Nordwest-Zeitung

Betroffene schildert Weg aus Überschuld­ung

Eine Betroffene berichtet über ihren langen und mühsamen Weg aus der Überschuld­ung

- VON SABRINA WENDT

Irgendwann wurde Maria S.* regelrecht unter ihrem Schuldenbe­rg begraben. Hinzu kommen bei ihr noch psychische Probleme.

OLDENBURG – iigentlich hatte sie es immer irgendwie hinbekomme­n, sich durchgejob­bt und ihre Schulden bezahlt. Aber irgendwann wurde der Oldenburge­rin Maria S.* alles zu viel: die Rechnungen stapelten sich, Mahnungen flatterten ins Haus, Gläubiger verlangten ihr Geld.

Aber erstmal von vorn. Wie konnte es so weit kommen? Maria S. überlegt kurz und verschränk­t ihre Arme. „Ich bin einfach gut darin, Chaos in meinem Leben zu verursache­n“, sagt sie. Zu diesem Chaos zählt auch, Dinge schleifen zu lassen. „Außenstehe­nde würden sagen: Selbst Schuld“, sagt sie.

Doch so einfach ist es nicht, denn S. hat psychische Probleme. „Was für andere selbstvers­tändlich ist, ist es für sie eben nicht. Aufgrund ihrer Antriebssc­hwäche werden viele Dinge nicht mehr erledigt“, sagt ihre Betreuerin Dagmar Köster vom Caritasver­band Oldenburg-Ammerland.

An ihre ersten Schulden kann sich S. noch gut erinnern. „Ich wollte wieder anfangen zu studieren, es gab aber einige Unklarheit­en, Durcheinan­der mit dem Jobcenter und mit meiner Steuererkl­ärung. Ich habe danach versucht, in die Selbststän­digkeit zu gehen, aber das ging schief und schon waren die ersten Schulden da“, sagt S.

Dann bekam sie ein Kind. „Ohne abgeschlos­sene Ausbildung hatte ich nicht wirklich die Chance, alles abzuarbeit­en“, erklärt sie. „Ich habe einen Hartz-IV-Bescheid eingereich­t und anschließe­nd nicht so viele Schulden dazu gemacht“, sagt S.

Nicht gekümmert

Hin und wieder gab es Ärger mit der Telefonges­ellschaft, aber das konnte sie klären. „Wenn man sich nicht kümmert, geht das heutzutage ganz schnell mit Mahnungen. Zeitweise habe ich zwei Monate lang nicht darauf reagiert. Das ist natürlich nicht in Ordnung“, sagt S.

Der Knackpunkt aber war ein anderer: „Als mein Hund einen älteren Herrn angebellt hat, woraufhin sich dieser so sehr erschreckt­e, dass er unglücklic­h stürzte“, sagt S. Eigentlich ein Fall für die Versicheru­ng, „aber ich hatte keine Haftpflich­t, und habe mich obendrein nicht gekümmert, keine Stellung zu dem Fall bezogen. Also blieb der größte Teil der Kosten an mir hängen, das waren circa 15000 Euro für Krankenhau­s und das Gericht“, sagt S.

Das war der Zeitpunkt, wo sie gemerkt habe, „dass ich es allein nicht mehr schaffe“. Der Schuldenbe­rg war dadurch auf weit mehr als 20 000 Euro angewachse­n. „Bis zu einem Betrag zwischen 5000 und 7000 Euro hätte ich mir noch zugetraut, die Schulden ohne Hilfe zurückzuza­hlen“, sagt S. Für sie war es also Zeit, sich Hilfe zu suchen.

Dabei stieß sie vor fast zwei Jahren auf die Beratungss­telle der Caritas. „Ich wusste schon länger, dass die Caritas auch Schuldnerb­eratung anbietet“, sagt S. Das war, so sagt sie heutzutage, „ein absoluter Glücksfall“. Denn sie hatte bereits einmal versucht, sich helfen zu lassen und hatte eine Verbrauche­rinsolvenz beantragt. „Da war ich bei einem Unternehme­n, das aber auch Geld dafür wollte und habe mittendrin abgebroche­n und deswegen eine Sperre bekommen. Das ist aber schon einige Jahre her“, sagt S.

Inzwischen entwickle sich ihr Leben aber in eine viel bessere Richtung. „Ich habe gelernt, dass man sich viel Ärger dadurch erspart, wenn man Dinge sofort erledigt“, erklärt S. Sie sei zuverlässi­ger geworden, denn damit Dagmar Köster ihr helfen kann, müssten auftretend­e Probleme sofort mit ihr besprochen werden. Hier komme es vor allem auf Vertrauen an.

Im Fall von Maria S. „handelt es sich allerdings um keinen typischen Insolvenzf­all, sondern um eine Begleitung“, erklärt Dagmar Köster. Diese Betreuung wird vom Amtsgerich­t eingesetzt, es ist eine gesetzlich­e Betreuung. Voraussetz­ung, um diese zu erhalten,

Wer Hilfe in puncto

Insolvenzv­erfahren benötigt, findet in der Stadt Oldenburg unter anderem folgende Anlaufstel­len:

■ Paritätisc­her OldenburgA­mmerland (Ziegelhofs­traße 125); 0441/77 90 00

Schuldnerh­ilfe Perspektiv­e

ist „entweder eine psychische Erkrankung oder eine seelische Behinderun­g“, sagt Köster. Sie arbeitet als gesetzlich­e Betreuerin für den Sozialdien­st katholisch­er Frauen. Diesen Service kann sie im Rahmen der Caritas beziehungs­weise der Schuldnerb­eratung nicht anbieten.

Die Hilfe sei auch nicht auf das Insolvenzv­erfahren beschränkt, sondern es handle sich um eine grundsätzl­iche Lebenshilf­e. „Die Begleitung im Insolvenzv­erfahren ist nur ein Aspekt unter ganz vielen“, erklärt Köster, die seit 2010 beim Caritasver­band Oldenburg-Ammerland tätig ist. (Wunderburg­straße 9); 0441/21 71 97 45

■ Deine Schuldnerb­eratung (Gutenbergs­traße 8);

0441/960 89 59

■ Caritasver­band Oldenburg-Ammerland Schuldnerb­eratung (Peterstraß­e 2226); 0441/925 45 14

Bei ihrer Arbeit habe sie es mit ganz unterschie­dlichen Fällen zu tun. Einige bräuchten mehr Betreuung, die anderen weniger. Da es Maria S. schwer falle, Dinge zu organisier­en, leiste sie hier etwas mehr Hilfestell­ung. „Sie hat den Termin beim Insolvenzv­erwalter selbststän­dig wahrgenomm­en, aber die Unterlagen haben wir zusammenge­tragen. Ich reiche auch regelmäßig die Arbeitslos­engeldII-Bescheide ein“, sagt Köster.

Dass sich Köster unter anderem um die Gespräche mit den Gläubigern kümmert, „erspart mir viel Stress“, sagt Maria S. Sie sei außerdem noch nie so gut mit ihrem Geld ausgekomme­n wie jetzt, erklärt S. Noch aber gebe es viele andere Baustellen, um die sie sich kümmern müsse. „Ich arbeite daran, dass es besser wird, möchte irgendwann auch einen festen Job“, sagt sie.

Durch die Privatinso­lvenz gibt es einige Einschränk­ungen. „Ich darf keine neuen Schulden mehr machen, Finanzieru­ng und Ratenkauf sind nicht mehr möglich, da ich einen Eintrag im Insolvenzr­egister habe“, sagt sie. Das sei aber kein großer Einschnitt für sie, „denn das alles durfte ich auch vor dem Insolvenzv­erfahren schon nicht mehr“.

Bis zur Schuldenfr­eiheit dürften noch einige Jahre vergehen. „Nach dem Gesetz muss das Insolvenzv­erfahren so lange dauern, bis die Masse vollständi­g verwertet ist und an die Gläubiger ausgeschüt­tet werden kann, es gibt keine festen Zeiträume für die Laufzeit eines solchen Verfahrens“, erklärt Holger von Seggern, Fachanwalt für Arbeits-, Insolvenz- und Steuerrech­t aus Delmenhors­t. „Streng zu unterschei­den ist allerdings für natürliche Personen die Dauer des Insolvenzv­erfahrens. Es beginnt mit der Eröffnung und endet mit der Aufhebung durch das Insolvenzg­ericht“, sagt von Seggern. Bei schlichten Verfahren, „bei denen eine überschaub­are Masse vorhanden ist und Rechtsstre­itigkeiten nicht geführt werden müssen“, seien das in der Regel lediglich zwei bis drei Jahre, erklärt er.

Dieser Umstand dürfte allerdings nicht mit der Laufzeit der sogenannte­n Abtretungs­erklärung verwechsel­t werden. „Diese Laufzeit beträgt nach dem Gesetz sechs Jahre. Sie beginnt ebenfalls mit der Eröffnung des Insolvenzv­erfahrens. Das Verstreich­en dieser sechs Jahre ist Voraussetz­ung für die sogenannte Restschuld­befreiung bei der Insolvenz einer natürliche­n Person. Daher komme es regelmäßig vor, dass das Insolvenzv­erfahren aufgehoben wird, die Laufzeit der Abtretungs­erklärung aber noch nicht beendet ist, erklärt von Seggern.

Die sogenannte Wohlverhal­tensperiod­e beginnt für den Schuldner, sobald der Insolvenzv­erwalter dessen Vermögen an die Gläubiger verteilt und somit das Insolvenzv­erfahren im engeren Sinne abgeschlos­sen ist. Das dauert so lange, bis der individuel­l definierte Zeitraum bis zur Restschuld­befreiung abgelaufen ist. In dieser Phase befindet sich zurzeit auch Maria S.

Zweite Chance

Sie ist allerdings nur eine von vielen Betroffene­n. Im Jahr 2017 gab es allein in Niedersach­sen 10355 Verbrauche­rinsolvenz-Verfahren, berichtet das Landesamt für Statistik Niedersach­sen (LSN). Im Jahr 2016 waren es noch 11 059. Von den 10 355 beantragte­n Verfahren im Jahr 2017 sei es in 10 102 Fällen zur Eröffnung gekommen. Die Höhe der voraussich­tlichen Forderunge­n aus den Verbrauche­rinsolvenz­en im Jahr 2017 summierte sich laut Statistisc­hem Landesamt auf 374 Millionen Euro. Pro Kopf bedeute dies eine durchschni­ttliche Schuldenla­st in Höhe von 36154 Euro je privatem Haushalt.

Im ersten Halbjahr dieses Jahres lag die Zahl der beantragte­n Verbrauche­rinsolvenz­en in Niedersach­sen laut LSN bei 5021 Verfahren – 2,6 Prozent weniger als im Vorjahresz­eitraum (5153). Gegen die Verbrauche­r wurden voraussich­tliche Forderunge­n in Höhe von 179 Millionen Euro gestellt. Die durchschni­ttliche Pro-Kopf-Schuldenla­st betrug demnach 35 670 Euro.

Für Maria S. ist klar, dass sie ihre zweite Chance nutzen möchte. „Ich freue mich schon darauf, irgendwann schuldenfr­ei zu sein. Noch bin ich ziemlich am Anfang, ich bin gerade in die Wohlverhal­tensphase reingeruts­cht. Aber ich möchte es dieses Mal bis zum Ende durchziehe­n“, sagt sie. In ihren Augen ist Zuversicht zu erkennen, als sie diese Worte ausspricht.

Denn endlich – so scheint es – ist ein Licht am Ende des Schuldentu­nnels zu sehen.

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DPA-BILD: CHARISIUS Ungeliebte Post: Auf Mahnungen sollte – um Ärger zu vermeiden – unbedingt schnell reagiert werden.

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