Täter in Psychiatrie
Neunjährige Freiheitsstrafe für Täter (30) aus Eversten – Erdrückende Indizienlage und Geständnis
Der 30-Jährige, der einen 17Jährigen in der Burgstraße niedergestochen hatte, muss in die Psychiatrie. Dieses Urteil fällte das Oldenburger Landgericht ...........
Der Angeklagte hatte im März einen Schüler (17) in der Bergstraße lebensgefährlich verletzt. Er fühlte sich provoziert.
OLDENBURG – Neun Jahre Freiheitsstrafe, diese allerdings untergebracht in einem psychiatrischen Krankenhaus – so lautet das Urteil im Fall des sogenannten „Messerstechers” aus der Bergstraße. Fast auf den Tag genau neun Monate nach der erschütternden Tat in der Innenstadt – als am 9. März ein 17-jähriger Schüler vom damals Unbekannten niedergestochen wurde – hat die Schwurgerichtskammer des Oldenburger Landgerichts nun das Strafmaß für den 30-jährigen Angeklagten bestimmt.
Vorausgegangen waren sechs Prozesstage, an denen der Täter zunächst lange Zeit geschwiegen, dann seine belastenden Aussagen nur unter Ausschluss der Öffentlichkeit gemacht hatte. Die Indizien waren allerdings erdrückend. Ein Zeuge hatte den 30-jährigen auf Phantombildern erkannt und frühzeitig der Polizei den wohl entscheidenden Hinweis geliefert – die beträchtliche von Polizei und privater Seite ausgelobte Belohnung dürfte ihm damit gewiss sein. Überdies wiesen Funkzellendaten den Täter zum besagten Zeitpunkt in unmittelbarer Tatortnähe aus. Der markante Mantel, den das Opfer und dessen Freunde beschrieben hatten, wurde in der Wohnung des Angeklagten – versteckt in einem Rucksack hinter dem Sofa – gefunden. Beim Internethändler Amazon hatte der Mann weZusammenhang: nige Wochen vor der Tat das Tatmesser bestellt und „blutige brasilianische Messerkampftechnik“studiert. Und dann war da noch jene verstörende Liste an Suchworten, die vom Computer des Angeklagten ausgelesen worden war: Phantombild, Intensivstation, Reisepass, Sendemast, Messerstecher Oldenburg, Charterflug, Europäisches Auslieferungsabkommen. Unter anderem.
Der Verweis auf seinen erheblichen Drogenkonsum (Haschisch, Kokain, halluzinogene Pilze) wirkte sich indes nicht maßgeblich auf das Strafmaß aus. Eine dadurch übermäßig „vernebelte Wahrnehmung” zur Tatzeit ließ sich nicht belegen, zu konkret und bewusst erschien die Rahmenhandlung: Da waren die Lügen von einem angeblichen Verkehrsunfall, die er seinen Freunden auftischte, als er längst einen Verteidiger für diesen Tötungsversuch konsultiert hatte. Vor dem
Spiegel soll er seine Tat, mindestens aber die Waffenführung, eingeübt haben. Außerdem hatte er kurz nach dem Angriff die Sim-Karte aus seinem Handy entfernt, um nicht identifiziert werden zu können. Freilich ohne Erfolg – dank herausragender Ermittlungsarbeit der Polizei. Dass der deutsche Täter erhebliche
psychische Probleme hat, wurde früh deutlich, ihm bei der Urteilsverkündung somit auch eine „paranoide Persönlichkeitsstörung“attestiert, „schwere andere seelische Abartigkeiten“, wie es im Strafgesetzbuch heißt. Zur Tatzeit sei er in der Steuerungsfähigkeit beeinträchtigt gewesen, gleichermaßen aber auch „jetzt weiterhin gefährlich“, so der Vorsitzende Richter Sebastian Bührmann.
Der Angeklagte hätte seit vielen Jahren nur noch in Schwarz und Weiß gedacht, in den Kategorien Gut gegen Böse. Seine Kindheit – in nicht-öffentlicher Sitzung ausgebreitet – war offensichtlich eine sehr schwere, unter anderem von Mobbing geprägt. Der Angeklagte wollte sich das nun „alles nicht mehr gefallen lassen“, bereitete sich so entsprechend auf einen nicht genauer definierten Zeitpunkt vor. Als seine Zufallsopfer – die drei jungen Männer, die in der Tatnacht am 9. März angetrunken waren und in der Innenstadt nur ein bisschen feiern wollten – dann aber auch etwas zu forsch agierten und den Täter mit einem beleidigenden Satz wie „Zieh Leine, Alter“provozierten, knallte es. Ein völlig banaler Anlass, ein Spruch. Der aber endete in einer Katastrophe. Wichtig in diesem Nicht das „Wildpinkeln“der jungen Oldenburger war Auslöser der Tat. Dies hatte der Angeklagte glaubhaft versichert. Tatsächlich war die Beleidigung, der kurze Streit, Auslöser des weiteren Geschehens. Der Täter selbst wollte nicht mehr Opfer sein und sah nun seine Chance gekommen. Dies habe ausgereicht um zu aktivieren, was „bereits seit Monaten in seiner Persönlichkeit verankert war“, so Bührmann. Trotz der Schwere der Tat und der mehrfachen Todesnähe des Opfers wählte das Gericht nicht die Höchststrafe – diese hätte aufgrund der Strafrahmenverschiebung bei 11 Jahren und 3 Monaten gelegen. Nach Ð-Informationen will der Verurteilte dennoch in Revision gehen.
Unabhängig davon werde der in Eversten beheimatete Ex-Chemiestudent für die zivilrechtlichen Ansprüche seines Opfers „umfassend und ohne Einschränkung“aufkommen. Sprich: Schmerzensgeld in mittlerer fünfstelliger Höhe und Schadensersatz im knapp fünfstelligen Bereich zahlen. Plus X. Denn die Folgen für das Opfer sind nach wie vor ungewiss.
Thomas Klein, Anwalt des Nebenklägers, hatte eine so „beeindruckende wie bedrückende“(Bührmann) Litanei an direkten und indirekten Auswirkungen der blutigen Tat vorgetragen, die dramatischen Monate im Krankenhaus detailliert skizziert. „Es ist grauenvoll, wie oft und nah Sie am Tode standen. Aber Sie sind ein Kämpfer, Sie haben es jedes Mal geschafft! Ziehen Sie daraus Ihre Kraft“, gab Bührmann da dem jungen Mann mit auf den Weg.
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