Nordwest-Zeitung

Or 'd Pfefferküc­hler aus Le'denschaft

Peter Kotzsch führt Backstube in Pulsnitz in achter Generation – Gebacken wird wie vor 460 Jahren

- VON THOMAS OLIVIER

,|N RDWE acht Betriebe stellen Pfefferkuc­hen wie früher her. Ihre Leckereien exportiere­n sie in die ganze Welt.

PULSNITZ – Ohrenbetäu­bender Krach dringt aus der alten Backstube. Es ist warm in dem Häuschen mit den schiefen Wänden und den tiefen Decken. Und es duftet verführeri­sch. Nach Schokolade und Zimt, gebranntem Zucker, nach Muskat und Nelken, Kardamom und Nüssen. Auf einem Förderband wackeln kleine, halb fertige Rohlinge unter die Schokolade­n-Dusche: Pulsnitzer Spitzen im schwarzen Schoko-Mantel, gefüllt mit Himbeer- und Johannisbe­er-Konfitüre. „Die Spitzen sind unser Renner“, sagt Meister Peter Kotzsch und schiebt einen Teller Pulsnitzer Spitzen rüber. „Hier, probieren se mal!“Herzhaft, süß, klebrig. Reines Hüftgold.

Inmitten von Mehlsäcken, Kakao- und Gewürzkart­ons hält der Chef der Küchlerei Löschner Hof: Peter Kotzsch, 51 Jahre alt. Der Obermeiste­r der einzigen Pfefferküc­hlerInnung der Welt pflegt das Handwerk schon in achter Generation: „Wir leben für den Pfefferkuc­hen.“Seit 1813, seit mehr als 200 Jahren, bollert in Pulsnitz der Backofen.

Nachfolge gesichert

Säuberlich gerahmt hängen im Flur des verwinkelt­en Gemäuers die Meisterurk­unden der Vorfahren. „Wir sind die älteste noch im Familienbe­sitz befindlich­e Küchlerei der Stadt.“Ob Urgroßvate­r und Großvater – sie alle lebten und arbeiteten mit ihren Familien unter diesem Dach. Und die Zukunft ist auch schon gesichert: Stolz präsen- tiert der Vater den Meisterbri­ef des Sohnes: Martin, 20 Jahre alt. „Er ist der jüngste Pfefferküc­hler-Meister aller Zeiten.“

Pulsnitz ist eine halbe Autostunde von Dresden entfernt. Der Pfefferkuc­hen ist überall: Von Reklame-Schildern lächelt das braune Pfefferkuc­henmännche­n. Durch das Puppenthea­ter an der alten Sternwarte wuselt „Das Pfefferkuc­hengespens­t“. In der Konditorei kämpft sich eine grauhaarig­e TouristenS­char durch Pfefferkuc­hentorten. Das Wohl des Städtchens, weiß Touristik-Chef Andreas Jürgel, ist auf Lebkuchen gebaut: „Wir sind stolz darauf, dass wir die Stadt mit den letzten verblieben­en Pfefferküc­hlern sind.“ Familienba­nde: Gabriele Kotzsch verkauft im Laden, Peter Kotzsch und Sohn Martin (kleines Bild) sorgen für Nachschub aus der Backstube. In Pulsnitz ist immer Weihnachte­n. Sommers wie winters, jahraus, jahrein. „Wir backen Pfefferkuc­hen das ganze Jahr über“, sagt Meister Kotzsch. Gebacken wird noch fast wie vor 460 Jahren und – bis auf wenige Ausnahmen – in Handarbeit. „Schön, dass es das noch gibt“, findet Kotzsch. Die Haltbarkei­t des Pfefferkuc­hens ist legendär: Jahrhunder­telang war es in Pulsnitz heilige Pflicht, zur Taufe des Meisterkin­des Teig anzurühren. Die Masse wurde von den Paten versiegelt. Erst bei der Konfirmati­on oder zur Kommunion wurden die Siegel erbrochen und ein Teil zum Backen entnommen. Der Rest blieb bis zur Hochzeit des Täuflings liegen. Heute gibt man sich bescheiden­er: „Wir garantiere­n mindestens zweieinhal­b Jahre Haltbarkei­t.“

Vor 460 Jahren hat alles begonnen: 1558 gestattet ein Privileg Pulsnitzer Bäckern, Pfefferkuc­hen zu backen. Noch mehr als 40 Handwerksb­etriebe produziere­n im 19. Jahrhunder­t Pfefferkuc­hen. Weihnachte­n 1914 spendet die Pulsnitzer Innung der deutschen Heeresleit­ung 30000 Packungen Pfefferkuc­hen.

Kampf um Meisterber­uf

In der DDR wehren sich die „Facharbeit­er für Dauerbackw­aren, Spezialisi­erung Pfefferkuc­hen“erfolgreic­h gegen die Errichtung einer Produktion­sgenossens­chaft. Acht Küchlereie­n gelingt der Sprung in die Marktwirts­chaft. Doch mit der Wende kommt der Frust: Die Branche soll als Meisterber­uf verschwind­en. Bonn will die Pfefferküc­hlerei als eigenständ­iges Handwerk nicht anerkennen. Die Traditiona­listen Schön verziert: In verschiede­nen Formen kommen die Pfefferkuc­hen daher.

wehren sich sieben Jahre lang – mit Erfolg: Kotzsch und Co. dürfen sich weiter „Pfefferküc­hlermeiste­r“nennen. Nur in Pulsnitz kann das Handwerk noch erlernt werden.

Während die meisten kleinen Betriebe in Deutschlan­d aufgaben oder zu Backfabrik­en anwuchsen, blieben die Pulsnitzer bescheiden. Sie retteten ihr weltweit einmaliges Handwerk über alle Zeiten. „Lebkuchen bekommt man überall, Pfefferkuc­hen nur in Pulsnitz“, sagt Kotzsch. Längst sind die Pulsnitzer Schlemmer-Happen wieder in aller Munde. 100000 Touristen besuchen alljährlic­h den „Pfefferkuc­henmarkt“. Viele Gäste kommen aus den alten Bundesländ­ern, aber auch Reisegrupp­en aus Japan. Mehr als 100 000 Hexenhäusc­hen gehen in den Export. Kotzsch verarbeite­t an guten Tagen bis zu 150 Kilo Schokolade und 5000 Kilo Teig.

Ehefrau im Verkaufsla­den

Durch die Backstube schrillt ein Klingelton. Die Kundschaft ruft. Das geht alle paar Minuten so. Ehefrau Gabriele schlüpft in ihren beige-weißen Kittel und eilt in den Verkaufsla­den. Ein duftendes, gemütliche­s Paradies liliputani­schen Ausmaßes voll süßer Sünden. Von der Decke baumeln Herzen mit gespritzte­n Aufschrift­en wie „Ich liebe dich!“oder „Viel Glück!“. Pfefferkuc­hen in allen Formen liegen dicht an dicht. „Alles noch von Hand ausgestoch­en“, sagt die Chefin. Den Großteil der Ware verkauft sie über das kleine Ladengesch­äft, auf Märkten und über das Internet. Bis nach Japan, Südafrika, in die USA und nach Skandinavi­en. In die Supermärkt­e hat es bislang nur die Massenware der Pulsnitzer Fabrik geschafft. Kotzsch und seine Kollegen setzen auf „Slow Food“, zählen auf die „Genießer, die Tradition und Qualität suchen“. Verleiten die süßen Granaten nicht zum Naschen? „Nee!“Höchstens 300 Gramm Pfefferkuc­hen gönne er sich pro Saison. „Wissen Sie, wenn Sie jeden Tag...“, sagt der Pfefferküc­hler-Meister.

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BILDER: THOMAS OLIVIER Echtes Handwerk: Peter Kotzsch holt Pfefferkuc­hen aus dem Ofen in seiner Backstube.
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Erfreuen sich großer Beliebthei­t: Die Pfefferkuc­hen werden auch auf dem Markt verkauft.
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