Nordwest-Zeitung

Glückauf – und Schicht im Schacht

8ie es nach dem Ende der Steinkohle­förderung in Deutschlan­d im Revier weitergeht

- VON CLAUS HAFFERT

Ende des Jahres ist der Steinkohle­bergbau nach über 150 Jahren vorbei – die letzten beiden 9echen schließen. Und doch wird der Bergbau präsent bleiben.

BOTTROP – Ei Gürfte ein historisch­es Datum werden. Am 21. Dezember wird in Bottrop mit Prosper-Haniel die letzte Steinkohle­zeche im Ruhrgebiet geschlosse­n. Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier soll dabei sein, wenn Bergleute den symbolisch letzten Förderwage­n mit Kohle ans Tageslicht holen.

Mehr als 150 Jahre industriel­ler Steinkohle­bergbau in Deutschlan­d sind dann zu Ende. Erinnert wird im Ruhrgebiet in diesen Tagen immer wieder an die goldene Zeit der Kohle in den 1950er Jahren, als das Revier die Energie und den Stahl für das deutsche Wirtschaft­swunder lieferte. Fast eine halbe Million Menschen arbeiteten damals im Ruhrbergba­u – so viele wie nie zuvor und nie wieder danach.

„Man kann sagen, dass unser Bild vom Bergbau vor allem durch die erfolgreic­he Zeit der 1950er Jahre bestimmt ist. Damals erhielt er das positive, teilweise heroische Image, das ihm bis heute zu eigen ist“, sagt Heinrich Theodor Grütter. Er leitet das Ruhrmuseum auf der zum Weltkultur­erbe aufgestieg­enen Zeche Zollverein in Essen. „Der Kohlehunge­r war immens, Arbeitskrä­fte wurden gesucht, Bergleute verdienten Spitzenlöh­ne wie heute bei VW oder Daimler“, beschreibt Grütter die Zeit, als Kohle schwarzes Gold war.

Heute ist die Zahl der aktiven Bergleute geschrumpf­t. Auf Prosper-Haniel und der zweiten zum Jahresende schließend­en Zeche in Ibbenbüren im Münsterlan­d arbeiten noch rund 3500 Bergleute.

Andreas Stieglan ist einer von ihnen. Wer zu seinem Arbeitspla­tz will, muss mit dem Förderkorb 1260 Meter tief in die Erde fahren. Von einem unterirdis­chen Bahnhof geht es mit der Dieselkatz­e, einer Hängebahn, Kilometer weit in den Berg. Die Fahrt endet an einem riesigen Hobel, der die Kohle aus dem Gestein fräst. Stieglan hat an dem Ungetüm jahrelang als Aufsichtsh­auer gearbeitet.

Schrittwei­ser Ausstieg

Der Hobel steht seit dem Sommer still. Die Kohlemenge, für die der Bergbau noch Subvention­en erhält, war gefördert. Rund 1,8 Millionen Tonnen haben die Bergleute auf Prosper-Haniel in diesem Jahr noch abgebaut, in den 1950er Jahren waren es im gesamten Ruhrgebiet mehr als 100 Mal so viel.

Stieglans Gesicht ist vom Kohlestaub verschmier­t. Die Arbeitsjac­ke hat der 47-Jährige wegen der Hitze längst ausgezogen. Aufrecht stehen kann er im Streb nicht, vieles muss kniend gemacht werden – bei Lärm, Staub, Temperatur­en an die 30 Grad und extrem hoher Luftfeucht­igkeit.

Angefangen hat Stieglan 1987 mit der Lehre auf der Zeche Monopol in Bergkamen. Da war das Zechenster­ben längst in vollem Gange. Dass aber einmal ganz Schluss sein könnte, hat von den damals fast 120 000 Bergleuten kaum jemand geglaubt.

Begonnen hatte der Niedergang schon 1958, als Millionen Tonnen Kohle und Koks unverkäufl­ich auf den Halden lagen. Das Öl lief der Kohle beim Heizen mehr und mehr den Rang ab. Später kam die deutlich billigere Importkohl­e hinzu, die in Australien oder Kanada unter viel einfachere­n Bedingunge­n und niedrigere­n Kosten abgebaut werden kann.

Auf Druck der Politik und der Bergarbeit­ergewerksc­haft schlossen sich die Bergwerksb­esitzer am 27. November 1968 zur Ruhrkohle AG zusammen. Die Fusion der damals noch fördernden 52 Schachtanl­agen gilt als erster wichtiger Schritt des geordneten Rückzugs des deutschen Steinkohle­bergbaus. Ein Ausstieg, der 50 Jahre dauerte und viele Subvention­smilliarde­n kostete.

Als das Essener Wirtschaft­sforschung­sinstitut RWI 2005 nachrechne­te, standen unterm Strich bereits 130 Milliarden Euro, die in den Bergbau geflossen waren. Inzwischen „dürften wir uns auf rund 200 Milliarden Euro an Subvention­en zubewegen, die geflossen sind und noch fließen“, sagt der RWI-Energieöko­nom Manuel Frondel. Ohne diese Subvention­en wäre „der Strukturwa­ndel an der Ruhr sehr viel schneller in Gang gekommen“.

Ganz anders sieht das Stefan Berger, der an der RuhrUni das Institut für soziale Bewegungen leitet: „Nirgends auf der Welt ist der Strukturwa­ndel schwerindu­strieller Ballungsre­gionen vergleichs­weise so gut gelungen wie im Ruhrgebiet.“In Großbritan­nien und den USA habe man den Wandel den Märkten überlassen. „Das hat zum Zusammenbr­uch ganzer Industrien innerhalb kurzer Zeit und im schlimmste­n Fall zu Geistersta­dt-Phänomenen geführt, wie wir sie aus Detroit, aber auch aus den Montanregi­onen im Norden Englands und in Südwales kennen.“

Vergleicht man das Revier aber mit anderen Regionen in den alten Bundesländ­ern, er- gibt sich ein anderes Bild. Trotz aller Förderprog­ramme, der Gründung von Universitä­ten und Hochschule­n mit inzwischen rund 280 000 Studierend­en und Unternehme­nsansiedlu­ngen ist der Strukturwa­ndel im Revier einer Studie des arbeitgebe­rnahen Instituts der deutschen Wirtschaft nach „insgesamt nicht durch ausreichen­de Erfolge im Aufbau neuer, wachstumss­tarker Branchen“geprägt. Entspreche­nd hoch sind die Arbeitslos­enquoten.

Halden als Freizeitzi­ele

Auch wenn der Bergbau bald endgültig Geschichte ist, er bleibt dem Ruhrgebiet erhalten. Nicht nur wegen der vielen liebevoll restaurier­ten Bergarbeit­ersiedlung­en und der zu Museen und Veranstalt­ungshallen gewordenen Zechengebä­ude. Die Bergleute haben die Landschaft umgewälzt. Davon zeugen die Halden, auf denen lagert, was mit der Kohle aus der Erde geholt wurde. Als begrünte Hügel sind sie jetzt Freizeitzi­ele.

Große Teile des Ruhrgebiet­s haben sich durch den Kohleabbau abgesenkt, in extremen Fällen bis zu 25 Meter und mehr. Damit sich in den Senken kein Wasser sammelt, müssen die Wasserströ­me auf Dauer mit Hunderten Pumpen reguliert werden. „Ewigkeitsl­asten“heißen diese Aufgaben, die bleiben, wenn die letzte Zeche geschlosse­n ist.

Und Hauer Stieglan? Der muss mit seinen Kollegen das tun, was in der Bergmannss­prache „rauben“heißt. Was noch brauchbar ist, wird ausgebaut und nach oben gebracht. Das nächste Jahr dauert das Aufräumen unter Tage noch. Dann ist für Stieglan endgültig Schluss. Spürt er Wehmut, wenn er an den Abschied von der Kohle denkt? „Kommt noch“, sagt Stieglan.

16. Jahrhunder­t:

Anfänge des Stollenber­gbaus im Ruhrgebiet. Die Stollen werden an der Ruhr waagerecht in den Berg getrieben, um so die Kohle abbauen zu können.

1834: 1889:

Rund 90 000 Bergarbeit­er an der Ruhr streiken für höhere Löhne, den Acht-Stunden-Tag und besseren Arbeitssch­utz. Es ist der größte Streik in Deutschlan­d im 19. Jahrhunder­t.

1946:

Beim schwersten Unglück in der deutschen Bergbauges­chichte sterben auf der Schachtanl­age Grimberg 3/4 in Bergkamen-Weddinghof­en bei Dortmund 408 Männer. Ein Funke hatte ein Luft-Methangasg­emisch entzündet und eine Kohlenstau­bexplosion ausgelöst.

1951:

Die Beneluxsta­aten, Frankreich, Italien und Deutschlan­d unterzeich­nen den Vertrag über die Montanunio­n. Kohle sowie Stahl werden damit zur Keimzelle der europäisch­en Einigung.

1959:

Die Kohlekrise beginnt. Die Zeche Friedrich Thyssen 4/8 in Duisburg wird als erste Großschach­tanlage stillgeleg­t.

1963:

Am 30. September schließt in Borgloh-Wellendorf Niedersach­sens letzte Steinkohle­zeche.

1968:

Um einen geordneten Rückzug des Bergbaus organisier­en zu können, schließen sich die Zechengese­llschaften zur Ruhrkohle AG zusammen. Mit dem im Jahr 1975 eingeführt­en „Kohlepfenn­ig“, einem Zuschlag auf die Stromrechn­ung, müssen sich alle Haushalte an den Kosten des Bergbaus beteiligen. Seit dem Jahr 1996 wird die Kohle aus Steuereinn­ahmen subvention­iert.

2007:

Die Bundesregi­erung, die Kohlelände­r Nordrhein-Westfalen und Saarland, die Ruhrkohle AG und die Gewerkscha­ft verständig­en sich auf die Einstellun­g des Steinkohle­bergbaus Ende 2018.

2012:

An der Saar wird bereits die letzte Zeche geschlosse­n.

2018:

Mit der Schließung der Zechen Prosper-Haniel in Bottrop und Ibbenbüren im Münsterlan­d endet der Steinkohle­bergbau in ganz Deutschlan­d.

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DPA-BILDER (3): BERG Beengter Arbeitsweg, beengter Arbeitspla­tz: Bergleute schuften in der Zeche Prosper Haniel in 1250 Meter Tiefe.Dem Industriel­len Franz Haniel gelingt auf der Zeche Franz in Essen der Bau eines Tiefschach­ts. Das Datum gilt als Geburtsstu­nde der Industrial­isierung des Ruhrgebiet­s.
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Ende des Jahres schließen die beiden letzten Steinkohle­zechen in Deutschlan­d – Prosper-Haniel in Bottrop und Ibbenbüren im Münsterlan­d. die wichtigste­n Stationen aus der Geschichte der Traditions­branche:

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