Nordwest-Zeitung

Dichterin aus dem Dunkel geholt

Karen Duve über die jungen Jahre von Annette von Droste-Hülshoff

- VON ANDREAS HEIMANN

KÖLN – Annette von DrosteHüls­hoff gehört nicht gerade zu den angesagten Autorinnen der Gegenwart. Und über sie und ihr Leben dürften die meisten Zeitgenoss­en wenig mehr wissen, als dass sie „Die Judenbuche“geschriebe­n hat, am Bodensee gestorben ist und auf dem 20-Mark-Schein zu sehen war. Nichts davon wird in „Fräulein Nettes kurzer Sommer“erwähnt, dem neuen, ausgesproc­hen gelungenen Roman von Karen Duve.

Sie widmet sich den jungen Jahren der der heute fast vergessene­n Schriftste­llerin (1797–1848). Und es gelingt ihr eindrucksv­oll, dabei ein Zeitporträ­t des Vormärz zu entwerfen und eines der Literaten dieser Epoche. Heinrich Straube gehört dazu, den manche für den nächsten Goethe hielten, der dann aber doch eine Fußnote der Literaturg­eschichte blieb. Immerhin war er ein Bekannter von Heinrich Heine, der ihn zu schätzen wusste. Wilhelm, nur einer der vielen Brüder Grimm, die in Duves Roman ebenfalls eine wichtige Rolle spielen, hielt Straube dagegen für einen Dünnbrettb­ohrer.

Annette Droste-Hülshoff schätzte Grimm und liebte Straube. Und zumindest Letzteres war ein Problem, das Duve in allen Facetten be- FSst vergessen: Annette von Droste-Hülshoff Suf einen Porträt, dSs JohSnn Joseph Sprick 1838 gemSlt hSt. Links der UmschlSg des RomSns

leuchtet. Die Eckpunkte der Welt der Dichterin in den Jahren ab 1817, auf die sich der Roman konzentrie­rt, waren Brakel, Bellersen und Bökendorf, tiefste westfälisc­he Provinz. Schon Göttingen, wo Straube und Heine studierten, war weit weg.

Für die junge Droste-Hülshoff, für die zärtliche Bande zu Männern außerhalb katholisch­er Adelsfamil­ien Tabu zu sein hatten, waren Beziehunge­n zu genialisch­en Nachwuchsa­utoren

wie Straube ein Risiko. Und sie hat deswegen auch eine Menge Ärger bekommen. Genau darum geht es Karen Duve, die den Konflikt der jungen Frau mit der alten, konservati­ven Ständegese­llschaft ihrer Umgebung, großartig und oft auch mit viel Sinn für Komik erzählt.

„Ursprüngli­ch war es nicht das Interesse an der Droste selber, sondern an einer verwickelt­en Liebesgesc­hichte in ihrer Jugend“, erklärt die in Hamburg geborene Schriftste­llerin („Regenroman“, „Taxi“), wie sie zu ihrem Roman- stoff gekommen ist. „Ich fand es empörend und ungerecht, wie ihre Familie mit ihr umgegangen ist, und wie eine kleine Verfehlung, die einem heute völlig banal erscheint, so dramatisch­e Auswirkung­en haben und ganze Leben zerstören konnte.“

Es sollte gar keine große Sache werden. „So 120 Seiten hatte ich im Kopf“, sagt Duve. Aber dann hat es sie gepackt. „Ich bin in die Zeit völlig reingeschl­üpft. Zwei Jahre habe ich nichts anderes gemacht und meinen Bekanntenk­reis mit Anekdoten aus dem 19. Jahrhunder­t strapazier­t.“Das Literaturv­erzeichnis am Ende des Buchs ist so umfangreic­h wie das für eine Masterarbe­it. „Über das frühe 19. Jahrhunder­t wusste ich wenig bis gar nichts, ich musste deswegen viel recherchie­ren, und war erst überrascht und dann begeistert, wie gut diese Zeit belegt war, wie viel ich über jede einzelne Person herausfind­en konnte.“

Der Leser hat das Gefühl, tatsächlic­h in die Zeit von Heine, der Gebrüder Grimm und der jungen Droste-Hülshoff zurückgebe­amt zu werden. Duve gelingt es, den richtigen Ton zu treffen. Natürlich bleibt ihr Buch ein Roman, aber er orientiert sich an den Fakten und erzählt quasi nebenbei auch die politische Ideengesch­ichte der Epoche, in der sich zwar vieles veränderte, junge Frauen, die dichten wollten, aber weiterhin belächelt wurden.

Droste-Hülshoff war für Duve anfangs nicht gerade eine Kultfigur. „Ich habe meine Meinung über sie stark revidiert“, sagt sie. „Manches, was mir vorher langweilig schien, empfinde ich inzwischen als geradezu sensatione­ll.“Und das lässt sich beim Lesen des Romans durchaus nachvollzi­ehen.

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BILD: DPA/VERLAG KSren Duve: „Fräulein Nettes kurzer Sommer“, Kiepenheue­r & Witsch, Köln, 592 Seiten, 25 Euro.
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