Augen ist Zuversicht zu erkennen, als sie diese Worte ausspricht.
Denn endlich – so scheint es – ist ein Licht am Ende des Schuldentunnels zu sehen.