Nordwest-Zeitung

Brexit ist nicht alles

- VON DETLEF DREWES, BÜRO BRÜSSEL

D ie EU tut sich immer noch schwer mit der Lektion: Sie hat Großbritan­nien längst verloren – und die Europäer können nichts mehr dagegen tun. Das Problem Brüssels heißt Theresa May.

Viel zu lange haben die 27 Mitgliedst­aaten geglaubt, sie hätten eine starke, durchsetzu­ngsfähige Premiermin­isterin als Ansprechpa­rtner für den Brexit. Das ist May nicht – nicht mehr. Oder noch nie gewesen. Sie bleibt eine Getriebene, mit der man keine Abmachunge­n treffen muss, weil die Premiermin­isterin sie sowieso nicht (mehr) durchsetze­n kann.

Nun zieht die EU ihren letzten Joker, indem sie ein neues Signal setzt: Wir bereiten uns auf einen harten Bruch ohne Deal vor. Soll heißen: Europa glaubt nicht mehr an die Bereitscha­ft der Briten, sich mit dem bisherigen Partner zu verständig­en. Es ist der richtige Schritt – nicht deswegen, weil die Union damit den Druck auf London erhöht, sondern weil sie sich endlich aus der Gefangensc­haft dieses Themas befreit, das zentrale andere Fragen in den Hintergrun­d gedrängt hat. Nicht nur bei diesem Gipfel.

Die Gemeinscha­ft leidet unter einem Reformstau oder einer Reformunfä­higkeit, die zur Belastung werden, weil der Brexit Aufmerksam­keit und Kräfte bindet. Und weil die Auseinande­rsetzungen mit London überfällig­e Themen in Vergessenh­eit geraten lassen. Die Reform der Währungsun­ion, die Bedrohunge­n des Euro-Raums durch die italienisc­he Haushaltsk­rise, die ungelösten Fragen der digitalen Zukunft in der Arbeitswel­t, die offenen Defizite beim Klimaschut­z – all das liegt auf Halde. Oder aber es gibt halbgare Kompromiss­e, die unzulängli­ch sind und kaum Wirkung entfalten. Dass die mutige Europa-Rede des französi- schen Staatspräs­identen längst in Vergessenh­eit geraten ist, wiegt schwer. Weil Emmanuel Macron mehr gefordert hatte als einen europäisch­en Finanzmini­ster. Er wollte eine Reform, sogar eine Neugründun­g der EU anstoßen, die sich ohnehin aufgemacht hatte, sich umzubauen. Fünf verschiede­ne Varianten hatte Kommission­spräsident Jean-Claude Juncker vorgelegt – beschlosse­n ist rein gar nichts. Es wird nicht einmal mehr darüber geredet.

Dabei ging es um so elementare Fragen wie die, ob die Union künftig nur noch ein kalter Binnenmark­t sein soll oder auch eine soziale Gemeinscha­ft. Der Protestzug der „gelben Westen“in Frankreich enthält ein Signal, das über das Land hinausgeht: Welchen Preis zahlt die EU für die Globalisie­rung und wie will die Politik in den Mitgliedst­aaten, aber eben auch im Verbund verhindern, dass die Bürger dabei unter die Räder kommen?

@Den Autor erreichen Sie unter forum@infoautor.de

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany